Brondo liebt Herta, seine Rose, blutrote Rose - Page 4

Bild von Monika Laakes
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für allemal.
Brondo kniete nun neben Herta. Er hatte Farben, Pinsel und Tücher auf den Waldboden gelegt. Er würde ihre Schönheit veredeln, mit der richtigen Farbgebung als Werk für die Ewigkeit. Nun legte er ihren Körper wieder frei. Schaufelte die Blätter fort und reinigte mit einem Pinsel jeden Zentimeter. Wiederum dekorierte er ihre Füße mit ausgesuchtem Blattwerk. Dann den gesamten Körper. Nur die Lippen ließ er frei. Für eine kurze Zeit gönnte er sich den Anblick in stiller Versenkung. Dann pochte das Herz des Malers in ihm. Wurde laut und lauter und schrie ihm zu:
„Wo bleibt die Farbe?“
„Welche Farbe soll ich wählen?“
Brondos Ratlosigkeit hemmte seinen Schaffensdrang. Er hockte einige Minuten vor dem geliebten Modell und horchte in sich hinein.
„Gold“, flüsterte es in ihm. „Gold und Rot.“
„Gold“, wiederholte Brondo. Das „O“ ließ er über seine Lippen perlen. Er würde das matte Gold wählen, es sollte Hertas Schönheit sanft aufleuchten lassen. Brondo stellte das kleine Farbtöpfchen behutsam neben Hertas Kopf. Er wählte aus sieben Pinseln zwei mit Marderhaarspitzen.
Langsam zog sich die Sonne vom Gipfel der Bäume in den Hintergrund zurück und verströmte neben dem Gold ein sattes Rot. Es war, als hätte der Wald Feuer gefangen. Brondo starrte benommen in die Glut zwischen einigen Baumlücken. Er malte eine goldene Linie und hüpfte mit dem Pinsel von Blatt zu Blatt, von der linken Schulter bis zu Hertas Fußspitzen. Setzte wieder an der rechten Schulter an und hinunter, hinunter bis zu den Zehen. Es folgte eine Linie genau in der Mitte des Körpers. Brondo übersprang die Lippen. Das Schönste des Kunstwerkes sollte in Rot, in Signalrot des Himmels, des Feuers, des Blutes hervorgehoben werden, Die Dämmerung breitete sich rasch aus und überzog den Wald mit Stille und unbarmherziger Kälte. Brondo zog unermüdlich feine, goldene Linien. Seine Finger hatten Mühe, den Pinsel zu halten. Immer wieder musste Brondo innehalten und die Hände aneinander reiben. Mit den Füßen aufstampfen. Stampfen auf dem harschen Waldboden.
„He Herta, du Gute. Ich werde dich vergolden“, murmelte er und zog weiter kleine, goldene Striche.
„Loretta ist tot. Mausetot“, fügte er hinzu, und sein Stricheln wurde heftiger. Er strichelte über jedes Blatt mit einer Genauigkeit, um genau die Mitte des Objekts zu treffen, das Herz des Blattes. Gabriel trieb ihn voran. Der strichelte rascher und mit größerer Genauigkeit.
„He Alter, nicht schlappmachen“, hetzte er Brondo voran. „Es wird dunkel, du schaffst es nicht. Eh. Versager. Nun mach schon.“
„Halt’s Maul“, knurrte Brondo. Und er hörte Lorettas hämisches Lachen. Es war in seinem Kopf, und seine Hände pinselten, was das Zeug hielt. Jetzt vermisste er Hertas beruhigende Stimme.
„Nun sag schon, Herta, sag mir, dass ich gut bin“, jammerte er. „Bitte sag es mir.“
Herta schwieg. Lorettas Gelächter dauerte an. Brondo setzte seine goldenen Linien. Er strichelte um Sekunden zeitverzögert hinter Gabriel her. Mit dem sterbenden Tageslicht verstummte auch Lorettas Gelächter. Brondo, der seit Wochen diese Stille herbeigesehnt hatte, der sich nichts weiter als diese Ruhe erträumt hatte, bemerkte nun eine enorme Bedrückung, die dieser Zustand in ihm auslöste. Nun war es an der Zeit, Hertas besondere Schönheit zu zelebrieren und die Sprache der Farben zu wecken. Er kniete neben dem von goldenem Laub überzogenen Körper nieder. Mit haarfeinen Strichen in blutroter Farbe benetzte er Hertas Oberlippe, und all sein Herzblut floß in diese Handlung. Doch mit dem Verströmen seiner Leidenschaft nahm die Angst zu. Er pinselte nur mit der rechten Hand. Er hielt Gabriel von dieser ihm heiligen Handlung des Lippenbekenntnisses fern.
