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meiner Dummheit, unbedingt krank sein zu wollen, eigentlich wirklich angerichtet habe, welch ein Leid ich Matthew und in weiterer Folge auch Vince gerade zufüge, wie sehr ich sie mit meiner Unbesonnenheit verletzt habe. Es tut mir unendlich leid, dass ich ihnen ihr Dasein so erschwere, ihre Freundschaft würdige, indem ich ihnen eine mehr als schlechte Freundin bin, bin Matthew auch unendlich dankbar dafür, dass er sich ein „Ich habe es dir doch gesagt!“ oder so etwas Ähnliches verkneift, denn ich hasse es wie die Pest, wenn mir jemand derartiges unter die Nase reibt, selbst, wenn er dies zurecht macht, mit dem Recht behalten hat, was er mir unterbreitet hat, so wie es bei Matthew nun der Fall ist, meine Entscheidung, nach Manhattan gefahren zu sein, bereue ich aber dennoch nicht im Geringsten. Als ich wieder im Hotel, wieder auf meinem Zimmer war, beendete ich das Gemälde für Matthew, was auch höchste Zeit wurde, da morgen bereits Heiligabend, der 24. Dezember, somit sein Geburtstag ist. Ich liebe Weihnachten, liebe dieses friedvolle Fest über alles und liebte es, die Feiertage erst mit meiner Mutter und meinem Vater und dann nur noch mit meinem Vater zu verbringen, zusammen mit ihm den Christbaum zu schmücken, Kekse zu backen, Weihnachtslieder zu singen und Geschenke auszupacken. Obwohl dieses Weihnachten eigentlich ein ganz besonderes Fest ist, das Weihnachten heuer das erste Weihnachten ist, dass ich unter anderem auch mit Matthew und Vince verbringen werde, so wird es trotzdem ein tristes Fest werden, ein Fest ohne jegliche Dinge, die einfach dazugehören, ein Fest, das ich wesentlich lieber bei meinen Freunden und meinen Eltern im Himmel verbringen möchte.
24. Dezember 1810
Es ist Heiligabend und soweit ich mich erinnern kann, war dies der erste 24. Dezember, an dem ich Fieber hatte. Ich fühlte mich gar nicht gut, als ich heute Morgen munter wurde, zündete eine Kerze für Matthew an, die ich aus Mankato mitgebracht hatte, überreichte unserem Geburtstagskind sein Geschenk, ein Portrait von Jesus, über das er sich sehr freute, blies daraufhin die Kerze wieder aus und legte mich wieder hin, schonte mich Matthew zuliebe, um ihm seinen Geburtstag nicht zu verderben. Matthew und Vince blieben eine Weile bei mir, verwöhnten mich mit Streicheleinheiten, bevor sie sich dann in den Himmel begaben, und kaum waren sie fort, überkam mich so ein seltsames Gefühl, ein Gefühl, das weder unbehaglich, noch schlecht, noch angenehm, noch schön, eben einfach nur seltsam war. Ich stand auf, zog mich mühselig um und wollte frühstücken, versuchen, etwas zu essen, wenigstens etwas zu trinken, als ich plötzlich das dringende Bedürfnis verspürte, mein Testament zu verfassen und dieses an Cassandra zu schicken. Was dies zu bedeuten hatte, dies ein Zeichen dafür war, dass es auch für mich bald an der Zeit war, zu gehen, ich da gerade mein nahendes Ende fühlte, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, hatte außerdem keine Kraft, mich näher damit zu befassen, machte daher einfach, wonach mir gerade war, schrieb meine Wünsche auf ein Blatt Papier aus dem Notizblock und gab diesen Brief an Cassandra adressiert bei der Post auf. Dies erledigt, spazierte ich zu Matthews Statue, blieb vor ihr stehen und sehnte mich plötzlich nach meinem Bett, nicht nach dem Bett im Hotel, sondern nach meinem richtigen, nach meinem Zuhause in Mankato und den Leuten dort, wünschte mir in diesen Momenten nichts sehnlichster, als bei ihnen zu sein, mit ihnen diesen besonderen Tag zu verbringen. Mir wurde schwindlig, immer seltsamer, legte mich deswegen auf den Boden und es dauerte nicht lange, bis mir dann vor Müdigkeit nach und nach die Augen zuzufallen begannen. Ich weiß noch, wie ein paar Passanten zu mir kamen und mich fragten, was ich denn habe, mir denn fehle, und das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass, als ich wieder