>Hochachtungsvoll<

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Da gibt es einen Mann. Aus Ost-Lüneburg. Der heißt Hochachtungsvoll. Und zwar mit Nachnamen. Ein Vorname Hochachtungsvoll? Das ergäbe wenig bis gar keinen Sinn. Dieser Herr Hochachtungsvoll heißt mit Vornamen leider Bernd. Ich nenne ihn im Folgenden daher lieber Bernd. Das ist für uns beide einfacher. Für den Leser und den Verfasser dieser Zeilen. Ich weiß, ich könnte, wenn ich wollte, leider lieber Bernd schreiben. Oder auch lieber leider Bernd. Aber sehr viele Leser würde das nicht nur stark verunsichern, sondern auch vor den Kopf stoßen. Und wer möchte schon gern vor den Kopf gestoßen werden? Ob mit dem Handballen, einem Baseball-Schläger, mit derben Worten oder mit einer Gusseisen Bratpfanne. In jedem Fall ist das recht entbehrlich. Also lasse ich es. Und belasse es bei „daher lieber Bernd“.

Wann immer Bernd einen Brief verschickte, mit selbst gebasteltem Briefkopf, erhielt er einen erbosten Anruf vom Empfänger. Da wurde am Telefon ziemlich viel geflucht. Warum, zum Teufel (meist mit diesem Zusatz zum Teufel, weniger häufig zum Geier und, ab und an, zum dreimal verfickten Henry Kissinger; eigentlich, wenn man es so recht bedenkt, kam der letzte Fall nur ein einziges Mal vor) er denn nur zum Schluss des Briefes, bei der Höflichkeitsfloskel, so dummdreist sein müsse und gleich 2 x „Hochachtungsvoll“ schreibe? Und man zitierte das Briefende in der Regel boshaft:

„Hochachtungsvoll, Bernd Hochachtungsvoll.“

An dieser Stelle erfolgte im Telefonat meist ein keckerndes, demütigend gemeintes, extrem böses Knurren und Belfern, hernach wurden erneut Verwünschungen und, in der Regel, auch herbe Flüche ausgestoßen, die sich auch auf die Enkelsenkel des armen Bernd bezogen. Gerade letzteres kam dem Mann, dessen Initialen BH waren, so rein gar nicht zupass. Was gerade die Enkel seiner Enkel, und sogar noch deren Urenkel betraf, kannte er keinen Spaß. Hier musste der am Telefon solchermaßen oft belästigte Bernd mehrmals hintereinander schlucken, mitunter ballte er sogar eine Faust, nicht selten zog er die Stirn kraus, so sehr nahm ihn die Beschimpfung mit.

Dass dann auch noch im Briefkopf gleich 2 x „Hochachtungsvoll“ genannt wurde, war den meisten Anrufern ebenfalls Grund zur massiven Klage. Die Beschimpfungen am Rohr nahmen überhaupt kein Ende und erreichten bald ein Niveau, das hier gar nicht mehr benannt zu werden erlaubt sein sollte. Einige der Anrufer hatten eine Menge an Fantasie aufzubieten. Bernd lernte Schimpfwörter, die er zuvor noch nie gehört oder, besser, um die Ohren geprügelt bekommen hatte. Der „Grasdackel“ war ihm völlig fremd, auch ein „Hutsimpel“. Sehr lustig hätte er sicher, im Normalfall, ein Wort wie „Blötschkopp“ entgegengenommen, wüsste er nicht um die gesinnungslose, gewaltig große Wut der Anrufer, die ihn mit der kompletten Wucht ihrer Feindseligkeit brutal zu erdrücken suchten. Täglich. Er hörte "Pimmelotter", "Rosettendelfin", "Fratzengeschnetzeltes", "Notgroschenhackfresse", "Klotaucher", "Arschkrampe" und "Analbanane". Sehr verärgert haben ihn auch: "Klötenkobold" und "Steckdosenbefruchter". Richtig böse vergrätzt haben ihn "Krummnasiger Erkältungsbalsam-Schmuggler", "Niedere Gesichtsgrätsche", "Intelligenzallergiker" und "Seerosengießer".

