Der Alte

Bild von Annelie Kelch
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Verbittert, abgeschieden und verlassen
hockt er in seinem düstergrauen Haus.
Mag draußen auch im Sonnenschein der heit're Lenz
die Welt erneuern und mit bunten Blumen prassen:
Der Alte traut sich nimmermehr allein hinaus.

In seinem wilden, unwegsamen dunklen Garten
schauen viel mannigfache Gräser übern Zaun;
die Traufe, voller Moos, ist schon vom Roste braun.
Am Tag sitzt er am Tisch und legt sich Karten -
auf seinem Bette liegt er stundenlang bei Nacht und wacht,
hardert mit seinem Leben, hat auch an den Tod gedacht:
Ihm will er folgen, wenn es soweit ist, und Gott vertraun.

Doch kommt der Sommer dann mit roten Rosen,
wird ihm so milde und so weh ums harte Herz:
Wie gern würd' er sie einmal noch liebkosen,
die eine, die zurückgelassen ihn im Schmerz.

Dann strömen Tränen über seine tiefen Wangenfalten,
dann schütteln Sehnsucht und Erinnerung den Alten,
dann steigen frohe Melodien in den Raum vom Schrankklavier.
Und qualvoll dringt ein Seufzer aus dem blassen Mund -
die ehrfurchtsvolle, bange Frage: „O du mein Gott,
wann bringst du mich zu ihr ...“

heute, am 31.05.2017, geschrieben

Interne Verweise

Kommentare

31. Mai 2017

Ein wirklich starker Seelen-Blick:
Poetisch, menschlich - mit Geschick!

LG Axel

31. Mai 2017

Dank, Axel, dir, für deinen Kommentar,
ein alter Mensch, der/dem das Liebste starb,
oft ungern dann allein war.
So mancher kann sich davon nicht erholen,
verfällt in Gram und/oder greift gar zur Pistolen.
Nur einige, die ganz besonders munter noch,
die leben auf und sind bereit - für neue Kapriolen.

LG Annelie

31. Mai 2017

Annelie, ein wunderbarer Alter - er passt ganz und gar zu deinem Gedicht, das mich sehr berührt,
Liebe Grüße, Marie

31. Mai 2017

Danke, liebe Marie, ich glaube, es gibt viele alte Menschen, die verzweifelt sind. Meinen Vater hätte ich mir so vorstellen können, in dieser Verfassung, wäre er nicht vor meiner Mutter verstorben. Er hätte auch ganz sicher manches bereut. Aber Gott war gnädig. - Meine Mutter ist auch alleine geblieben - bis zu ihrem Tod. Sie hat das Alleinsein etwas leichter ertragen. Ich war zu jener Zeit in Vollzeit berufstätig. Wir hatten uns aus einem ganz bestimmten Grund, den ich hier nicht nennen möchte, leider auch ein wenig entfremdet.

Liebe Grüße und dir noch einen wundervollen Tag,
Annelie

31. Mai 2017

Das Bild passt akkurat zu deinen treffenden Zeilen, liebe Annelie. Ich denke das wir Frauen mit dem Alleinsein besser klar kommen als die Männer. Wir sind in vieles hineingeboren und gewachsen, was uns im Alter zu Gute kommt. Ein Mann muss sich, denke ich mehr umorientieren…

Liebe Grüße und einen schönen Abend
Soléa

01. Jun 2017

Danke, liebe Soléa, für deinen Kommentar. Ja, da magst du recht haben. Vor allen Dingen muss er sich mehr um den Haushalt kümmern etc., sofern er daran interessiert ist, dass seine Wohnung aufgeräumt und sauber ist. Er wird sich zuerst wundern, wie viel auf ihn zukommt an Dingen, die seine Frau ganz nebenbei erledigt hat. Und selbst Männer, die zu Lebzeiten der Gattin nicht viel geredet haben, werden ihre Frau gewiss trotzdem sehr vermissen.

Liebe Grüße zu dir nach France und einen schönen Abend,
Bonsoir,
Annelie

01. Jun 2017

Gesicht und Gedicht
im wahren Licht,
so perfekt.
Das Alter nicht mehr schreckt !!!
Ein wunderbarer Text, eine
gelungene Dichtung für/an alle
älteren Mitbürger unseres Landes.
Dein Text gehört in jedes Altenzentrum
an die Pinwand.
LG Volker

01. Jun 2017

Lieber Volker, danke für deinen enthusiastischen Kommentar. Aber weshalb ins Altenzentrum? - Nein, man sollte es zu den Fahrplänen an den Bushaltestellen kleben, zum einen wird dann alten Leuten vielleicht endlich mal ein Sitzplatz angeboten, oder Sonntags an die Kirchentür, damit viele es lesen und die älteren Leute darauf hinweisen, dass in ihrer Kirchengemeine eine Menge getan wird für sie und Freundschaften im Kirchenkreis entstehen könnten. Außerdem finde ich es nicht gut, dass ältere Menschen aufgrund ihrer körperlichen Schwäche isoliert werden. Manche sind nicht nur sehr lustig und aufgeschlossen, sondern haben eine Menge zu erzählen, wenn man sie lässt. Ich erinnere mich an einen Nachmittag, als wir, die Mädels in unserer Klasse, auf einem Weihnachtsfest der "Alten" servieren (durften) mussten. Es hat uns unheimlich Spaß gebracht. Wir waren um die 14 Jahre alt; die alten Leutchen haben uns richtig aufgemuntert und zum Lachen gebracht.

Liebe Grüße,
Annelie