Die modernen Samariter - Ein Hörspiel -

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>NÄCHSTENLIEBE IM JAHR 2020<

Ein Hörstück von Gherkin Green

Die Personen (8):

Männliche Stimme, Erzähler
Weibliche Stimme, Erzählerin

Diese beiden Stimmen erzählen sämtliche Geschehnisse neben den Dialogen, es sind keine Vorgaben angedacht, wann die WS und wann die MS zu sprechen hat. Günstig wäre es allerdings, die besonders dramatischen „Zwischenräume“ von der männlichen Stimme sprechen zu lassen, wogegen im Bereich der Empathie und der vorgeblich mitfühlenden Anteilnahme am besten die weibliche Stimme sprechen soll.

Arved Zakaria Sartory, Verletzter
Danny Moldenhauer, Unfallfahrer I
Walter Reiffenstecher, Passant
Klaus Grebert, Unfallfahrer II
2 Rettungssanitäter, sehr jung

Außerdem: Mehrere Stimmen, Rufer, Voyeure, „Volk“ allgemein, Kinder, Hunde, viel Geschrei, Hupen, div. Vogelstimmen, Fahrrad-Klingeln und mitunter auch hohe, spitze Frauenschreie, stets kurz nach den Unfällen, eben ein wenig Atmo.

PROLOG

Männlicher Sprecher (sonore, warme, tiefe Stimme, eindringlich, ähnlich Otto Sander, aber nicht ganz so knautschend)

„Denn gar töricht erscheint doch jener Mensch, der täglich, ja sogar stündlich, über sein nahendes Ende sinnierend, mutig seines Weges dennoch stetig voran schreitend, seinem Exitus so souverän wie nur irgend möglich entgegen zu taumeln sucht, hilflos, verstört, verlegen grinsend, verunsichert und sich angesichts des Todes zu amüsieren sucht, irgendwie. Ist es Zerstreuung nur, ist es rastloses Erwarten?“

Weibliche Stimme (ein wenig kess, durchaus mit leicht sarkastischem Unterton, Franziska Pigulla ähnlich, tief und höchst einprägsam):

„Wenn mich nun also einer früge, wie es mir geht und was ich so treibe, laute meine Standard-Antwort stets: Ich versuche, so gleichmäßig wie nur möglich ein- und auszuatmen! Komplikationen gilt es zu vermeiden. Stress und Hektik dito. Und den Straßenverkehr natürlich. Ganz besonders den Straßenverkehr. Warum? Das hören wir jetzt gleich. Und es sollte Ihnen allen zu denken geben!“

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Männlicher Sprecher (ohne jeden Sarkasmus, leicht britisch unterkühlt):

„Es mag 12:12 Uhr sein, an einem beliebigen Samstag im Frühsommer. Eine Hauptverkehrsader einer recht großen Stadt, vielleicht Gelsenkirchen. Es könnte aber auch jede andere größere Stadt sein. Das ist für den Fortgang der Geschichte unerheblich. (Typische Geräusche sind zu hören: Hupen, Stimmen der Passanten, Kinderlachen, erneutes Hupen, einige Rufe, Hundebellen) [Einige Bremsen kreischen sehr laut auf, es kracht gewaltig.] Ein Frührentner mit Namen Arved Zakaria Sartory, 62, fliegt gute 4 m weit (der Aufprall, dumpf, ist klar zu hören), und bleibt neben der Straße, auf dem Trottoir, liegen, schwer verletzt, röchelnd. Sein Einkauf, eine prall gefüllte Mehrwegtasche mit dem Pseudo-Emblem eines bekannten Discounters, darunter steht in großen Lettern „RIEDEL LOHNT NICH´! ist etwas aufgeplatzt. Der Inhalt liegt verstreut herum, aber nichts davon direkt auf der Straße. Daher läuft der Verkehr unbeirrt weiter, nur der leicht geschockte Unfallfahrer hatte angehalten, um kurz nachzusehen, was mit diesem Fußgänger denn dort passiert sein mag, den er soeben angefahren hatte.“

Sartory, röchelnd, doch noch relativ gut zu verstehen, der Atem geht schwer, er hustet ab und an Blut: „Ich schaff´s nicht... Fahren Sie ruhig, junger Mann. Gehen Sie, mir kann jetzt niemand mehr helfen. Das hier überleb ich nicht, röchel, aaah.“

Der jüngere Mann, Anfang 30: „Ich ruf einen Rettungswagen. Sie sind mir direkt reingelaufen (die Stimme wirkt leicht vorwurfsvoll), was ist da nur in Sie gefahren, Mann? Direkt reingelaufen! (Stimme gereizt, nun deutlich vorwurfsvoll) Wie kann man denn nur so gedankenlos eine stark befahrene Hauptstraße überqueren, und das am hellichten Tag? Wie, frag ich Sie, Mann?“

Sartory: „Sie haben ja so recht. Ich hatte überhaupt nicht auf den Verkehr geachtet. Wollte einfach nur noch rüber... War so in Eile. Geschieht mir ja ganz recht. Lassen Sie mich einfach hier liegen. In Kürze ist es geschafft. Dann endet aller Mühsal Plage, fahren lasse ich sämtliche Hoffnung und auch jeglichen Zukunftsblick. Ich pack´s nicht mehr lange...“ Röchelt, keucht, spuckt in Abständen zwischen den Wörtern Blut, liegt direkt auf dem Gesicht; unbewegt seit dem schweren Aufprall.

