Sommerparadies - später

Bild von Annelie Kelch
Bibliothek

Wenn dein Haar ganz weiß ist, darling
(vorausgesetzt, ich finde dann noch eines
auf deinem klugen Kopf), wird unsere
liebste Nachbarin eine Rose sein.
Sie wird vor unserem Stubenfenster blühen
und uns glücklicher machen als das Brot,
dass ich für uns backen will.
Im Sommer öffnen wir das Fenster
und atmen ihren betäubenden Duft.

Wir sammeln die Schnecken von unserem
grünen Salat und schreiben -
Gedichte über unsere Rose, unser Dornröslein:
eines poetischer als das andere.

Ich lenke die Abendsonne zum Fenster
deines Arbeitszimmer, damit sie dir
Freude bereitet und dich auf gute
Gedanken bringt. Auf dem Weg dorthin darf sie
im Gegenzug die Rose küssen.

Die Nachtigall in meinem Herzen singt
dir Lieder und gesteht, dass sie dich liebte,
lang bevor sie dich sah, dass sie ihr Leben
lang auf dich gewartet habe, dass du der Kaiser
ihres Herzens, ihrer Seele, ihr Augentrost bist.

Im Herbst, wenn unser sanftes, geschäftiges
Leben welkt, verblüht auch die Rose.
Wir legen für eine Weile die Hände in den Schoß
und erwarten den Winter.

Irgendwann, kurz vor Weihnachten, holst du
Staffelei, Pinsel und Farben vom Speicher,
um mich zu malen: Eine Frau, mit einer Rose in der Hand.

Irgendwann male ich dich – mit einer Rose in der Hand.
Wir stellen die fertigen Gemälde nebeneinander:
Sie ergeben ein Paar, Mann und Frau;
beide halten Rosen in den Händen,
Rosen - die sich zum Verwechseln ähnlich sind.

Wir lernen von den Farben unserer Bildern
und werden weiser - von Jahr zu Jahr.