Bocks Boot - Page 2

Bild von Monika Laakes
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gewahrte er einen blauweißen Matrosenanzug. Darin eingeschnürt den prallen Körper einer Frau. Sie schob sich unbeirrt wie eine auf Kurs gebrachte Segeljolle durch die Menschenmenge. Die blauweiße Schleife, die auf dem Kopf einen blonden Haarpinsel hielt, reichte bis auf die Schultern. Bock erlebte zum ersten Mal bewußt sein Es. Wie dieses Es unkontrolliert aus ihm heraussprudelte, sich überschlug als eine fremde, helle, beinahe atemlose Stimme:
„Ahoi!“
Die Frau blieb stehen, drehte sich um.
„Is wat?“
Bocks Begeisterung hielt an. Diese Stimme, klirrend wie seine Alarmglocke an Deck.
„Darf ich Sie etwas fragen, schöne Frau?“
Die glitschigen Redewendungen seiner Geschlechtsgenossen hatten ihn stets geärgert. Und nun vernahm er die eigenen Schleimbeuteleien.
„Schöne Frau.“
„Wat is?“
Nun stockt er, im Bemühen die richtigen Worte zu finden.
„Äh. Also.“
Blauweiß, wie sein gehißtes Segel, stand sie vor ihm. Ihr Gesicht großflächig und rund. Nun kam es darauf an, sie für sich zu gewinnen.
„Sie lieben sicherlich Kinder?“
„Klar doch.“
„Ich bin Lehrer.“
Bock räusperte sich und ergänzte:
„Für Sport.“
„Wat wollen Se von mir?“
„Sie sind mir aufgefallen. Wirken so kinderlieb. Ich brauche einen Rat von Ihnen.“
Er hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, hatte erreicht, mit ihr zu sprechen.
„Se sind Lährär?“
Sie dehnte die Vokale. Bock nickte bekräftigend.
„Warum fragen Se mich?“
Er hatte sie gewonnen. Sie stand vor ihm mit einem entspannten Lächeln.
„Sie tragen nicht ohne Grund den hübschen Matrosenanzug. Haben wohl auch Spaß an der Seefahrt?“
Er wollte dieses Wir-Gefühl ansprechen und stärken. Ihre Solidarität wecken. Zudem wußte er, dass Komplimente im richtigen Maß und ohne Glitschigkeit bei Frauen dieses Kalibers nützlich sein können.
Sie wurde zutraulich.
„Die Seefaaaat. Herjämmine. Waaa immer mein Traum.“
Er hatte sie voll erreicht und lud sie in das nahegelegene Eis-Café zu einem Cappuccino ein.
„Also?“
Sie saß Bock gegenüber, die Beine übereinandergeschlagen mit dem Rücken zur Türe. Ihr Fuß wippte in den Gang des schmalen, schlauchförmigen Cafés und stieß an die Beine sich durchschlängelnder Gäste. Das Café war ein beliebter Schülertreff während des Unterrichts und danach.
„Wat hamse fürn Ploblem?“
„Ich habe ein Boot.“
„Un?“
„Ich möchte mit meinen Schülern der Sport-Leistungs-AG einmal segeln gehen.“
„Wat is Ihr Problem?“
„Sie weigern sich.“
„Wat denn, wat denn, die wollen nich?“
„Sie sagen es.“
„Warum nich?“
„Vielleicht stimmt was nicht mit dem Boot. Ob Sie mal vorbeikommen können und es sich ansehen?“
„Ich?“
„Bitte, Sie wirken so sicher. So absolut sicher.“
Herta wippte heftig mit dem Fuß. Bock bekam feuchte Hände. War er zu weit gegangen?
„Sie sin Lährär?“
„Sie sagen es.“
„Wollen mit de Kahn un de Pöster aufet Meer?“
Ihre Augen glänzten.
„Ich komm ma vorbei. Schau mir de Kahn an.“
„Bin gespannt auf Ihr Urteil.“
Bock hatte es vermocht, voll auf die sachliche Ebene zu gelangen. Er betrachtete ihren nun beruhigten Fuß, der in einem hellblauen Stöckelschuh steckte. Er überreichte ihr eine Visitenkarte, die seine Glaubwürdigkeit unterstreichen sollte. Unter seinem Namen die Berufsbezeichnung „Sportlehrer - Coach für Volleyball und Segelsport“.

