Luisa - Page 3

Bild von Gothmog
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mehr herauskommt. Oder werden Intrigen gesponnen? Symbolisiert durch das Netz der Spinne. Doch wie und wer? Ich lebte doch zurückgezogen, allein! Nur ich und... Luisa.
Doch psychologisch wird mit diesem Bild auch die Angst des Mannes vor einer kalten, berechnenden Frau dargestellt. Dieses Bild deutet dann wahrscheinlich auf einen Mutterkomplex hin. Und das wiederum schien mir eine gute Erklärung. Im Traum ist die Spinne aber auf jedem Fall ein ernst zu nehmendes Gefahrensymbol. Sie kann den Anfang von schwerwiegenden seelischen Störungen, von Neurosen bis zu Psychosen signalisieren. Das erschreckte zwar auch, schien mir aber dennoch eine plausible Erklärung.
Zu diesem Zeitpunkt erhielt ich ganz unerwartet Besuch von Volker Puttmann der mich bat die Spinne sehen zu dürfen. Ich hatte nichts dagegen, ließ ihn aber nicht eine Sekunde unbeobachtet. Er betrachtete sie lange, auch mit Vergrößerungsglas. Selbstverständlich bedrängte ich ihn mit Fragen, denn er schien der Einzige zu sein, der diese Spezies zukennen schien. Doch er entgegnete:
"Leider ist diese Spinne wenig erforscht, was an ihrer Lebensweise liegt. Aber ja, es ist eine einheimische Kreatur. Nur hier in Bergen ist ihr Erscheinen ungewöhnlich. Ihr natürliches Habitat ist weiter nördlich auf der Insel Rügen, den äußerst beschränkten Raum zwischen Lohme und Glowe auf Jasmund. Allerdings sind sie nur am Anfang ihres Lebens so schön. Sie verändern sich später. Wurde dunkler, behaarter und größer. Sehr viel größer als dieses Exemplar hier, etwa bis 30 cm. Irgendetwas muss sie vertrieben haben oder wurde eingeschleppt. Aber es ist sehr schwierig sie aufzuspüren. Sie, mein Bester, sind wohl die einzige Person, die im Besitz eines lebenden Exemplares ist. Es ist ein junges Exemplar. Sie hat gerade Geschlechtsreife erlangt, wenn ihre Beobachtung vom kürzlichen Wachstum keine Täuschung war."
Es brach aus mir förmlich heraus: "Wissen sie ob es Männchen oder Weibchen ist?"
Puttmann antwortete bedächtig: "Mit Sicherheit ist es ein Weibchen. Wie ich sagte, ist die Spezies wenig bekannt aber niemals wurde ein Männchen gesehen. Das besondere dieser Spinne ist es das sie sich zur Fortpflanzung der Männchen anderer Spezies bedient."
"Sie meinen andere Spinnen?"
"Offenbar nicht nur, selbst in Höhlen lebende Nager waren ihre bedauerlichen Opfer. Die Spinne sendet ein Pheromon aus das auch bei nicht Spinnen wirkt. Sie ist wählerisch nimmt nicht jedes männliche Exemplar. Doch wenn sie ihn fand, überträgt sie die Eier in das Männchen. Dort gedeihen sie heran zu Spinnen. Durch einen Biss in die Atmungsorgane betäubt die Spinne letztlich das Männchen. Kurz vor dem Ausschlüpfen, denn die Jungspinnen benutzen das Männchen als Nahrungsquelle."
"Aber wie soll diese Paarung vonstatten gehen bei derart unterschiedlichen Lebensformen?"
"Wenn ich ihnen das sage, würden sie mich für verrückt halten." Er lachte daraufhin.
Ich schwieg in Gedanken beschäftigt, ein kalter Schauer überlief mich. Von nun an betrachtete ich Luisa mit anderen Augen und sprach nicht mehr zu ihr.