„Aber ich bin besser“, meldete sich sein linker Freund.
„Ich mache es richtig und recht“, verteidigte sich Brondo und stichelte mit größtmöglicher Zielgenauigkeit. Seine alternden Augen saugten den Restschimmer Licht. Was gäbe er darum, seine Angst zu zügeln. Die Angst, sich und Herta nicht gerecht werden zu können. Dumpf schlug ihm das Herz mal in der Kehle, mal rutschte es ihm in die Hände und ließ sie flattern, dann wiederum pochte es in den Knien bis zum Zerbersten. Doch am schlimmsten machte es sich im Kopf bemerkbar. Da schlug es wie ein Hammer - rabumm, rabumm, rabumm - und er hätte vor Schmerz schreien mögen.
Jetzt war es geschehen. Jetzt hatte er Herta aufs Heftigste verletzt. Ein Strich war ihm missraten. Er war auf Hertas Nase gerutscht. Er legte den Pinsel beiseite und angelte nach dem Tuch. Vorsichtig rieb er die Farbe fort. Setzte dann sein unermüdliches Filigranwerk fort und wunderte sich über seine ungewöhnliche Sehkraft. Hertas Oberlippe wuchs aus dem grüngoldenen Blattwerk heraus wie eine späte Rose.
„He du. Es wird. Es wird wunderschön“, stellte Brondo fest und hätte Herta liebend gern in die Arme geschlossen. Doch sofort erinnerte er sich an die schlafende Loretta. Loretta, die gefürchtete Frau.
Brondo wechselte nun zur Farbe Gold. Rotgold wie das sonnenbeschienene Leben sollte Herta erstrahlen.
„Du wirst die Nacht durchmachen müssen“, spornte sich Brondo an.
„Ich helfe dir, wo ich kann“, meldete sich Gabriel.
Beide strichelten die feinen Adern der Blätter nach. Goldadern bedeckten Hertas Körper. Wunderschöne Goldadern. Die Zeit dehnte sich mit beinhärtender, versteifender Kälte.
„Ich muss es schaffen. Ich muss, muss, muss!“ rief Brondo sich zu, und seine Stimme hüpfte von Baum zu Baum, sprang über den Bach und erreichte über den Weg die feinen Ohren des Setters. Das war des Försters Hund und ständiger Begleiter.
Brondo indes strichelte das Blattwerk neben Hertas Armen, über Hertas Kopf und unterhalb der Füße. Er musste für eine würdige Erweiterung ihrer Körperlichkeit sorgen. Es war das braune und zerfaserte Laub, das er nun vergoldete. Er strichelte ebenfalls über kleine Steinchen, über feine Baumwurzeln, über die eigenen Schuhe, ohne auf das nahende Rascheln und Trappeln zu achten. Brondo strichelte gemeinsam mit Gabriel über alles, was mit den Pinseln abzutasten war. Die Dunkelheit nahm die Chance, das Werk zu betrachten. Schemenhaft hoben sich einige Äste zum Himmel empor. Über der Erde hing träge eine grauschwarze Matte. Der Setter indes, des Försters Kamerad, witterte von Fern schon unbekannte Beute. Zielstrebig durchstrich er sein Terrain und gelangte, von Brondo unbemerkt, zum kleinen, golddurchwobenen Laubhügel, der Hertas Körper barg.
Brondo strichelte sich mehr und mehr fort von der Stelle seiner Rose, seiner blutroten Winterrose.
„Oh. Hier muss noch ein Goldhauch hin“, murmelte er. „Nun mach schon Brondo“, ermahnte ihn Gabriel. „Mach schon, ich erfriere.“
Der Setter beschnupperte das Laub und schaufelte blitzschnell den starrgefrorenen Frauenkörper frei.