Gerade der letztgenannte Anrufer, ein Ur-Kölner, brachte noch weitere fantasievolle Beschimpfungen, wovon Bernd aus Ost-Lüneburg nicht die Bohne verstand, die er aber allesamt für sehr exotisch und „hochinteressant bezüglich der Diktion“ befunden hatte.

„Aapefott“ oder „Botzedrisser“ hörte er da, immanent lautstark in seinen Gehörgang gedroschen, und „Büjjelschnigger“ plus „Flappes“. Alles wunderschöne Wörter, doch wenn sie als Schimpfwörter identifiziert worden sind, ergibt sich im Kopf ein gänzlich anderes Bild. Eben eines der Demütigung und Erniedrigung. Und da fällt das Grinsen dann schwer. Erschwert wird auch die lächelnde Miene. Bernd wiederholte diese im Grunde genommen spaßigen Wörter gleich bei Nennung leise, so, als wolle er sie langfristig im Gedächtnisspeicher bewahren. Doch sein „Botzedrisser“-Echo wollte gar nicht gut beim Kölner Anrufer ankommen. „Nachäffen, was? Nachäffen, wie?“ Der Mann tobte vor Wut. Und holte gleich richtig aus:

„Wer wird denn so dumm sein, in nur einem Brief gleich viermal „Hochachtungsvoll“ zu schreiben, aber dafür seinen Nachnamen nirgendwo anzumerken?“ Er sagte all das mit einer unangenehm lauten Stimme, die sich mitunter überschlug, mit stark kölschem Akzent, den ich hier als West-Lüneburger nicht in der Lage bin, auch nur im Ansatz wiederzugeben, und streute wieder seine kölschen Schimpfwörter ein, sehr klug wählte er dabei gewisse Satzpausen: „Fiese Möpp“, „Drüjen Halfjehang“, Föttchesbützer" und „Drömeldier, drömelijes“.

Er brüllte: „Bernd WER? Sind Sie wirklich so dumm? Bastelt sich Briefpapier mit Briefkopf und Fußzeile, schreibt 4 x Hochachtungsvoll, und vergißt seinen Nachnamen in mindestens 3 Fällen? Bernd wer? Zum Teufel!“

Wirklich jeder Anrufer hatte bösartige Anmerkungen zum Brief. In nur wenigen ging es um den eigentlichen Inhalt. Und auch hier, meist gegen Ende des sehr erhitzten Gespräches, wurde moniert, dass der Nachname fehle und dass 4 Floskeln einer wohlgemerkt aufgesetzten Höflichkeit zu viel des Guten wären. Diese Gespräche, ganz allgemein, waren Schimpfwort ärmer und deutlich weniger aggressiv, jedoch immer noch in erregter Manier geführt worden. Doch dann, bei den „Anmerkungen“, da ging auch hier die Post ab. Schnell fiel ein Wort wie „Trichterohr“, "Schiefhals", "Glubschauge" und "Eimerschädel" oder „Rüsselgumpen“. Oder Trübnickel. Hier konnte sich Bernd auch verhört haben. Er wusste es nicht mehr so genau. Später sagte er einmal, während eines ausgedehnten Leichenschmauses, es könne auch "Tumbnickel" gewesen sein.

