Leben unterm Häkelkreuz

Bild von Lothar Peppel
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Meine Gattin und ich, wir unternehmen ja viel gemeinsam. So sitzen wir manchmal über Stunden im Wohnzimmer und schweigen uns an. In stillem Einvernehmen ruhen wir in diesen wie Gelatine erstarrten Momenten in den verschiedenen Varianten unserer Sitzgelegenheiten und lassen die Gedanken möglichst geräuschlos in sicherlich ebenso verschiedene Tagtraumwelten gleiten. Da kannst du die Milben im Sofakissen husten hören. Und das Aneinanderstoßen der in Gruppen aufsteigenden Blasen im auf dem schweren Eichentisch stehenden Glases mit Selters auch. Es ist, als prange an unserer Hauswand gleich neben der Eingangstür ein Schild mit der in Gold und altdeutscher Schreibweise verfassten Aufschrift “Wolke 7”. Eine Idylle vor dem Herrn. Und auch dahinter. Doch seit geraumer Zeit liegt ein schwerer Schatten auf unserer ach so adrenalinfreien, wohnzimmerbezogenen Zweisamkeit. Und dieser Schatten trägt den Namen Häkeln. An sich ist Häkeln ja nichts Verwerfliches. Es ringt unseren zwischenmenschlichen verbalen Ruhephasen keinerlei Kompromisse ab, wenn man mal von den gelegentlichen Einwürfen wie “Mist!” und “Ich hab` mich verzählt!” und “Jetzt kann ich nochmal von vorn anfangen!” meiner Lebensabschnittsgefährtin absieht. Nein, das Häkeln stört so wenig wie die vereinzelte Blähung eines Wanderers im mächtigen Thüringer Wald. Dass meine Gattin nun seit circa zwei Jahr häkelt, ist also nicht mal ansatzweise Grund meiner sanft, aber stetig wachsenden Besorgnis. Nein, ich bleibe dabei: das flinke Arbeiten mit Wollfaden und Nadel ist rein und als zum Hobby gewordenen Handwerk voll des Lobes wert. Hätte Frau Merkel just im Moment der beginnenden neuzeitlichen Völkerwanderungen gehäkelt, statt großzügige Einladungen in immerfort hungrige Kameras zu menscheln, wer weiß, ich würde die Kölner Domplatte vielleicht noch heute für in Vinyl gepresste Choräle sackloser Kirchendiener halten. Hat sie aber nicht. Was nun aber auch wiederum Vorteile hat. Denn Häkeln produziert hauptsächlich wollene Niedlichkeiten, und zwar am laufenden Band. Heere von honigsüß grinsenden, mit großen unschuldigen Plastikaugen, ohne jegliches Wimpernzucken geradeaus glotzenden Wollknoterein. Schildkröten. Enten. Eulen. Puppen mit Mütze. Hasen mit Bart. Wir haben sie alle. Eisbären. Puppen ohne Mütze. Aliens mit mit nur einem Auge. Selbst ein kleines gehäkeltes Nutella-Glas. Und natürlich Hasen mit Bart. Wir haben sie alle. Und ich, mit grobporiger Haut, nicht parallel verlaufendem Blick und Haaren in der Nase, also zweifelsohne der Antagonist zu all den wollenen Augenschmeichlern, und ich mittendrin. Im Meer der gehäkelten Ach-sind-die-süß!-Kreaturen bin ich die öde Insel, die niemand bewohnen will. Und in solch einem Umfeld empfindet man es schon als außergewöhnlich belastend, wenn einen Vater und Mutter nur auf die alte Art und Weise zusammen gevögelt, statt mich im Scheine der wegen falsch verstandener Sparsamkeit mit einer 40-Watt-Glühbirne ausgestatteten Wohnzimmerfunzel gehäkelt zu haben. Doch selbst das ist nicht das Problem, um welches ich samtweich diesen Text legen will. Das Problem ist, das Haus wächst nicht mit. Während also meine Gattin alle im Internet frei verfügbaren Häkelanleitungen - und dazu alle Anregungen im schier endlosen Angebot der Hobbyzeitschriften - nachhäkelt, bleibt unser Haus von der Wohnfläche her arg beschränkt. 