Der Geist der alten Marte - Page 14

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bequem und berichtete weiter.
„Dies sind die Fakten, soweit man natürlich an das Übernatürliche glaubt. Doch betrachten wir die Angelegenheit einmal anders. Jemand schleicht des Nachts um Ihr Haus, und zwar so, dass Sie ihn bemerken. Später dringt er in Ihre Küche ein, ohne das Schloss zu beschädigen. Dies wiederholt er an einem anderen Abend, um Sie mit Seufzern weiter zu verängstigen, zündet Ihren Pavillon an und versuchte schließlich, Ihre Frau mit einer Überdosis Schlafmittel zu töten.“
„Aber warum?“ rief ich dazwischen. „Wer sollte ein Interesse daran haben? Wir haben doch niemanden etwas getan!“
Markus Braun nickte zustimmend.
„Ja, das ist eine gute Frage. Warum? Sie haben hier ein schönes Stück Scholle, das ganz sicher gutes Geld bringen wird.“
„Sie meinen, meine Frau sollte wegen dem Land ermordet werden?“ Aufgeregt war ich aufgesprungen, aber Herr Leifert hob nur beschwichtigend die Hand. Ich setzte mich wieder.
„Warten Sie noch einen Augenblick“, bat Markus Braun.
„Wenn wir davon ausgehen, dass es sich um eine Person handelte, so musste sie Ihre Gewohnheiten kennen, Sie vielleicht sogar beobachtet haben und einen Schlüssel für das Haus besitzen, der die unversehrte Tür erklären würde und ihr dazu den Zugriff auf die Medikamente Ihrer Frau gewährte.“
„Außer uns hat nur noch Felix, unser Neffe, einen Schlüssel. Für den Notfall, verstehen Sie“, erklärte ich.
„Genau, Felix, Ihr Neffe“, bestätigte Markus Braun.
„Felix hat nichts damit zu tun“, bekräftigte ich. „Unmöglich. Er würde uns doch wegen des Geldes nie etwas antun. Das erhält er doch sowieso.“
„Das ist richtig, es sei denn, seiner Firma würde es gar nicht so gut gehen wie Sie glauben. Dann wäre eine Finanzspritze zum richtigen Zeitpunkt Gold wert.“
„Aber …,“ ich stockte. Dieser Gedanke war ungeheuerlich.
„Ihr Neffe hörte die Geschichte am selben Abend wie Sie, er besaß einen Schlüssel, kannte Ihre Gewohnheiten und kam in der letzten Zeit öfter einmal unangemeldet“, fasste Markus Braun zusammen.
Ich senkte den Kopf. Alles was er sagte, stimmte. Ja, so betrachtet, konnte es Felix gewesen sein. Nun ergriff Herr Leifert, der direkt neben mir saß, das Wort.
„Wir haben Herrn Schröder überprüft. Zwar befindet sich seine Firma derzeit in einem Engpass, doch handelt es sich hierbei nur um einen ganz normalen geschäftlichen Vorgang. Bis auf den Abend, als er Sie hier besuchte, verfügt er für die restlichen Tatzeiten über solide Alibis.“
„Ihr Neffe fällt somit als Täter aus“, ergänzte Markus Braun. „Die Fakten aber ändern sich nicht. Wer also kommt als Täter in Betracht? Wer besaß das Material und die Möglichkeit dazu? Es kommt nur eine weitere Person in Betracht. Sie, Herr Pohl!“
Markus Braun schwieg und starrte mich an. Ich hob ruckartig den Kopf und starrte zurück.
„Sind Sie verrückt“, flüsterte ich atemlos. „Warum sollte ich all dies veranstalten?“
„Um die Legende der alten Marte zu bestätigen.“
„Was würde das für einen Sinn ergeben?“
„Sie wollten Ihre Frau ermorden?“
„Ich meine Frau ermorden? Wir sind über dreißig Jahre verheiratet. Warum sollte ich so etwas tun?“
„Um für Annette Mühring frei zu sein, Ihre Geliebte.“
„Meine was?“
Herr Leifert lächelte, das erste Mal, dass ich es bemerkte.
„Es ist ein kleines Dorf. Da spricht sich alles schnell herum. Meine Tante war eine beliebte Frau und ich war als Kind in den Sommerferien oft hier zu Besuch. Ich habe einige Bekannte. Da fällt es auf, wenn jemand zu oft den Doktor aufsucht, selbst wenn er gerade Hausbesuche macht.“
„Ich habe ein Herzleiden“, entgegnete ich barsch, „und muss regelmäßig untersucht werden.“
„Doktor Basil versicherte uns, dass ein monatlicher Check in ihrem Fall durchaus ausreichend wäre. Frau Mühring war nicht nur Ihre Geliebte, sie war zudem Ihre Komplizin, ohne die das ganze Unternehmen nicht durchführbar gewesen wäre. Als wir dies erkannten, beobachteten wir Sie und es war schnell klar, dass Sie der Legende folgten. Ich war mir sicher, dass Sie Ihre Frau töten wollten.
Sie benötigten eine Sturmnacht und Ihre Geliebte musste die sehnsuchtsvolle Marte spielen. Doch konnten Sie nun nicht ohne weiteres zur Tat schreiten. Sie benötigten einen unabhängigen Zeugen. Jemanden, dem Ihre Frau beteuern musste, Marte gesehen zu haben, und von dem aus Sie dann nach Hause kamen. Ihr Nachbar bot sich an.
Ich bat Herrn Johansson heute Abend, als der Sturm aufzog, uns sofort zu benachrichtigen, wenn Sie kommen würden. Hatte ich mit meiner Vermutung recht, so war in dieser Nacht höchste Eile geboten, damit Ihre Frau nicht ein ebensolches Unglück erlitt, wie all die anderen Personen in der Legende. Wir Menschen sind so abergläubisch. Wider alle Logik wäre sie ein Teil der Legende geworden und die Polizei hätte wahrscheinlich auch ein Versehen aufgrund der großen Seelenzerrüttung vermutet. Die arme Frau hatte sich einfach vergriffen und Sie wären mit Ihrer Geliebten fortgegangen.“
Markus Braun hatte seinen Bericht beendet und in die Stille hinein hörte ich die Uhr über der Musikanlage ticken.
„Sie sind wahnsinnig“, knurrte ich Herrn Braun an.
„Die hiesige Polizei hat Frau Mühring inzwischen verhaftet“, berichtete nun Herr Leifert. „In ihrer Waschmaschine fand sie einen vollkommen durchnässten Umhang und Rock. Ihre Stiefel waren verschlammt, dass wir nachweisen können, woher der Dreck stammt.“
„Außerdem“, ergänzte Braun, „hat sie bereits gestanden.“
Herr Leifert war aufgestanden und durch die Tür hinausgegangen. Als er wieder hereinkam, begleitete ihn Wachtmeister Olson. Er baute sich vor mir auf und sah herunter.
„Frank Pohl, ich verhafte Sie wegen Mordversuches an ihre Frau Ursula Pohl.“

