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als ich neuerlich daran zu zweifeln begann, ob der Reverend tatsächlich auch von sich aus mein Freund sein wollte, es vielleicht nicht doch gar Einbildung war, legte dieser neuerlich seine Hand auf meine Schulter, verhinderte damit, dass ich mich erneut völlig um etwas zu sorgen, mich wegen etwas fertig zu machen anfing, dass ohnehin nicht der Realität entsprach. Ich musste mich ziemlich beherrschen, damit ich nicht erneut vor Rührseligkeit zu heulen begann, und verriet dem Reverend, dass ich ihn lieb habe, und dass er genauso für mich empfindet, er mich ebenfalls lieb hat, teilte er mir mit, indem er mich umarmte.
29. November 1810
Heute Mittag trug ich meine fertigen Gemälde in den Laden und stellte sie dort aus, als mein Vater und eine Frau gerade bei einer Kommode standen und sich über diese unterhielten. Die Frau war hin und weg von dem Möbelstück und bedauerte es sehr, dass sie es nicht kaufen konnte, sie mit der Postkutsche auf der Durchreise war, denn da die Postkutsche ohnehin schon mit Gepäck vollbeladen war, der Kutsche die Kommode daher nicht mehr aufladen konnte, war es ihr leider nicht möglich, das Möbelstück selbst nach Hause zu transportieren, weswegen mein Vater ihr vorschlug, sie ihr zuzustellen. Er war sofort Feuer und Flamme, ihr sie in ihre Heimatstadt Wisconsin zu bringen, und weil er sie alleine nicht dazu überreden konnte, seinem Angebot einzuwilligen, unterstützte ich ihn dabei. Es dauerte zwar etwas, bis die Frau nachgab, wir sie davon überzeugt hatten, dass sie meinem Vater damit keine Umstände, sogar noch eine Freude machte, doch schließlich stimmte sie dem Kauf der Kommode dann doch ein und war somit auch einverstanden, dass mein Vater das Möbelstück nach Wisconsin fuhr. Mein Vater war überrascht, dass auch ich dafür war, dass er diese lange Reise antrat, wo ich sonst stets dagegen gewesen war, dass er solche auf sich nahm, bildete sich ein, dass ich ihn loswerden wollte, war selbst dann noch dieser Behauptung, als ich es abstritt, doch ich sagte ihm die Wahrheit. Es war und ist nicht gelogen, dass ich ihn nicht loswerden, niemanden zu mir einladen wollte, von dem er nicht wissen sollte. Ich wollte ihm lediglich den Spaß nicht verderben, wieder neue Gebiete zu erkunden, alten und auch neuen Freunden zu begegnen, denn nun, wo der Reverend ja für mich da ist, werde ich auch nie einsam sein, kann mir auch nicht das Geringste zustoßen, denn einen besseren Schutz als jener eines Engels existiert nicht, und falls er mal doch keine Zeit für mich hat, etwas anderes im Himmel oder sonst wo zu erledigen hat, kann ich mich auch mit Cassandra treffen, Nachbarn besuchen, was ich auch schon ewig nicht mehr getan habe, oder zur Not auch den Laden öffnen, was aber eher nicht der Fall sein wird, ich mich bis auf den Handel mit meinen Gemälden doch lieber im Hintergrund halte, den Laden lieber meinem Vater überlasse. Noch heute Nachmittag begab sich mein Vater zusammen mit der Kommode auf die Reise nach Wisconsin und nachdem er fort war, zeigte ich Matthew die Stadt, führte ihn in Mankato herum und das natürlich ohne dass ich mir etwas davon anmerken ließ, mich von den anderen Leuten anmerken ließ, dass ein Engel mich begleitete. Es leben zwar vorwiegend gläubige Menschen hier, Gläubige, die ebenso wie mein Vater und ich unter anderem auch an das Jenseits glauben, doch ich bin so ziemlich die Einzige, die daran glaubt, dass Verstorbene als Engel tatsächlich wieder auf die Erde zurück können, Gott selbst dies ihnen ermöglicht, weshalb mich alle bestimmt für verrückt erklären würden, wenn sie von meinem Geheimnis wüssten, auch bloß den Hauch einer Ahnung davon hätten. Nach unserem Rundgang in der Stadt kehrten wir ins Gasthaus von Cassandras Eltern ein und ich unterhielt mich dort noch bei einigen Tassen Kaffee mit Cassandra, bevor ich dann zuhause noch ein wenig malte und mich nun gemeinsam mit Matthew an meiner Seite schlafen lege, mit ihm noch ein wenig kuschle.
1. Dezember 1810
Sturm und Regen haben gestern meine Heimat erreicht und nachdem Cassandra, die mich am Abend besucht hatte, mich wieder verlassen hatte, malte ich bis tief in die Nacht hinein, lauschte dabei dem schlechten Wetter, an dem ich persönlich jedoch selten etwas auszusetzen habe. Ich kann von dem Pfeifen des Windes und dem Prasseln des Regens gar nie genug bekommen, kann mich bei einem Unwetter oftmals weit besser entspannen als bei Sonnenschein, liebe die Geräusche, die es stets verursacht, und außerdem inspiriert es mich oftmals zu neuen Motiven für meine Gemälde, zu den tollsten Bildern, für die ich auch von meinen Käufern ausgezeichnete Kritik ernte, von ihnen sehr gemocht werden. Mir fielen vor Müdigkeit schon fast die Augen zu, als ich meinen Pinsel beiseitelegte und schlafen gehen wollte, ja, wollte, bloß kam ich nicht dazu. Gerade als ich mich in mein Nachtgewand gekleidet hatte, klopfte jemand an die Tür und ich zögerte, traute mich nicht, mich zu melden, geschweige denn meinem späten Gast zu öffnen. Ich bin kein Feigling, wirklich nicht, bin bloß sehr vorsichtig, was vor allem nachts selbst in Mancato, selbst in einer eigentlich recht friedlichen Stadt wie dieser, nur zu ratsam ist, selbst hier sich ab und zu gefährliche Banditen aufhalten. Ich schlich leise zu meinem Fenster, war bereit, durch dieses zu flüchten, falls es womöglich tatsächlich ein Gauner war, der zu mir hinein wollte, dieser sich unerlaubt Zutritt in unser Haus verschaffte, bei mir einbrach, doch mein Bangen war jäh vorüber, als plötzlich eine bekannte Stimme zu mir in mein Zimmer drang. Oh Mann, war ich erleichtert, als ich sie hörte, damit von meiner Furcht erlöst wurde, diese sich als völlig überflüssig erwies, denn die Stimme war nicht jene eines Banditen, sondern jene von Mr. Laurie, einem Freund meines Vaters. Mr. Laurie rief nach mir, fragte, ob ich da wäre, und ich antwortete ihm, eilte zur Tür und öffnete. Mit einem aufgespannten Regenschirm in seiner Hand, um sich vor dem Regen zu schützen, stand Mr. Laurie vor mir und seinem ernsten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war irgendetwas Schlimmes passiert, und das war es