Als ausgerechnet sein Chef, Herr Dr. Morchel Brecheisen-Kehrnichtum, ihn an einem Abend anrief, war Bernd von all den Anrufen und Beschimpfungen zuvor schon so gestresst, dass er sich nur noch mit "Ja? Bernd hier" meldete. Sein Boss beschimpfte ihn daraufhin: "Hören Sie, Hochachtungsvoll, wir sind im Bestattungswesen tätig. Da ist Höflichkeit und Seriosität oberstes Gebot! Ich verlange von Ihnen, dass Sie sich am Telefon stets mit Ihrem Nachnamen melden. Also, Ihr ausgesprochen peinliches "Ja? Bernd hier" ist in hohem Maße zu verurteilen. Man ist doch schließlich im Bestattungswesen tätig." Bernd erlaubte sich anzumerken, dass der Chef dies bereits kurz erwähnt hatte, gleich zu Beginn des langen Gesprächs. Das hätte er mal besser unterlassen. Denn jetzt wetterte, schimpfte, monierte und moserte der Boss aber so richtig los. In einigen Passagen der wüsten Beschimpfungen deckte Bernd den oberen Teil des Hörers mit seiner Hand ab, weil ihm die entsetzlichen Anwürfe, die bald sehr persönlich wurden, die Schamröte ins Gesicht trieb. Und wieder konnte er seinem Schimpfwörter-Sprachschatz neue, edelste Juwelen beifügen.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Herr Dr. Brecheisen-Kehrnichtum selbst felsenfest davon überzeugt war, dass ein Doppel-Name bei einem Chef eines Bestattungsunternehmens von mittlerer Größe nicht unbedingt zum Vorteil gereicht. Darauf angesprochen, konnte Brecheisen-Kehrnichtum durchaus gute 4 - 5 Dutzend Fälle auflisten, in denen sich der Kunde, der sperrigen Anrede wegen, gegen eine Kremierung des Großvaters oder gegen eine Seebestattung des Vetters in besagtem Bestattungsunternehmen ausgesprochen hatte. Die Umsatzeinbußen, so Morchel Brecheisen-Kehrnichtum, seien entsprechend gewaltig ausgefallen, vor allem in den Jahren 2007-2008. Es habe auch dazu geführt, das Gehalt des wohl besten Angestellten, Bernd Hochachtungsvoll, in schmerzhafter Art und Weise gekürzt worden zu sein. Erst im Jahr 2009 hatte es einen leichten Aufschwung gegeben (Schweinegrippe!), so dass Hochachtungsvolls Gehalt nun wieder, in etwa, den Stand der Jahre 2005-2006 erreichen konnte. Dies führte zur Anschaffung eines Kleinwagens, den Hochachtungsvoll jedoch nur 17 Minuten nach Ankauf schrottete. Die Versicherung zahlte nicht. Als unser Bernd daraufhin im Jahre 2012 eine Gehaltsaufbesserung einforderte, wäre er um ein Haar entlassen worden. Seither schwieg Hochachtungsvoll in Sachen Gehalt nachdrücklich. Und auch Brecheisen-Kehrnichtum sprach dieses Thema nie an.

Der Vollständigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein Anrufer, Bernd hatte den Namen so verstanden: Kreuzwendedich Schmutzbenester (oder ganz ähnlich), es war am frühen Abend eines Dienstags, der insgesamt 21.483 neue Corona-Fälle in ganz Deutschland brachte, sich verwählt hatte. Aber auch der beschimpfte Bernd schwer zum frühen Abschied: "Wie kann man sich denn nur mit "Hochachtungsvoll" am Telefon melden? Wie beknackt muss man sein...?" Sie sehen, unser Protagonist hatte es wirklich nicht leicht im Leben. Sehr oft weinte er einfach so vor sich hin. Immer dann, wenn seine 4. Gattin gerade nicht anwesend war. Hauptscheidungsgrund: Der exzessive Ankauf von Postwertzeichen. Vor einer Trennung ungern gehörter Satz: "Wenn Du jetzt auch nur noch einen Bogen Briefmarken kaufst, Bernd, dann lasse ich mich scheiden!"

Bernd war es bald so leid, bei 5 - 7 Anrufen täglich kein Wunder (Hochachtungsvoll war ein ausnehmend fleißiger Briefeschreiber), sich jeden Tag in der Woche, und am Sonntag sogar bis zu gut einem Dutzend mal, beschimpfen lassen zu müssen, dass er seine Post nur noch auf neutralen Briefbögen versandte. Ohne Briefkopf, aber mit einem herzhaften „Hochachtungsvoll“ zum Schluss. Kein Bernd, kein „Ihr Bernd“, auch kein doppeltes Hochachtungsvoll. Er beendete die Briefe mit seinem Namen. Das erschien ihm sehr geeignet, die Anrufer-Flut zu mindern.