Das war vor zwei Wochen. Bock hatte mehrmals mit Herta telefoniert. Zuerst hatte sie angerufen, um sich zu vergewissern, ob Adresse nebst Telefonnummer auch zu dem Mann gehörte, der ihr die Visitenkarte überreicht hatte. Er war nicht einmal sauer, als sie die Erklärung für ihr Misstrauen lieferte.
„Veraaschen kann ich mich selbar.“
Nicht einmal die Wortwahl stieß ihn ab, obschon er sich bei seinen Zöglingen über Fäkalausdrücke aufregen konnte. Doch Herta hatte einen enormen Sympathiebonus. So hatten sie per Telefon eine Vertrautheit aufgebaut, die seine Instruktion zuließ.
„Wenn die Lampe brennt, kommen Sie bitte sofort ins Boot.“
Bock stand am Kajütenfenster und starrte in das Glühen der rotgrünen Lampe. Horchte in die vertrauten Rollgeräusche vorbeifahrender Autos. Vernahm flinke Stöckelschuhschritte, dann die energischen Stimme Hertas. Der schrille Oberton ließ Bocks rechte Hand vor Aufregung zum Kopf schnellen, als wolle er mit unverkennbarer Geste seinen Vorgesetzten grüßen. Dann kratzte er sich das Ohr. Es was sein Abenteuer. Das seiner frühen Jugend, seines frischen Elans.
Diese Frau verkörperte vollständig eine Fregattenmannschaft. Das behende Rühren ihre Füße stand für die Achtsamkeit der Matrosen. Die schrille Stimmlage für den Kommandoton des Käpt’ns.
Bock fühlte auf seinem Rücken einen wundervollen Schauer, als würden sich dort Meer und Himmel mit einem Streicheln begrüßen. Noch einmal starrte er hinauf zur Mastspitze, zum rotgrünen Licht.
„Herta, ich komme!“
Bock sprang zur Kajütentüre. Mit dem Aufreißen spannte sich jeder Muskel seines Körpers. Seine Kiefermuskulatur begann zu schmerzen. Das Blut klopfte in den Schläfen.
„Herta, hier bin ich!“
Er schaffte es grad noch, seine Stimme zu drosseln, das Überschlagen zu verhindern. Dann sah er Herta.
Herta im Matrosenanzug. Herta mit der blauweißen Schleife im Haar. Herta mit den hellblauen Stöckelschuhen. Herta mit der Sirenenstimme. Herta, seine Meerjungfrau.
Sie stand vor der Sprossenleiter und schaute zu ihm hoch. Bock begann zu zittern.
„Soll ich Ihnen helfen?“
Seine Stimme belegt, atemlos.
„Ich schaff dat schon.“
Sie zog ihre hellblauen Stöckelschuhe aus. Warf sie einzeln zu ihm hoch. Er schnappte sie mit Volleyball-geübtem Griff auf. Dann presste er sie an seine Brust.
„Geht’s?“ hauchte er in ihre Richtung.
„Härr Bock, wollen Se mich veraaschen?“
Inzwischen war die Dämmerung in die Stadt gekrochen und brachte die Spitze des Mastes zu einem intensiven Rotgrün-Glühen. Der aufkommende Wind blähte die Windsäcke. Bock befand sich vor dem Himmelstor.
Hertas pinselartiger Zopf tauchte vor ihm auf. Dann ihr gerötetes Gesicht. Die lange Schleife bewegte sich leicht.
Er breitete seine Arme aus, dann umfasste er ihre Schultern, um sie an Deck zu ziehen.
Er hätte niemals so weit gehen dürfen. Es kostete viel Überzeugungskraft, um sie von der Redlichkeit seiner Absicht zu überzeugen.
„Ich wollte Ihnen nur helfen.“
„So brauchen Se mir nich zu kommen. So nich, mein Lieeeeber.“
Bock zog rasch seine Arme zurück und sah zu, wie sie über die Brüstung klettert.
Wieder schaute er zum Mast. Etwas regte sich in ihm. Das Licht strahlte nun weit in die Straße hinein, der Mast übernahm die Funktion eines Leuchtturms. Ein Symbol rettender Beständigkeit. Es war Bocks Traum, mit dieser unumstößlichen Festigkeit in den Himmel vorzustoßen.
„Wo sind nu die Pöster?“
Herta stemmte die Fäuste in die Seiten.
„Sie wollten mir helfen. Das haben Sie mir versprochen.“
Bocks beschwörende Stimme.
„Klaa doch. Mit den Pöstern Klaatext reden. Nich son geschwollenes Paukergewäsch.“
„Ein Missverständnis. Ohje. Wir haben uns falsch verstanden, gnädige Frau.“
„Ich sprech Deutsch, so wie Sie!“
Sie artikulierte mit Bedacht. Sie dehnte das „I“. Ihre Augen kniffen sich zusammen.
„Das Boot wollten Sie sich ansehen. Ob mit dem Boot etwas nicht stimmt.“
Ihr plötzlicher Sinneswandel,

Veröffentlicht / Quelle: 
Publ. 2001 in Potenz-Reliquien - Satiren

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Kommentare

03. Mär 2016

Kein Bock wurde hier geschossen:
Diese Geschichte sehr genossen!

LG Axel

04. Mär 2016

Du hast die Spannung ganz fein und subtil aufgebaut. Die Geschichte gefällt mir sehr.

Liebe Grüße,
Susanna

04. Mär 2016

Dankeschön für die ermunternden Kommentare. Hab ich sehr gerne gelesen und genossen.
Herzliche Grüße an Axel, Alfred und Susanna
von Monika

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