Ein paar Tage vergingen und als ich nach einer angenehmen, warmen Dusche vor dem Spiegel stand, bemerkte ich eine winzige Veränderung an meinem Oberarm. Mir war, als hätte sich der Bluterguss, der nun vollkommen einer Tarantel glich, etwas nach oben geschoben. Doch ich verwarf den Gedanken wieder und schüttelte meinen Kopf. Wie sollte so etwas möglich sein. Ich musste mich schlicht geirrt haben. Ich befürchte bereits ernsthaft verrückt zu werden. Und auch weil mir Luisa vorkam, als würde sie mich nun feixend anstarren mit ihren vielen Augen. Sie kam mir auch nicht mehr so schön vor. Sie wurde größer aber auch plumper und verlor ihren metallischen Glanz. Doch dann dachte ich wieder an Puttmann. Wieso wusste er so viel von dieser Spezies? Er hatte zwar selbst gesagt das sie wenig bekannt und erforscht ist, umsoerstaunlicher seine Kenntnisse. Eigentlich war er überhaupt der Einzige, der etwas wusste. Und da wurde mein Geist plötzlich hellwach.
Wollte Puttmann mich betrügen? Er stellte mir die Spinne als etwas ekelhaftes dar. Mochte er meine Arachnophobie erkannt haben. Ich war mir nicht sicher, aber vielleicht hätte ich diese selbst erwähnt bei unserem ersten Telefonat. Er wollte mir viel Geld bezahlen für die Spinne. Vielleicht hatte ich ja eine unbekannte Spezies entdeckt. Puttmann wusste das und wollte den wissenschaftlichen Ruhm erhaschen. Ja das war das Einzige, was Sinn ergab und rationell schien. Vielleicht versuchte er mir etwas zu suggerieren? Vielleicht war dieser Fleck auf meinem Arm gar nicht von der Form einer Tarantel, nur ein Produkt der Suggestion und deren Einwirkung auf meinen debilen Geisteszustand? Und wirklich, beim Betrachten meines Armes, schien es nun als verschwimmen die Umrisse des Males und wurden zu einem ordinären Bluterguss. Oder sogar verschwand ganz.
Aber es geschah etwas weitaus Seltsameres. Wieder einige Tage später bemerkte ich einen weichen Flaum von dunklen Haaren, der sich über den zurückgekehrten Fleck in Form einer Spinne legte und diese noch echter erscheinen lies. Gleiches schien aber auch mit Luisa zu geschehen.
Mein Oberarm war stärker angeschwollen, als dies zuvor der Fall war. Das Mal hatte sich auch auf merkwürdige Weise verändert. Ich hätte schwören können, dass diese Tarantel noch vor wenigen Tagen eine andere Lage gehabt hatte. Es schien mir, als hätte sie sich etwas gedreht. Langsam wurde ich wieder unruhig, da auch der Flaum auf der Tätowierung fester zu werden schien. Und begann einen Psychologen in den Gelben Seiten zu suchen, nur um das Unterfangen aufzugeben. Sollte ich zugeben verrückt zu sein?
Ich machte mir stattdessen mit einem Kugelschreiber eine Markierung auf meinen Oberarm, direkt unterhalb an einem der behaarten Spinnenbeine. Anscheinend wurde ich langsam verrückt; meine Fantasie spielte mir einen bösen Streich. Es war doch vollkommen unmöglich, dass sich ein Bluterguss bewegte. Aber es war wirklich so. Zwei Tage später untersuchte ich meinen Arm; die Markierung lag nun etwa einen Zentimeter unter dem Spinnenbein. Ich stand da, wie vom Donner gerührt. Ich erlebte etwas, dass ich nicht logisch erklären konnte und dieser Umstand jagte mir einen mächtigen Schreck ein.