Tatsächlich gab es nur noch sporadische Anrufe. Er habe vergessen, seinen Brief zu unterschreiben. Davon gab es vielleicht 3 - 5 in der Woche. So kam dieser Bernd Hochachtungsvoll langsam, aber ziemlich sicher wieder zur Ruhe. Als er eine nette Frau kennenlernte, und die ein Jahr darauf seinen Wunsch nach der Eheschließung mit einem klaren „Ja“ beantwortete, legte er seinen Nachnamen ab und nahm freudig erregt den ihren an. Er hieß fortan „Bernd Jasper (ja, ich weiß, ich hatte diesen Zweit-Vornamen nie erwähnt, dafür möchte ich mich entschuldigen!) Grüße“.

Interne Verweise

Kommentare

15. Jan 2021

Selbst Krause scheint sehr höflich hier!
(Sie sagt nur "SIE Knallkopp!" zu mir ...)

LG Axel

15. Jan 2021

Brillanter Text ! Neues sage ich damit ebenfalls nicht.
HG Olaf

15. Jan 2021

Man dankt herzlich. Auch Deine beiden Arbeiten
heute sind großartig. Ich hab beide mit viel Freude
gelesen. Chapeau! Gruß von Gherkin

15. Jan 2021

Gar nicht schlecht!
Die Idee ist gut, wird aber im echten Leben meist sogar übertroffen. Mir stand vor Jahren "Reiner Zufall" gegenüber und schrieb sich auch auf Nachfrage wirklich nicht wenigstens "Rainer"; was sich seine Eltern DABEI wohl gedacht haben – wenn sie überhaupt zu denken fähig waren?
Und im Familienkreis kursierte folgende Geschichte:
Ein „Herr Kreuzwendedich Hermann“ bekam eine hoch offizielle Rechnung mit der Anrede „Sehr geehrter Herr Kreuzwendedich“ und beschwerte sich umgehend massiv, fast unflätig, telefonisch bei dem Absender (vielleicht durch entsprechende Vor-Erlebnisse vorgeschädigt), dass er 1. einen so vertraulichen Umgang nicht gewohnt sei, mit seinem Vornamen angeredet zu werden, und 2. es ja wohl hinlänglich bekannt sei, dass zwischen dem Vor- und dem Nachnamen kein Komma gesetzt werde, daher eindeutig zu erkennen gewesen sei, dass sein Nachname "HERMANN" laute!!! (Mehrere „Verdammt noch mal“ wurden zwar nicht verbalisiert, konnten aber dem Tonfall des Telefonats durchaus entnommen werden.)
Eine Recherche des darob sehr betroffenen wie ratlosen Absenders (einem Verwandten von mir, daher aus erster Hand und also verbürgt) im örtlichen Telefonbuch ergab, dass der arme Mann dort tatsächlich unter "H" als "HERMANN, Kreuzwendedich" eingetragen war. Das Rätsel lautete fortan: Wer gibt seinem Kind einen SOLCHEN Namen???
Die Spekulationen im Familienkreis gingen dahin, dass seine sehr gläubigen Eltern HERMANN wohl nach dem Sterben ihres 7. Kindes im Säuglingsalter "Kreuz-wende-dich" gefleht haben mögen und als Gott (oder das Schicksal) dieses tatsächlich erhörte, sich genötigt sahen, ihrem 8. Sprößling eben diesen, wohl ihn schützenden Namen zu geben.
Das sind zwei wahre Geschichten.

15. Jan 2021

Ja, liebe noé, zugegeben, glasklar übertroffen! Weit sogar.
Ich verneige mich vor dem Star. Ich hab mich göttlich über
Deinen Kommentar amüsiert. Das war allererste Sahne.

Gruß von Gherkin

15. Jan 2021

... und als Geschichte habe ich es auch eingestellt, mit Verweis auf deinen Text.
(Danke, aber bitte deutlich kleinere Münze beim nächsten Mal ...) ;o))

16. Jan 2021

Ich hatte es nicht kleiner... Sorry. Aber ich fand es
wirklich so gut. Prima, dass Du es eingestellt hast.
Das ist perfekt.

Groetjes von Gherkin