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Es ist gewiss nichts so ungewöhnliches an Arachnophobie zu leiden und gewiss bin ich da in illustrer Gesellschaft, aber ja, ich leide daran bereits seit frühester Jugend. Vielleicht ist es aber nicht gut gewählt von "daran leiden" zu sprechen, es war vielmehr eine ... horrende Panik, die ich nicht einmal verlor, als ich raus auf das Land zog. Ich liebe das Landleben und es war mir selbstverständlich von Anfang an klar, hier mit diesem, für mich monströsen Getier, des öfteren in Kontakt zu treten.
Ich hatte die entfernte Hoffnung mich durch Gewohnheit von dieser lähmenden Furcht zu befreien. Vergebens! Nichtsdestotrotz aber war mir die Nützlichkeit der Arachniden durchaus verinnerlicht. Daher kollidierte hier mein rationales und wissenschaftliches Denken mit einer instinktiv und unkontrollierbaren Panik. Ich duldete sie aber dennoch fern von mir, an dem hohem Gebälk der Räume dieses meines alten Gutshauses, das sich noch vor der Stadteinfahrt nach Bergen auf Rügen befand, und freilich im Keller. Ich lebte allein und große Teile des Hauses waren von mir ohnehin gar nicht oder lediglich als Abstellraum genutzt. Hier ständig sauber zu machen und Insektenspray gegen diese ungebetenen Untermieter einzusetzen viel mir im Traum nicht ein. Außerdem eliminierten die Tiere im Sommer Fliegen und Mücken, die es, aufgrund der üppigen Vegetation die das abgelegene Haus umgab, in großer Zahl hier gab. Und der Mühlbach, der zwischen Bergen Süd und Tiltzow fließt, verschlimmert das Aufkommen ebenso wie das Walddickicht und der das ganze Jahr über fallende Regen.
Es hatte sich eine Hassliebe entwickelt, wo es früher nur hysterische Schreie, gefolgt von hämmernden Schuhabsätzen gegeben hatte. Und irgendwann einmal wurde mir bewusst, dass diese Insekten, zumindest in hiesigen Breiten, doch eher recht harmlose Vertreter ihrer Zunft waren und, wie gesagt, eher nützlich als schädlich. Doch noch immer ertrug ich nicht ihren auf mich gerichteten starren Blick aus einer Vielzahl von Augen.
Alles aber änderte sich mit Luisa. Sie war ein so sanftes wohlgestaltetes und filigranes Wesen. Sie faszinierte mich schon, als ich sie zum ersten Mal sah. Sie hatte ihr feines Netz im Bad errichtet, dicht an der Tür. Sie war kleiner als mein Fingernagel und dennoch gehörte ihr sofort meine ganze Aufmerksamkeit. Es waren ihre Farben, ein metallisches Grün mit schwarzen Streifen am kugligen Unterleib. Es erinnerte mich an eine Wassermelone. Dieser neue Gast schien mir eher eine tropische Variante zu sein. Etwas ähnliches hatte ich hier nie zuvor gesehen. Ich gab ihr den Namen Luisa und sprach täglich mit ihr, wohlwollend ja zärtlich, wie man es mit einer Katze tun würde. Ich dämpfte stets meine Stimme, denn ich befürchtete, dass die Tonwellen sie belästigen könnten.
Oft setzte ich mich in die Nähe der Spinne, die irgendwo in ihrem Netz auf Beute lauerte, und beobachtete sie. Sie blieb gewöhnlich still ohne meine Gegenwart oder meine Worte zu beachten. Anmutig wie ihre dünner, feingliedriger Körper, waren auch die Beutenetze, welche sie in stundenlanger Arbeit erschuf.
