Jede Nacht träume ich – von einem anderen Land.
Zäg, der älteste meiner fünf Tibeter, will auswandern.
„Entweder wir emigrieren nach Myanmar, oder ich lege die Kutte ab, verlasse dich und heirate", wirft er mir im herrischen Tonfall vor die Füße.
„Wegen Aung San Suu Kyi?“, frage ich erschrocken.
„She is in a very good shape“, äfft Zäg diesen Trump nach, Geisteszwerg und Sexist in einer Person.
„Ich etwa nicht?“, erkundige ich mich mit bitterer Miene.
„Das wohl“, sagt Zäg. „Aber du bist zu ernst, zu schweigsam und liest zu viel. Ich brauche Action.“
„Suu Kyi ist 72 und du 34“, halte ich ihm vor.
„Egal“, sagt er. „Sie hat noch keine einzige Falte, sieht besser aus als manches junge Mädchen und ist sehr intelligent. Ich liebe sie. Macron ist mein Vorbild."
„Aber Suu Kyi ist noch um einiges stummer als ich“, gebe ich Zäg zu bedenken. „Das Militär verfolgt Muslime, es gibt bereits mehr als 100 Tote und 370.000 Flüchtlinge. Die kommen jetzt alle nach Deutschland. Und Suu Kyi schweigt – als liege sie bereits im Grab.“
„Was soll sie machen, meine schöne Suu Kyi“, sagt Zäg. „Sie ist nur Staatsrätin und muss die Sauerei aussitzen – wie unsere Angie die Folgen der Flüchtlingswelle. Jetzt haben wir die ganzen Verbrecher im Land und eine Abschiebung nach der anderen.“
„Du solltest hierbleiben und zur AfD wechseln“, schlage ich Zäg vor. „Frauke sieht auch nicht schlecht aus und ist zudem noch um einiges jünger als Suu Kyi.“
„Verheiratet“, sagt Zäg.
„Und Erika Steinbach?“, frage ich.
Zäg will sich halb totlachen.
„Die dämliche Kuh“, sagt er.
Das geht zu weit, denke ich und beende das Thema.
Aber Zäg gibt wieder mal keine Ruhe.
„Okay, ich gebe dich frei“, sage ich nach acht Stunden Redezeit. „Emigriere nach Myanmar und heirate Suu Kyi!“
„Kommst du zur Hochzeit, Li?“, fragt Zäg mit sanfter Stimme.
„Nein“, sage ich. „Zu viel Militär. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.“
Ich träume mal wieder davon, nach Frankreich auszuwandern. Möglicherweise bekomme ich auch noch einen ähnlich hübschen und intelligenten Franzosen wie diesen Macron ab. Brischitt Macron ist ungefähr in meinem Alter. Außerdem sehe ich deutlich jünger …
„Vergiss es“, zischt Zäg, der Gedanken lesen kann, während er meditiert.
„Franzosen sind Gourmets und du bist seit vorvorgestern fast wieder Veganerin.
„Außerdem müsstest du dir dann wieder die Haare färben, mon Cher, und das willst du doch keinesfalls – zum einen wegen der Tierversuche, zum anderen, weil es so lächerlich beim Friseur aussieht.“
„Es gibt vegane Haarfärbemittel“, kläre ich ihn auf. „Ich habe im Internet recherchiert. Möglicherweise färbe ich mich wieder rot; das steht mir.“
„Weiber!“, sagt Zäg und spuckt wieder mal aufs gute Laminat. „Ich dachte, du liebst deine grau melierten Haare.“
„Ich dachte, du liebst Mohnbrötchen ...“, äffe ich ihn nach (ein alter Slogan aus der Werbung).
„Suu Kyi färbt sie schwarz“, sage ich. „Ich mag sie sehr – immer noch. Sie muss es wirklich ‚aussitzen‘, anderenfalls wird alles noch schlimmer, deshalb hält sie die Klappe. Sonst hätte sie sich längst geäußert. Sie ist doch nicht blöd.“
„Endlich siehst du es ein“, sagt Zäg und schenkt mir ein bezauberndes Lächeln.
„Immerhin hat auch m e i n e Unterschrift dazu beigetragen, dass dieser dämliche Hausarrest aufgehoben wurde“, schiebe ich nach.
„Du solltest Suu Kyi nach Deutschland holen, Zäg.“
„Das könnte dir so passen“, giftet er mich an. „Damit sie deine beste Freundin wird und du sie in Beschlag nimmst, nächtelang mit ihr diskutierst, während ich schlaflos im Bett liege und kalte Füße kriege. Kommt überhaupt nicht in Frage!“
„Erwin Bach übrigens auch ...“, wirft Zäg nach einer Weile des Schweigens in den Raum wie einen Hundeknochen. Ich hebe ihn auf und schaue ihn entgeistert an.
„Der Gatte von Tina Turner“, sagt Zäg. „... liebt sie am innigsten, wenn sie ihre Perücke ablegt – mit grauen Haaren. Hat er wörtlich gesagt.“
„Ich liebe Tina auch, ganz besonders ihre Rockröhre“, sage ich. "Vielleicht sollten wir alle in die Schweiz …?"
„Vergiss es“, zischt Zäg und wirft mir einen seiner eiskalten Blicke zu.
Suu Kyi tut mir jetzt schon leid.