Ich ging schließlich zum Arzt aber zum Allgemeinmediziner. Der nahm meinen Bluterguss nicht ernst. Der Arzt lies süffisant die Bemerkung fallen, dass mich wohl meine Spinne gebissen hatte; jedoch das Lachen von mir blieb aus. Nein, ich war mir eigentlich schon fast sicher, dass es wirklich so sein musste. Doch wem sollte ich das sagen? Dem Arzt etwa? Dieser würde mich wohl gleich an einen Kollegen aus der Psychiatrie überweisen. Also schwieg ich und nahm die Salbe entgegen, die eigentlich eher bei Mückenstichen helfen würde. Die Mücken, fiel es mir ein! Mochte es einen Zusammenhang geben zwischen den Mücken, die ich im Badezimmer züchtet in kleinen Mengen zwar, und meinem Arm? Hatte eine mich gestochen und vielleicht irgendwo ein Fieber übertragen das mich halluzinieren ließ?
Zu Hause angekommen stellte ich mich mit nacktem Oberkörper vor den Spiegel. Der Spinnenfleck schien zu lauern und mir war, als würde sie sich zum Sprung bereit machen. Ich füllte mich plötzlich wie eine Beute und eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Und Luisa starrte mich auch starr an. Hämisch, wie es schien. Sie schien behaart zu werden. Nun empfand ich die Furcht und den Ekel vor dieser Spinne.
Mit zitternden Fingern fuhr ich vorsichtig über das Mal, in Erwartung, dass die Spinne sich auf irgendeine Weise bewegen würde. Die Haare auf den aufgezeichneten Beinen und dem Oberkörper der Tarantel waren nun richtig schwarz und sie fühlten sich auch nicht mehr menschlich an. Doch sie blieb regungslos und schien mich mit ihren runden, pechschwarzen Augen genauestens zu beobachten.
Ich nahm eine Nadel und führte diese langsam zu meinem Bluterguss. Dann stieß ich zu. Die Nadel bohrte sich in den Kopf der Spinne und damit auch tief in meinen Oberarm. Ein kurzer Schmerz bereitete sich aus und kleine Blutstropfen quollen aus dem Einstichloch. Das Blut wirkte seltsam dunkel, fast schwarz und mir war, als hätte ich für einen kurzen Moment ein schmerzhaftes Aufbäumen von Luisa bemerkt. Ich weigerte mich zu glauben, dass es sich bei dem Bluterguss an meinem Arm um eine Verbindung zwischen mir und Luisa handeln könnte.
Langsam zog ich die Nadel wieder aus meinem Oberarm heraus und somit auch aus der bewegungslosen Tarantel, deren Augen zu glänzen schienen.
Wieder vergingen einige Tage, in denen ich es vermied, die Spinne auf meinem Arm anzuschauen. Sie war ein Teil von mir – doch irgendwie war sie dennoch fremd und nun auf eine unbeschreibliche Art bedrohlich. Dann kam für mich die Gewissheit.
Ich stand wieder vor dem Spiegel und rasierte mich, als ich einen kleinen, schwarzen Strich auf meiner Haut wahrnahm, der sich etwa einen Zentimeter über meinem Hemdrand befand. Den Kragen hatte ich nicht geschlossen. Ich strich mit meiner nassen Hand darüber, jedoch er lies sich nicht entfernen. Dann zog ich den Rand des Hemdes etwas nach unten, um zu sehen, womit ich mich da eigentlich beschmutzt hatte. Vor lauter Schreck, lies ich das Rasiermesser in das leere Waschbecken fallen. Der vermeintliche Strich war ein Stück eines der Beine des Spinnenmales. Dann zog ich das Hemd aus und verschaffte mir Gewissheit. Die Tarantel war von meinem Oberarm bis hin zu meiner Schulter gewandert. Sie wirkte auch größer als vorher – ihr Magen schien gefüllt zu sein. Mein blasses Gesicht schaute mich aus dem Spiegel verständnislos an.
Wie zum Teufel konnte das möglich sein? Es gab hierfür keine natürliche, keine logische Erklärung. Dieser Bluterguss lebte und ernährte sich von mir. Ich musste sie vernichten. Sie war nicht mehr weit von meinem Hals entfernt und ich wollte nicht wissen, was passieren würde, wenn sie dann zubeißen würde. Bestimmt würde mein Hals auch so anschwellen wie mein Oberarm – vielleicht würde ich ersticken.