Viele Menschen liefen achtlos durch diese Kunstwerke aus Form und Statik und schreckten hoch, wenn es sich das Netz klebrig um ihr Gesicht oder einen anderen nackten Körperteil legte. Niemanden interessierte, wie lange eine Spinne für ein solches Kunstwerk benötigt hatte, welches sie gerade durch ihre Unachtsamkeit zerstörten, dass die feine Seide lediglich aus Eiweißmolekülen besteht. Und dennoch soll es im Urwald von Panama eine Spinne geben, so prächtig wie Luisa, die einen Faden webte, der tausendmal stärker als Stahl war.
Es gab andere Spinnen, die im Löchern lebten und ihre Opfer bissen und in ihr Versteck zehrten. Doch ob als Jäger im Netz oder am Boden, eines haben beide Arten gemeinsam – ihre Art sich zu bewegen. Es ist eher ein Schweben oder ein lautloses Gleiten, an glatten Wänden, Decken oder im hohen Gras einer Wiese. Die Beine sind wie eine Präzisionsmaschine koordiniert – schnell und fehlerfrei. Niemals würde eine Spinne über ihr eigenes Bein stolpern – ein Umstand, wo teilweise wir Zweibeiner häufiger scheitern.
Es gibt wohl kaum ein Tier, dass sich bei der Jagd auf seine Beute mehr Mühe gibt als die Spinne um eine etwas angenehme Atmosphäre im Anblick des Todes zu schaffen. Andere Tiere zerreißen ihre Beute in Stücke und Speisen die herausgerissenen, blutüberströmten Fleischteile, während ihr Opfer schmerzverzerrt, noch immer um sein Leben kämpfend am Boden liegt. Die Spinne aber trinkt die Körperflüssigkeiten und mumifiziert sein Opfer so. Faszinierend nicht wahr? Da ist es doch angenehmer von einer Spinne verspeist zu werden – zumindest, wenn man die Wahl hat. Doch ein jeder hat seine eigene Anschauungsweise.
Wie gesagt, meine Faszination wuchs immer mehr und meine Beobachtungen wurden immer länger und intensiver. Ich hatte keine Ahnung, wie lange eine Spinne leben könnte, ich schätzte erst einige Wochen. Erfuhr dann aber, dass die einheimischen Spinnen etwa ein Jahr alt werden und im Winter sterben, aus witterungsbedingten Gründen. Dann freute es mich zu hören das Spinnen, die unter guten Bedingungen leben, wie in geheizten Häusern auch zwei Jahre erreichen könnten. Ich grübelte darüber nach, wie ich Luisa im Winter ernähren könnte. Dachte daran Fleisch verfaulen zu lassen, damit aus Maden Fliegen wurden. Doch der Gestank schreckte mich. Ich war zwar ohnehin kein sozialer Mensch und hatte wenige Kontakte, nur auf das notwendigsten beschränkt, dennoch war ich nicht so verwildert. Dann erinnerte ich mich, dass die Zoohändler tiefgefrorene Mückenlarven verkauften, als Lebendfutter für Fische. Nach dem Kontakt mit Wärme leben sie erneut, entwickeln sich und werden zu Mücken, die mich gewiss als Nahrungsquelle betrachten werden, aber ich wollte das für Luisa auf mich nehmen.
Da war aber noch mein Zweifel bezüglich der Herkunft meiner Untermieterin und leider forschte ich lange vergebens. Niemand kannte diese Spezies und bezweifelte das es sich um eine auf Rügen einheimische handeln könnte. Und ich kontaktierte selbst berühmte Experten mit dem Internet. Dann führte mich der Zufall zu einem Sammler von Insekten, der mein Foto von der Spinne in einem Beitrag im Internet gefunden hatte. Er hatte mir 10 000 Euro geboten, erhöhte das Angebot noch mehrere Male, bis er endlich akzeptierte, dass ich Luisa tatsächlich nicht verkaufen wolle. Er machte eine seltsame Bemerkung, die ich nicht zu deuten wusste, eine
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Mit Absicht wird die Geschichte nicht komplett aufgelöst, ich will das Geheimnis nicht vernichten. Ich schreibe Kurzgeschichten, als Zyklus, sie greifen ineinander über und werden manchmal in anderen Geschichten weitergeführt.