*

Eintrag ins Tagebuch
10. Oktober 20..

Zwölf Jahre lautete das Urteil. Ich ertrage es mit Fassung. Was soll mir das jetzt schon ausmachen? Annette bekam sieben Jahre. Sie hatte alles gestanden und dies wertete die Staatsanwaltschaft als schuldmindernd. Ich kann sie sogar ein wenig verstehen. Meine Frau reichte natürlich die Scheidung ein und hat das Haus verkauft. Sie lebt jetzt bei Felix in Hamburg.
Dabei hatte alles so wundervoll begonnen. Als wir uns damals für diesen Kotten entschieden, glaubte ich einen friedlichen Lebensabend verbringen zu können. Ursula und ich verstanden uns im Grunde doch sehr gut, wenn auch vieles zur Gewohnheit geworden war. Mit ihrem Einkommen als Innenarchitektin sicherte sie uns immerhin einen angenehmen Lebensstandard.
Als ich nach meinen Herzproblemen das erste Mal Doktor Basil besuchte, verliebte ich mich sofort in Annette. Sie entfachte in mir eine Leidenschaft, die ich nicht kannte. Zum ersten Mal in meinem Leben war mir die Liebe begegnet. Sie war so einfach und ich konnte gar nicht anders, als mich ihr hinzugeben. Ich liebe Annette immer noch. Das wird wohl nie enden und dafür haben sich all diese Mühen doch gelohnt, denn was ist wichtiger?
Allerdings war ich verheiratet. Was sollte ich tun? Um mit Annette leben zu können, benötigten wir Geld, und bei einer Scheidung wäre mir nichts geblieben. Ursula ist so hart in diesen Dingen und sie hätte mir es nie verziehen.
Es war pures Glück, dass dieser Trottel Helmes mir die Geschichte von der alten Marte erzählte und von den Todesfällen, die sich nach einer Begegnung mit ihr ereigneten. Noch während seines Berichtes entstand in meinem Kopf der Plan. So aufgeklärt die Menschen sich auch geben, insgeheim glauben sie die alten Legenden. Ich benötigte lediglich eine Nacht, um mir die Ereignisse im Kopf vorzustellen.
Um Felix tut es mir natürlich leid, aber es war ein guter Umstand, dass er mich an diesem Abend begleitete. Die Polizei ist nicht so leichtgläubig. Ich freundete mich mit Helmes an und er erzählte mir mehr von den alten Geschichten, die ich für meinen Plan benötigte.
Annette war dagegen. Ich musste sie lange überreden, bis sie schließlich zustimmte, mir zu helfen. Ich brauchte sie unbedingt dafür.
Der erste Teil war simpel. Ich erzählte von den geheimnisvollen Schatten, die ich bemerkt hatte. Die Sache mit der Küche aber musste Annette arrangieren. Ich gab ihr einen nachgemachten Schlüssel und erklärte ihr eingehend, was sie tun sollte. Es klappte wunderbar.
Natürlich wusste ich, dass Helmes am anderen Tag in der Gaststätte sitzen und er diese Geschehnisse lautstark auf die Marte schieben würde. So kam die Geschichte ins Rollen. Dass dieser Braun ebenfalls dort saß, war einfach Pech. Wer konnte ahnen, dass er ein Privatdetektiv und sein Freund ein Kommissar war?
Für den dritten Akt hatte ich den Pastor als Zeugen auserkoren. Ein glücklicher Umstand führte auch Felix an diesem Abend zu uns. Das machte die Sache ein wenig schwieriger, aber trotzdem bin ich stolz darauf.