aufwachte, die Leute wieder fort waren, absolute Stille in der Stadt herrschte und es schneite. Frei von jeglichem Fieber, frei von Husten, frei von Schnupfen und frei von jeglichen Schmerzen starrte ich in den Himmel, bewunderte die vielen Flocken, mit denen auf einmal auch kleine Sterne auf die Erde fielen, Sterne, die in den buntesten Farben schimmerten. Ich war beeindruckt, kümmerte mich gar nicht darum, wie dies möglich war, als es dann auch noch rot leuchtende Herzen zu schneien anfing. Ich hörte Matthews Stimme, hörte, wie mein Kamerad mich verzweifelt anflehte, zu kämpfen, und ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was er damit meinte, wollte mich danach erkundigen, als ich sah, wie er neben mir auf dem Boden kniete und bitterlich weinte. Ich fragte Matthew, was denn los sei, wollte wissen, was er denn habe, und legte meine Hand auf seine Wange, streichelte ihn mit meinem Daumen, streichelte ihm eine Träne weg, doch er antwortete nicht, tat lediglich seinen Kopf auf mich und ich streichelte ihm übers Haar. Ich bestaunte weiter die Schneeflocken, die Sterne und die Herzen und dabei wurde es mir auf einmal klar, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es war endlich soweit! Gott hatte mich endlich ebenfalls zu sich gerufen und voller Freude darüber drehte ich meinen Kopf zur Seite und entdeckte, wen ich zu entdecken erhoffte. Seine Hände in seine Hosentaschen gesteckt und ebenfalls weinend stand Vince ein Stück von Matthew und mir entfernt und ich freute mich, freute mich darüber, dass Matthew und er bei mir waren, bei mir waren, um mich in den Himmel zu begleiten. Ich war tot, wirklich tot, bestimmt vor Matthews Statue gestorben, und wie so oft seit ich Matthew kenne, war ich fassungslos, fassungslos vor Glück. Matthew entschuldigte sich bei mir, dass er sich nicht mehr angestrengt hatte, mich von der Reise hierher nach Manhattan abzuhalten, lastete sich die Schuld an meinem Tode auf, doch er hat nicht Schuld daran, ebenso wenig wie ich Schuld an seinem Tode habe, das ist mir nun klar, bin außerdem froh darüber, dass mir kein längeres Dasein auf Erden vergönnt war, denn nun kann ich bei all meinen Lieben, bei meinen Eltern, Vince und ihm sein. Gleich nach meiner Ankunft im Himmel brachten Matthew und Vince mich auf die dortige Weihnachtsfeier, die zugleich auch als Geburtstagsfeier für alle, die heute Geburtstag haben, gedacht war, und dort traf ich auch meine Eltern wieder, verbrachte zusammen mit ihnen, Jesus und vielen weiteren Engeln das traumhafteste Weihnachten, das ich jemals in meinem Leben erlebt habe.
24. Jänner 1811
Seit einem Monat bin ich nun eine von oben, ein Engel wie Matthew, Vince und meine Eltern, und ich bin glücklicher denn je zuvor, kann nun mit all meinen Lieben beisammen sein und gemeinsam mit Vince und Matthew die Welt da unten ein Stück besser machen, worauf ich ganz besonders stolz bin. Auf meine Bitte hin, die ich ihr in meinem Testament, meinem Brief an sie mitgeteilt habe, hat Cassandra Vaters Laden und auch die dazugehörige Wohnung einer armen, obdachlosen Familie überlassen, die sowohl die Arbeit als auch ein Dach über den Kopf mehr als dringend benötigten, und auf einer, ebenfalls von Cassandra veranstalteten Benefizauktion brachten meine Gemälde, die in meinem Zimmer und im Laden herumstanden, mehrere hundert Dollar ein, die einem Bau eines Waisenhauses in Mankato zugutekommen. Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass sich auf der Erde etwas verändert, sich zum Positiven wendet, und daran auch noch maßgeblich beteiligt zu sein und selbst wenn es mich mitunter schmerzt, dass vielen Menschen in Mankato, allem voran jedoch Cassandra mein Tod sehr zu Herzen geht, so würde ich meine neuen Aufgaben, mein neues Dasein als Engel gegen nichts eintauschen wollen, war es absolut kein Fehler von Gott, mich jetzt schon zu sich zu rufen, war dies das Beste, was mir jemals passieren hätte können.