Der Unfallfahrer ruft die Rettung, er begutachtet derweil den Schaden an seinem Gefährt, von allen Seiten: „Ja, Tach auch, Moldenhauer hier. Muss da einen Unfall melden, Veckelshorster Ecke Bedenkirchener... Ja, mit Blechschaden. Gar nicht mal so unerheblich... (Verärgert) Was? Ja, nein, da liegt einer. Ja, einer liegt da dumm herum. Wie? Ja. Der blutet auch. Was? Stabile Seitenlage? Aha, na ja, hm. So so. Verstehe. Werde sehen, was ich tun kann... Eigentlich hab ich ja überhaupt keine Zeit für so was. Ja, dankeschön auch (heftig verärgert) Ja gut, ich warte dann hier. Wird das lange dauern? Aha aha. Nun ja dann, Wiederhör´n. Einen was noch? Aah, einen angenehmen Tach. Ja, Ihnen auch... Ihnen auch.“ Beendet das Gespräch.

Die Verärgerung wächst in zunehmendem Maße. Er sieht wiederholt auf die Uhr, schüttelt unwillig den Kopf. Das passt ihm gar nicht ins Konzept eines noch frühen Samstags. Moldenhauer geht langsam zu Sartory hinüber. Dabei sieht er auf seinen lädierten Wagen zurück, achtet nicht besonders auf den starken Verkehr, ist ganz offensichtlich sehr verwirrt und durcheinander. Bremsen kreischen laut auf. All die vielen Einstellungen des 1. Unfalls können hier, 1:1, übernommen werden. Danny Moldenhauer fliegt gute 4 m weit, bleibt nach heftigem Aufprall, deutlich zu hören, halb auf dem Gehweg, halb auf der Straße, liegen. Röchelnd, stark blutend. Entsetzt steigt der Unfallfahrer aus seinem Gefährt, erschüttert, wie erstarrt, völlig entgeistert beglotzt er etliche Sekunden die ganze Szenerie. Er steht mitten auf der Straße, der Verkehr kommt zum Erlahmen, jedenfalls auf einer Fahrspur. Lautes Hupen. Nach dem kurzen Doppel-Statement zweier PKW-Lenker dann ein wahres Hupkonzert, mindestens 10 PKW sind daran beteiligt. Der Unfallfahrer kommt langsam zu sich, geht zu Moldenhauer, stockend, beugt sich zu dem sehr schwer Verletzten hinab, schüttelt ihn dann recht kräftig durch: „Alles in Ordnung mit Ihnen?“

Moldenhauer, schwach, aber einigermaßen verständlich, leicht verwaschene Stimme: „Nichts ist in Ordnung. Ich glaube, ich habe mir die Hüfte gebrochen. Und ich spüre meine Beine nicht mehr. Der Kopf dröhnt. Aber der Rettungswagen kommt gleich...“

Unfallfahrer II: „Aber ich hab doch noch gar keine Ambulanz gerufen!“

Moldenhauer: „Ich aber. Gerade eben erst...“ (röchelt, spuckt Blut)

„Wie jetzt?! Sie wussten, dass Sie angefahren werden würden? Ja, dass mich das Mäuslein beiße! Sind Sie denn ein Medium? Hab so einen noch niemals zuvor kennen gelernt. Kennenlernen dürfen. Das ist ja´n Ding. Wenn ich das zuhause erzähle... Dolle Sache das. Und ich mittenmang... Was für ein Glückstag!“

Moldenhauer: „Quatsch mit Soße. So ein Mumpitz, Mann.“ Zeigt unter großen, anscheinend qualvollen Anstrengungen

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Kommentare

28. Apr 2020

Schön und anstrengend zugleich.
Herzliche Grüße
Olaf

29. Apr 2020

Liebrer Olaf, ich sitze über Deinem Buch.
Bald erhältst Du die Rezension. A b e r -
sind wir nicht alle etwas anstrengend???
Und dies ganz besonders zu diesen sehr
schwer zu ertragenden Zeiten?

Ich brauche noch 4 oder 5 Tage, dann
bin ich durch. Hernach meine "Kritik".

Vielen Dank für Deinen Post, mein
Lieber. Ich freue mich immer, von
Dir stolzem Musaget zu hören. Es
mag für eine Freundschaft reichen.

Groetjes von Gherkin

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