Kein Land für Tränen

Bild von Ralf Risse
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Sie schenkt mir ein Lächeln. Immer noch kann sie geben, diese junge Frau.
Ihr letztes Kind hielt sie bis vor fünf Tagen in den Armen, und das einzige Kamel der Familie ist nun gestern auch gestorben.
Ihr Mann, sagt sie, seit Wochen im heißen Nichts auf der Suche nach Essbarem unterwegs, wollte längst zurück sein.
Während sie mit ruhiger Stimme und diesem Lächeln, das so gar nicht hierher passen will, ihre Situation schildert, geht mir Absurdes durch den Kopf.
Diätfutter für Haustiere, Sodbrennen und Fettabsaugen ... gibt es überhaupt in jeder Sprache Worte für solche Dinge?
Ich versuche, mich zu konzentrieren.
Ihre durchdringenden Augen sehen tief in mich hinein, liest sie in mir?
Mein Blick flieht vor Scham.
Peter, dem Kameramann, läuft ständig Schweiß in die Augen, und wir müssen die Aufnahmen mehrmals unterbrechen. Das seltsame Gefühl, dass diese Frau eine derartige Verschwendung von Wasser mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid registriert, will mich nicht verlassen.
Eine kurze Ewigkeit später ist das Interview im Kasten und wir verabschieden uns höflich.
Sie lächelt.
Auch die Reissäcke sind inzwischen abgeladen und ohne Ausnahme sofort verschwunden. Wir besteigen unseren LKW, der beim Anfahren eine Staubwolke gebiert und die winkenden Dorfbewohner darin einhüllt.

Sie lächelt mich an, regungslos, weil sie ihre kostbaren Tränen noch brauchen wird.

Interne Verweise

Kommentare

18. Jul 2017

Ein starker Text, der wohl beweist -
Was wahres Leben wirklich heißt ...

LG Axel

18. Jul 2017

Man weiß nicht genau wo und wann der Text spielt, was Gelegenheit für eigene Gedanken lässt. Die Idee schimmert klar durch. Gut auf den Punkt gebracht.