Lady in Red

Bild von Susanna Ka
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Er beobachtet sie schon eine geraume Weile.
Die kleine quirlige Frau, in dem dunkelroten Kleid, das ihre helle Haut zum Leuchten brachte. Die Seide schimmerte im flackernden Discolicht, der Saum flog bei jeder Drehung in die Höhe und zeigte schön geformte Beine in schimmernden Seidenstrümpfen. Sie drehte sich oft an diesem Abend, voller Hingabe an ihren Tanz und an die Musik. Die jeweiligen Partner schienen ihr dabei gleichgültig zu sein …
Er stand an der Bar, einen Wodka-Tonic in der Hand, und sah ihr zu. Der fliegende Saum faszinierte ihn genauso wie der Blick auf die Beine darunter.
Seine Gedanken wanderten vierzig Jahre zurück.
‚Zu Zeiten des Rock’n Rolls hatten sich die Mädchen Bleischnur in die Säume genäht, und durch die Fliehkraft flogen dann die Röckchen.‘
Die Erinnerung wärmte ihn. Beim Tanzen hatte er seine Frau kennengelernt. Gerlind. Das Verständnis für einander war sofort da gewesen. Erst auf der Tanzfläche und später auch im Leben. Bis Gerlind vor fünf Jahren gestorben war.
Inzwischen hatte er den größten Teil seiner Trauer verarbeitet und war – auch wenn er es sich selbst nur schwer eingestehen konnte - wieder auf Brautschau.
Hier auf der Ü-50 Party in der Stadthalle, wo sich das ältere Semester vergnügte und neue Kontakte knüpfte.
Sein Blick folgte dem Saum des roten Kleides. Auch Gerlind hatte damals Blei im Röckchen gehabt.
Ach, was soll’s …
Entschlossen stellte er sein Glas auf den Tresen und bei den ersten Klängen von „Lady in Red“ erlöste er seine Angebetete aus den gierig tastenden Händen ihres neuen Tanzpartners.

Zwei Arme, die sie hielten und in denen sich spontan geborgen fühlte. Eine Hemdbrust, an die sie sich lehnen konnte, die Augen schließen, die geblendet waren von dem grellen, ständig die Farbe wechselnden Discolicht.
Ausruhen. Den ganzen Abend war sie wie ein Wirbelwind über die Tanzfläche gefegt. Es hatte sie von der Last des Alltags befreit und ihre Einsamkeit vergessen lassen. Übermütig wie ein junges Mädchen war sie ihrem Impuls gefolgt. Drehen – drehen – drehen. Der Rock flog – sie flog – in unendliche Weiten …
Jetzt aber war sie außer Atem, kam auf den Boden zurück und landete – bevor sie stürzen konnte - in beschützenden Armen.

Er hielt sie fest, spürte wie sie vor Erschöpfung zitterte, wie sie nach Atem rang und wie ihr Herz pumpte. Aber auch, wie sie sich vertrauensvoll an ihn lehnte.
Sie standen ganz still, erfühlten die erste Begegnung ihrer Körper. Er hielt sie, lange, solange, bis ihr Atem wieder gleichmäßig floss.
Dann führte er sie langsam in den Tanz.

The lady in red is dancing with me
Cheek to cheek
There's nobody here
It's just you and me …

Sie lag in seinen Armen, so selbstverständlich, als wäre es immer schon so gewesen. Leichtfüßig folgte sie ihm über die Tanzfläche. Ihre Körper bewegten sich im vollkommenen Einklang. Ihr Duft, Vanille und Zimt, durchsetzt mit ihrem Schweiß, war für ihn erregend und vertraut zugleich.

But I hardly know this beauty by my side
I'll never forget the way you look tonight
I never will forget the way you look tonight
The lady in red
My lady in red
I love you

Sein Gewissen meldete sich noch einmal kurz, dann spürte er, wie sich die Gedanken an Gerlind verflüchtigten.

„Ich heiße Hagen …“
„Hanne“. Sie lächelte zu ihm auf, dann kicherte sie …
„Hagen und Hanne – das klingt wie Hänsel und Gretel.“
Ihr erstes gemeinsames Lachen fühlte sich gut an.

Der englische Text stammt aus dem Song "Lady in Red" von Chris de Burgh

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