Es war Mord gewesen, eiskalter Mord. Ob heimtückisch oder gar grausam, darüber ließe es sich vielleicht noch streiten, nicht jedoch was die Planung dieser Tat betraf.
Hauptkommissar Ahlert vom Dezernat 3 der Mordkommission in Frankfurt am Main war sich da mittlerweile sicher. Immer und immer wieder war er mit seinen Leuten der Sonderkommission "Snyper" diesen einmaligen Fall durchgegangen.
Das Erschießen eines Menschen aus gut zweihundert Metern Entfernung musste gut geplant gewesen sein. Da durfte nichts dem Zufall überlassen bleiben und es gab wahrscheinlich auch nicht gerade eine große Anzahl von Tätern, welche in der Lage waren, auf eine solche Entfernung mittels eines Scharfschützengewehres ihr Opfer mit einem direkten Schuss zwischen die Augen niederzustrecken.
Eigentlich sollte es deshalb nicht allzu schwierig sein den oder die Täter bald fassen zu können, so hatte Ahlert anfangs noch gehofft. Mittlerweile war jedoch schon bald ein halbes Jahr vergangen, ohne das er oder einer seiner Leute an einem entscheidenden Punkt vorangekommen wären. Irgend etwas war hier nicht normal, aber was?
Anton Himmelsbach, das Opfer, war ein angesehener Mann im fortgeschrittenen Alter von fast sechzig Jahren. Er gehörte eher zu den weniger bekannten Größen der Frankfurter Bankenwelt und hatte stets als Privatbankier sein Vermögen gemacht. Warum gerade er einem solch gezielten Anschlag zum Opfer fiel, war nur eine der vielen Fragen, auf die Hauptkommissar Ahlert bisher noch keine Antwort gefunden hatte. Himmelsbach hatte in den letzten Jahren eher zurückgezogen gelebt, seitdem seine Frau vor etwa fünf Jahren einem plötzlichen Krebsleiden erlegen war. Seine Villa befand sich auch nicht in Frankfurt, sondern war beschaulich am Hang eines kleineren Ortes im Main-Taunus Kreis gebaut worden. Die Himmelsbachs hatten keine Kinder und so konnte der potenzielle Täterkreis, was die Familie betraf, ebenfalls schnell geschlossen werden.
Die Rekonstruktion der Tat durch die KT hatte ergeben, dass Himmelsbach, wie schon erwähnt, aus einer Entfernung von etwa zweihundert Metern mit einem einzigen gezielten Schuss aus einem Scharfschützengewehr niedergestreckt und tödlich verletzt worden war. Das später gefundene Projektil, dass nach dem glatten Durchschuss etwa fünfzig Meter weiter in einem Betonpfeiler des Bankhochhauses gefunden worden war, hatte das Kaliber 7,62 X 51 der NATO.
Also schon einmal kein Russe, dachte Ahlert, als er das damalige Ergebnis bekam. Der Schütze musste zudem vom Dach eines etwa zweihundert Meter entfernten Tiefgaragengebäudes aus geschossen haben. Die ausgeworfene Hülse jedoch fand man nie, was darauf schließen ließ, dass der Schütze sie geflissentlich mitgenommen hatte.
Um auf eine solche Entfernung jemanden gezielt ins Visier nehmen zu können, bedarf es zudem eines sehr gut geschulten Schützen, eines speziellen Gewehrs mit Dioptereinrichtung und einer sehr ruhigen Hand. Dem letzteren wird von geschulten Scharfschützen zumeist etwas nachgeholfen, meistens unter der Verwendung von Diazepam.
Wie sehr all das auf Thomas Richter, einen ehemaligen Afghanistansoldaten, zutraf, konnte Ahlert zu diesem Zeitpunkt nicht wissen.Drei Jahre lang war Richter in den Krisengebieten dieser Welt eingesetzt gewesen, zunächst auf dem Balkan bei Sarajevo und danach in Afghanistan in der Nähe von Kundus.
Thomas Richter war ein Spezialist in vielfältiger Art und Weise. Eigentlich wollte er einmal Konzertpianist werden, da er über ein außergewöhnliches Musikgehör sowie äußerst feinfühlige Hände verfügte. Nach Abschluss seines Abiturs mit summa cum laude rief ihn die Bundeswehr in ihren Dienst fürs Vaterland und Thomas Richter wollte nicht nur dienen, nein, er wollte immer Neues lernen und dabei auch etwas verdienen. So kam es, dass er sich als Zeitsoldat für zunächst zwei Jahre verpflichten ließ. Just in diese Zeit fiel jedoch auch die Krise auf dem Balkan, in deren Verlauf er sich dann weiter verpflichtete und eine Ausbildung als Fernspäher und Scharfschütze durchlief.
Thomas Richter war ein sehr guter Scharfschütze. Seine natürlichen Begabungen halfen ihm natürlich sehr dabei, denn er nahm wirklich alles um sich herum wahr und hatte auch eine exzellente Begabung dafür, selbst in hektischen Momenten noch einen kühlen und klaren Kopf zu bewahren. Seine langen, feingliedrigen Hände fanden stets den richtigen Druckpunkt am Scharfschützengewehr MSG 90 A2 der Firma Heckler und Koch, welches Richter liebte als wäre es seine Braut gewesen.
Seinen letzten Einsatz in der Region Kundus jedoch würde er niemals mehr vergessen. Es war wieder einmal eine der vielen Erkundungsfahrten gewesen, welche einerseits ihre Präsenz in dieser heiklen Region unterstreichen sollte und andererseits auch dem etwaigen Aufspüren feindlicher Talibangruppierungen diente.