Bevor wir zu Bett gingen, legte ich eine CD in die Anlage. Vierzig Minuten davon waren unbespielt, der Rest bestand aus einigen Seufzern, die uns weckten. Ich hoffte auf den Pastor, der die Geschichte im Dorf verbreiten würde und die Leute nun wirklich an den Fluch über dieses Haus glauben lassen würden Die Sache mit dem Pavillon war nicht eingeplant. Nachdem Ursula aber an die Umsetzung gegangen war – und wer weiß besser als ich, dass sie sich dann nicht mehr davon abbringen lässt – bot mir dies doch die Gelegenheit einer weiteren Steigerung. Ich schlich hinunter und steckte die Bretter in Brand, eilte nach oben, legte mich ins Bett, wartete einige Minuten und als ich sicher war, dass der Pavillon nicht mehr gerettet werden konnte, entdeckte ich das Feuer.
Abermals kam mir das Glück zu Hilfe. Johansson bemerkte die Flammen ebenfalls und das kam mir jetzt äußerst gelegen. Von dem alten Olson hatte ich nichts zu befürchten. Immerhin aber rief er seine Kollegen und die hätten möglicherweise Spuren entdeckt. Eile war jetzt geboten.
Doch wieder hatte ich Glück. Der Regen setzte ein und es gab die Ankündigung eines Sturms. Lange schon war dieser finale Teil meines Planes besprochen, und ich eilte sofort zu Annette, um ihn in dieser Nacht umzusetzen.
Annette sollten nur einige Male um Hilfe rufen und als Marte auf dem Deich stehen. Den Rest würde ich schon erledigen. Es klappte auch wunderbar. Was war ich froh, dass ich in dieser Dunkelheit tatsächlich den Hof von Johansson erreichte. Ich musste dort ankommen, denn er allein konnte mein Zeuge für die seltsame Begegnung sein. Als Johansson uns nach Hause fuhr, wähnte ich mich schon fast am Ziel.
Vor dem Schlafengehen reichte ich Ursula ein Glas mit Wasser und einer Schlaftablette, wie ich ihr versicherte. Natürlich war die Dosis viel höher. Ursula vertraute mir doch so sehr.
Noch hätte ich Zeit gehabt, in jener Nacht alles so zu arrangieren, dass ich meine Spuren hätte verwischen und Ursula selbst versehentlich eine Überdosis eingenommen haben können. Aber dazu kam es ja nicht mehr.
Dieser verdammte Markus Braun hatte die Geschichte durchschaut. Na ja, ich kann ihm gar nicht böse sein, das ist schließlich sein Beruf. Trotzdem ist es schade um den schönen Plan und um Annette. Ich glaube nicht, dass ich sie jemals wiedersehen werde. Aber einmal im Leben sollte man doch alles auf eine Karte setzen und dafür hatte es sich bestimmt gelohnt.

Eine Geschichte um den Privatdetektiv Markus Braun.

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Kommentare

23. Okt 2016

Spannend und MIT Geist geschrieben!
Auch ein Ambiente zum Verlieben ...

LG Axel

08. Feb 2016

See Seen sehr lesenswert!

09. Feb 2016

Vielen Dank, Euch beiden. Es freut mich, dass die Geschichte Euch gefällt. LG Magnus

23. Okt 2016

Großartig, Magnus. Ich habe deine spannende Geschichte verschlungen, sehr spannend und mit einem wirklich
überraschenden Ende.

LG Ralf

23. Okt 2016

Wunderbar, das freut mich sehr. Gerade, dass Du das Ende überraschend findest. Ich hatte gehofft, dass es so funktioniert. LG Magnus

23. Okt 2016

Danke schön, Micha. Die eee´s zeigen mir, wie gut es Dir gefallen hat :-) LG Magnus

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