70 Quadratmeter sind 70 Quadratmeter sind 70 Quadratmeter. Doch die Wollwesen breiten sich darin aus wie die Geschlechtskrankheiten kurz hinter der Front. Sie sitzen auf Sessellehnen, Couchrückenteilen, eigens angefertigten Wandregalen, liegen neben mir im Bett und neben meiner Gattin auch. Sie hängen als Miniatur an Kleiderschränken und Handtaschen, sitzen auf Monitoren, Fensterbrettern und wer weiß, demnächst stecken sie vielleicht sogar noch in meinem Arsch. Insekten sind dagegen eine sehr seltene Spezies. Doch wie gesagt: das Haus wächst nicht mit. Und wenn dann die Gattin, angesichts dessen, was sich alles noch so häkeln lässt, droht, “sie habe noch viel vor!”, dann reißt bei mir gewiss alsbald der garantiert nicht aus Wolle bestehende Geduldsfaden. Denn weder verspüre ich das brennende Verlangen, in den mir noch verbleibenden Jahren Stockwerk um Stockwerk aufs Haus zu setzen, noch das Haus bis zum Mittelpunkt der Erde hin zu unterkellern, und überhaupt bin ich ganz und gar nicht gewillt, für den Rest meiner Tage Tag für Tag nach Feierabend ein Bad in gehäkelter Menge nehmen zu müssen. Warum kann ausgerechnet meine Gattin nicht ein Hobby wie ein mit einer auf gerade gewachsenen Beinen stehenden Psyche ausgestatteter Mitmensch haben!? Sie könnte doch samstags wie ein ganz normaler Mensch ins Stadion gehen um Schalensitze herauszureißen und diese dann auf die gegnerische Mannschaft, heimische Ordnungskräfte und Schürze tragende Bockwurstbudenbedienstete werfen. Da brächte sie gegebenenfalls nur blaue Flecken und Hautabschürfungen mit nach Hause und die nehmen, ohne dass ich jetzt der ganz große Fachmann in Sachen Epidermis wäre, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kaum Platz in Anspruch. Oder Reichsbürger könnte sie werden. Da kann sie über lange Stunden hin seitenweise hochkomplexe Pamphlete verfassen, die dann bestimmt auch nur für sehr kurze Zeit bei uns im Hause lagern dürften, denn die am gesunden Menschenverstand kratzenden Schriften müssten ja umgehend aufs Amt, um dort den angesichts der Papierberge hoch erfreuten und laut Reichsbürgern mit der deutschen Geschichte fremdelnden Bürokraten Mores zu lehren. Und an jedem Wochenende kann sie Deutschland in den Grenzen von 1937 mit Wimpeln abstecken. Da ist sie viel an der frischen Luft und braucht uns nicht aus Langeweile die Bude voll häkeln. Aber nein. Sie häkelt. So liegt es nun also an mir, denn schon der große Denker Immanuel Kant wusste, dass wohl die Akzeptanz der Hauptteil des Glückes sei, so dass ich mich, Kant und Krise im Hinterkopf, still und ohne Zorn zwischen die Puppen mit und ohne Mütze und die Hasen mit Bart quetsche. Da sitze ich ja nun auch gar nicht mal so unbequem. Bombenfest verkeilt zwischen Puppe und Hase: da kann ich dösen ohne die Gefahr, eingeschlafen mit der Stirne auf die Kante des schweren Eichentischs zu knallen. Und mir bleiben ja auch noch die Stunden, die ich in der Firma, also außerhalb des Hauses bin und somit fern von wollener Bedrängnis frei und tief durchatmen kann. In der Firma ist niemand aus Wolle und da sieht auch keiner niedlich aus. Bärbeißig und aus Fleisch sind die meisten und das Beste daran ist, die sitzen bei mir zu Haus gewiss nie auf Sessellehnen, Couchrückenteilen, eigens angefertigten Wandregalen und liegen auch nicht neben mir im Bett und auch nicht neben meiner Frau. Das ist gut und wär noch viel besser, wenn nicht spätesten kurz vor Feierabend eine Nachricht meiner Gattin auf meinem Smartphone landen würde, ein Foto von einem neuen woll’nen Hausgenossen, nigelnagelneu, just vor nur wenigen Augenblicken aus dem Uterus der handwerklich hyperaktiven Hände meiner Gattin geschlüpft, und darunter, wie so oft und immer, die obligatorische Aufforderung: “Hab mich lieb!”
Morgen, spätesten übermorgen, erdolche ich mich. Und zwar mit der verdammten Häkelnadel.