Dann viel es mir wieder ein – die Wolfspinne betäubt ihre Beute durch einen Biss in die Atmungsorgane. Und Puttmann hatte das auch gesagt. Es musste etwas geschehen.
Mit fliegenden Fingern durchsuchte ich die Schublade meines Schrankes nach dem Handy und wählte, nachdem ich diese endlich gefunden hatte, mit zitternden Fingern den Rettungsdienst an um ihnen ein allergische Reaktion zu melden, die meine Erstickung verursachen wird. Denn ich bezweifelte, dass sie mir die Wahrheit glaubten.
Als ob die Tarantel ahnte, was ich vorhatte, konnte ich nun zum ersten Mal deutlich eine langsame Bewegung erkennen. Nur einige Millimeter – aber sie hatte sich bewegt. Ich musste nun handeln. Schnell handeln.
Wieder eine kurze Bewegung auf oder in meiner Haut. Ich war schon nicht mehr ganz Herr meiner Sinne. Mein schneller Atem flog durch den Raum und mein Puls schlug bis zum Hals.
Säure – schoss es durch meinen Kopf. Es war die einzige Möglichkeit, die ich hatte. Ich hatte aber keine Säure. Was ich im Badezimmer hatte, war Ätznatron, für den Fall einer Verstopfung der Rohre. Nur noch wenige Zentimeter trennten die Spinne von meinem Hals. Ich musste handeln... Nicht denken ... nicht denken... nicht denken... Es waren viel zu viele Kristalle, die ich auf meinen Oberkörper geschüttet hatte. Zuvor legte ich mich auf den Boden und benässte alles mit warmen Wasser.
Ein beißender Gestank nach verbranntem Fleisch und die lauten Schreie aus meiner Kehlevermischten sich mit dem unsagbaren Schmerz, welchen ich empfand, während sich die Base langsam durch meine Haut fraß. Dann wurde es dunkel vor meinen Augen und ich fiel in eine tiefe Ohnmacht. Als ich wieder erwachte, holte mich der Schmerz sofort ein. In meinem Delirium bemerkte ich eine Gestalt um mich. Ich dachte an die Sanitäter, doch es war Puttmann. Er schien mich zu untersuchen an meinem Rücken oder etwas herauszuschneiden, dann verlor ich erneut die Besinnung.
Ich erwachte im Krankenhaus. Es war bereits Abend geworden. Es mussten also Stunden vergangen sein. Ich hatte es geschafft, die Tarantel war zerstört, genauso wie mein Oberkörper. Nichts erinnerte mehr an ihr Vorhandensein. Zitternd vor Schmerz und Kältestand ich vor dem Spiegel und mit Tränen in den Augen fühlte meinen zerfressenen Körper.
Die Krankenschwester gab mir ein Spritze. Alles um mich begann langsamer zu werden, die Schmerzen verschwanden, die Stimmen wurden tiefer und leiser und sie klangen wie aus einer anderen Welt. Ich spürte nur noch Müdigkeit und das Verlangen meine Augen für einen kurzen Moment zu schließen; nur für einen Moment...
Dann hörte ich, wie durch eine dicke Wand gesprochen, die Stimme des Sanitäters dessen Worte mich laut aufschreien lassen wollten, jedoch ich schaffte es nicht mehr, da die Spritze ihre Wirkung nicht verfehlt hatte.
„Auf seinem Rücken befinden sich seltsame, kleine schwarze Punkte. Hunderte....“
Die Spinne hatte mich als Nistplatz genutzt und diese schlüpften nun, ich fühlte wie sie es taten und sich durch meinen Körper fraßen, doch ich konnte nichts sagen, wegen der Spritze.

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Mit Absicht wird die Geschichte nicht komplett aufgelöst, ich will das Geheimnis nicht vernichten. Ich schreibe Kurzgeschichten, als Zyklus, sie greifen ineinander über und werden manchmal in anderen Geschichten weitergeführt.

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