Umkehrung

Bild von Robert Staege
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Manchmal wünsche ich mir die Welt komplett anders, weil ich es so unglaublich interessant fände. Nicht, dass unsre Welt, so wie sie ist uninteressant wäre. Aber ich stelle mir vor, wie es aussähe, wenn nicht der Mond aufginge, sondern ein riesiger Laib Emmentaler, wenn die Sterne nicht am Himmel golden, hell und klar prangten, sondern grün und lila, dunkel und milchig an einer Pinnwand klebten. oder schlicht am Boden herumlägen. Unvorstellbar, wenn der Wald nicht schwarz und schweigend stünde, sondern in Spektralfarben leuchtend, laut schwatzend herumliefe, während schwarzer Regen schrecklich auf die Straßen herabstiege. Oder wenn die Jahreszeit und die Zeit rückwärts liefen. Man grübe Särge aus, denen alte, gebrechliche Menschen entstiegen, denen es immer besser ginge, die sich beständig verjüngten, graue Haare würden nach und nach blond, rot, brünett, braun oder schwarz, die Falten würden immer weniger, aber auch Wissen und Erfahrungen nähmen wieder ab. Gut, Letzteres passiert ja in unsrer Welt auch unter den umgekehrten Vorzeichen. Irgendwann nach vielen Jahren absolvierte man ein Studium oder eine Ausbildung, bei der man immer mehr verlernte, sodass man anschließend an die Schule müsste, wo sich dieser Prozess von Jahr zu Jahr fortsetzte. Man würde schrumpfen, stets kleiner werden, um schließlich auch noch das Rechnen, Schreiben oder Lesen zu verlernen. Innerhalb weniger Jahre würde man immer kleiner und unbeholfener, die kleinen Zähne, die man unter Wackelbewegungen in seine Kiefer steckte, verschwänden auf magische Weise im Zahnfleisch, man könnte nur noch Brei essen und würde schließlich einige Zeit nur mit Milch gefüttert, einer mehr oder weniger jungen Frau zum Säugen an die Brust gelegt. Und wenn der Schrumpfungsprozess den Punkt erreicht hat, an dem man nur noch ein paar Pfund wiegt, nur mehr etwa einen halben Meter groß ist, nicht gehen, krabbeln oder sonst etwas kann, wird man unter Geschrei und Schmerzen dieser Frau in den Unterleib verfrachtet, wo man nach etwa 9 bis zehn Monaten in Form von etwas milchiger Flüssigkeit von einem Mann im Rahmen eines Geschlechtsaktes aus der Frau entfernt würde. Wie seltsam und faszinierend wäre die Welt, wenn der Schnee von Feldern, Wiesen und Wäldern sich erhöbe, um am Himmel von Wolken aufgenommen zu werden, die irgendwohin entschwänden. Faulende Blätter am Boden würden plötzlich braun, rot, golden oder gelb, um sich - mit oder ohne Wind - zu erheben, und sich an die Bäume zu heften, wo sie nach und nach grün würden. Man montierte Früchte an die Bäume, sofern diese nicht vom Boden sich wie von Geisterhand erhöben und an den Ästen und Zweigen festwüchsen, um dann nach und nach zu schrumpfen und sich schließlich in Blüten zu verwandeln. Diese Blüten würden sich welke Blätter aus der Luft sammeln, diese schließen und dann - was ihnen auch noch die Blätter der Bäume nachmachten - wie durch einen geheimen Zauber im Inneren des Baums zu verschwinden. Blumen und Gräser würden immer kürzer, um sich letztlich grußlos ins Erdinnere davonzumachen. Dann würde Wasser sich zu Eis und Schnee zusammenfinden. Dieser Schnee stiege in sanften Flocken zum Himmel, und versteckte sich in grauen Wolken. Und so stelle ich mir eine herrlich verkehrte Welt vor, in der Hühner schrumpfen, um sich als kleine, flaumige Wesen einzunässen, in kaputte Eierschalen zu kriechen, die sich schlössen, um dann von der Henne aufgenommen zu werden, und auf Nimmerwiedersehen zu verduften. Aber jetzt muss ich aufhören, denn ich glaube, ich wache gleich auf ...

Geschrieben am 16. Dezember 2017

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