Sie waren noch gar nicht so lange unterwegs gewesen, als plötzlich der Begleitjeep unmittelbar vor ihnen auf eine verborgene Tellermine auffuhr und von der Wucht der folgenden Explosion zerrissen und in die Luft geschleudert wurde.
Zwei Soldaten aus seiner Kompanie waren damals dabei gestorben und Thomas Richter hatte ein Knalltrauma erlitten, von dem er sich niemals wieder gänzlich erholte. Sein empfindliches Innenohr hatte einen nicht wieder gut zu machenden Schaden erlitten, ganz zu schweigen von den vielen Träumen und Albträumen, die ihn seitdem in regelmäßigen und immer wiederkehrenden Abständen
plagten. Außerdem hatte er dadurch die absolute Ruhe seiner feingliedrigen Hände etwas eingebüßt,was er fortan durch die eigentlich verbotene Einnahme von Diazepam unterdrückte.
Schon bald nach diesem Ereignis damals war es ihnen dann gelungen eine Gruppe radikaler Talibans ausfindig zu machen, die für diesen Anschlag verantwortlich waren und sahen sich heftiger Gegenwehr durch Beschuss von deren Seite ausgesetzt. Thomas hatte damals gekämpft wie ein Berserker und mindestens fünf von ihnen mit eigener Hand im Kampf getötet.
Was dort geschah, sollte ihn auf Umwegen dann schon bald nach Frankfurt am Main führen, denn im Unterschlupf der Talibans fand er Hinweise auf den afghanischen Waffenschieber Faisal Hajdari, der unter anderem auch mit Tellerminen aus russischer Herkunft handelte.
Thomas beherrschte mittlerweile die afghanischen Sprachen Dari und Pashtuni perfekt und konnte im Gegensatz zu seinen Kollegen diese Sprachen auch lesen und sogar schreiben.
Der Name Faisal Hajdari ließ ihn nun nicht mehr los und er wollte nicht eher ruhen, bis er Hajdari gefunden hätte.
Zwischenzeitlich hatte er jedoch infolge einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung seinen Dienst als Offizier der Bundeswehr quittiert und war als Invalide nach Deutschland zurückgekehrt.
Thomas Richter verfügte weiterhin über sehr gute Auslandskontakte und fand deshalb bald darauf Hajdari in einem Hotel in Budapest, wo dieser sich kurz zuvor mit einem gewissen Anton Himmelsbach getroffen hatte.
Faisal Hajdari starb damals einen einsamen Tod, verursacht durch eine feine Nylonschnur mit welcher er hinterrücks in seinem Hotelzimmer erdrosselt worden war. Es gab damals keinerlei Spuren eines Täters. Die Tat selbst musste bestens geplant gewesen sein und der Täter hatte offensichtlich Handschuhe getragen.
Nach dieser Tat verfolgten Thomas Richter wieder die schlimmen Träume und er durchlebte die Explosion von Kundus quasi noch einmal als Feedback.
Nichts desto Trotz hatte er noch eine letzte Tat zu vollbringen.
Auf Anton Himmelsbach, den integren Privatbankier aus Frankfurt war er gestossen, als er das Hotelzimmer seines damaligen Opfers Hajdari etwas genauer durchsuchte.
Thomas Richter war hierbei auf brisante Unterlagen gestoßen, die auf eine zumindest finanzielle Partnerschaft zwischen Anton Himmelsbach und dem Waffenschieber Faisal Hajdari schließen ließen.
Das Scharfschützengewehr Marke Heckler und Koch Typ MSG 90 A2, welches er bevorzugte, besorgte er sich im Darknet, von wo er auch das zusätzlich benötigte Diazepam bezog.
Anton Himmelsbach war ein vorsichtiger Mann und deshalb war es gar nicht so einfach, einen geeigneten Plan zu finden, an dessen Ende Himmelsbach sein Leben lassen musste.
Bewacht von einem eigenen Bodyguard sowie einem privaten Butler, der ebenfalls über Kampfsporterfahrung verfügte, war eine Entführung oder das Ausschalten Himmelsbachs an seinem Wohnsitz nahezu aussichtslos. Es blieb also nur noch sein Arbeitsumfeld in Frankfurt übrig.
Akribisch zeichnete Thomas Richter den jeweiligen Tagesablauf rund um Himmelsbachs Bankgeschäft auf und fand dann schließlich die vielleicht einzige Schwachstelle im Lebensrhythmus des Anton Himmelsbach.
Immer genau um 9:30 Uhr MEZ trat Anton Himmelsbach allein auf die rückwärtige Straßenseite seines Bankhochhauses, um sich in gewohnter Manier seine heißgeliebte Brisaggozigarre zu gönnen.
Thomas Richter gönnte ihm dann auch noch diese letzte Brisaggo, bevor er den Abzug seines Gewehres langsam durchzog.
Exakt ein halbes Jahr danach war es dann zu Ende. Thomas Richter konnte einfach nicht mehr. Die ständigen Albträume und die Abhängigkeit vom Diazepam hatten ihn buchstäblich fertig gemacht.
Was Hauptkommissar Ahlert noch gestern für fast ausgeschlossen hielt, da er langsam an den perfekten Mord glaubte, trat nun in der Person von Thomas Richter als Täter des Falles Himmelsbach vor ihn. Thomas Richter hatte sich freiwillig gestellt, die Sonderkommission "Snyper" konnte nun aufgelöst und die Akte für immer geschlossen werden.
Dieser Kurzkrimi stellt sozusagen mein "Erstlingswerk" dar und sollte deshalb nicht gar so verrissen werden.