Brondo näherte sich dem Bachlauf und dem dahinter gelegenen Waldweg. Er strichelte unermüdlich. Den Farbtopf setzte er alle paar Meter ab. Er wollte sich keine Strichgenauigkeit mehr leisten, nur raumgreifend musste seine Aktion sein. Zu Ehren Hertas sollte der gesamte Boden des Uhlenhorstwaldes goldene Linien aufweisen. Das war Brondos letzte Eingebung. Die besten Ideen sind immer spontan.
Brondo arbeitete sich voran. Er strichelte über das Geäst magerer Wintersträucher. Dann über eine harte Erhebung, die sich wie ein Baumstamm nach oben ausdehnte und kein Ende nehmen wollte. Daneben, in gleicher Form, die zweite Erhebung. Brondo strichelte und folgte dem Verlauf des Objekts. Er pinselte über verschiedene Materialien, ohne zu erkennen, wohin seine Malinstrumente zielten.
Plötzlich fühlte er einen unsanften Stoß im Nacken.
„Was tun Sie hier um diese Zeit? Was um aller Welt tun Sie?“ hörte er eine frostige Männerstimme. Klirrend wie die Kälte der Nacht. Im gleichen Moment raste etwas auf Brondo zu. Es blitzte eine Taschenlampe auf. Das Licht spiegelte sich in zwei Brillengläsern wider.
Da stand der Förster des Waldes mit seinem Hund und leuchtete die Umgebung aus. Die Schuhe von feinen Goldstrichen überzogen, die Hosenbeine goldsprühend. Das Brillengestell in der Schnauze des Hundes schimmerte golden.
„Nein!“
Ein gellender Schrei durchzog den Wald.
„Nein! Rose! Nein meine Rose! Herta! Blutrote Rose!“
Nicht einmal mehr Gabriel vermochte Brondo zu beruhigen. Das jaulende Gebell des Setters blieb nur Hintergrundmusik. Brondo stürmte voraus. Der Lichtkegel der Taschenlampe wies den Weg über goldene Muster. Brondos Augen erblickten nun, was seine nimmermüden Hände erschaffen hatten.
„Rose!“
Da lag Herta, seine geliebte Herta, ohne schmückendes, goldädriges Blattwerk. Sie lag einfach und erschreckend da. Herta mit dem Rosenmund.
Golden und blutrot und transzendent, dem Himmel nahe, wollte Brondo seine Herta wissen. So sollte Gabriel seinen Zwist mit Loretta beenden. Brondo kniete neben Herta.
„Leuchten Sie bitte“, sagte er mit Blick auf den Förster. „Bitte leuchten Sie hierhin.“
Brondo zeigte auf Hertas Kopf. Und liebevoll bettete er seine Herta erneut unter ausgesuchten, noch grünen Blättern, die allerdings mit goldenen Adern versehen, nicht mehr von Brondo bemalt werden mussten. Nur kleine Ausbesserungen waren nötig. Und er legte behutsam Blatt für Blatt auf Hertas Körper.
„Herta. Meine Liebe. Rose. Blutrote Rose“, summte er.
Brondo summte dieses Lied. Er summte es noch Tage später in seinem Zimmer. Die Türklinke war von außen zu betätigen. Die Polsterung der Wände tat seinen Fäusten gut. Tat auch seinem Kopf gut, wenn Lorettas Lachen erschallte.
Brondo strichelte mit imaginären Marderhaarpinseln und goldener Farbe über die Wände. Zentimeter um Zentimeter wuchs die goldene Pracht. Hier war Gabriel nicht mit eingezogen. Er hatte sich einfach davongemacht und Brondo seinem Schicksal überlassen. Sein Alter Ego war fort.
„Herta. Rose. Meine blutrote Rose.“
Er würde ihr zu Ehren das Kunstwerk erschaffen. Es ging auch ohne Gabriel. Er, Brondo. Nur er war verantwortlich für seine Rose.
„Herta. Meine Liebe. Rose. Blutrote Rose.“

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Kommentare

07. Feb 2016

Mit Gefühl und mit Geschick
Gelang in jenen Kopf der Blick!

LG Axel

08. Feb 2016

2 x lieben Dank an Axel und Micha. Freut mich sehr.
LG Monika

03. Apr 2016

Ja, die Liebe hat viele Gesichter und somit ungezählte Möglichkeiten, sie zu beschreiben.
Danke für Deine Beachtung in Form eies Gedichtes über Herta und Brondo.
Mit Frühlingsgrüßen von Monika

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