Bocks Boot - Page 3

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von Monika Laakes

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ihre Freundlichkeit. Sie schien sich an das Gespräch im Café zu erinnern.
„Wattis? Wollen wer nich mal?“
Bock saugte die Worte in sich auf. Dieser Klang regte ihn an, erzeugte starke Tagtraumbilder. „Wattis.“
Dieser Sound, diese Wortwahl.
Wattis!
Warmes Wasser, Du und ich.
Was Du willst, das tue ich.
Wann geschieht dies alles endlich...
Bock wäre so gerne ein Dichter. Vielleicht hätte er gute Karten bei Herta, wenn er poetisch wäre. Doch Bock war und blieb ein Sportcoach, süchtig nach Wasser, Wind, Meeresweite und Herta.
Er öffnete langsam die Kajütentüre. Sein Gefühl für Spannungsabläufe schien auf Herta überzugehen.
„Nu machen Se schon.“
Er stieß schwungvoll die Türe auf.
„Bitte.“
Er stellte sich schräg zum Eingang und wies mit einer leichten Verbeugung in die Kajüte.
Herta japste.
„Wat is dat?“
Bock wusste nicht. Ob sie ihn auslachte oder vor Wut entbrannte. Er wich einige Schritte zurück.
„Wat soll dat?“
Hertas Redseligkeit berührte ihn. Er mochte diese Stimme, er mochte diese Art zu sprechen. Wieder durchdrang eine Mischung aus Tönen und inneren Bildern sein Gehirn. Und eine wohltuende Wärme strömte in den Bereich des Magens. Erneut bedauerte er, seine Gefühle nicht in Poesie umsetzen zu können. Er wäre so gerne ein Dichter. Die Prägnanz ihrer Worte, in denen sich alle Dimensionen des Augenblicks widerspiegelten, beeindruckte ihn. Wieviel Zeit und Überlegung kostete es ihn, eine Situation so treffsicher zu beschreiben. Er geriet jedesmal ins Labern. Doch Hertas Erläuterungen waren knapp und deutlich.
„Wat soll dat?“
Liegt nicht in der Einfachheit die Poesie des Lebens. Ist nicht Schlichtheit das Gesetz allen Werdens? Bock räusperte sich. Rang um die passende Erklärung dieses Zustands. Vor ihnen der mit seiner Fußspur gezeichnete Sandboden. Auf dem mittig stehenden Kajütentisch der laufende Fernseher. Daneben der Videorecorder. Es lief ein Film über das Liebesleben der Buckelwale im Meer. Er hatte die Videokassette kurz vor Hertas Erscheinen eingelegt.
„Nu kriegen Se mich. Dat is en Hammer.“
Erneut war Hertas Redseligkeit überwältigend. Weiter sprudelte es aus ihr heraus.
„Wußte doch. Se ham ne Macke.“
Sie drückte die Spitze des rechten Zeigefingers an ihre Schläfe und unterstrich ihre Worte.
Nun entdeckte Bock an sich eine neue Charaktereigenschaft. Seine Nachsicht schien unerschöpflich. Eine jener Tugenden, die für Pädagogen unerlässlich sind, bei ihm jedoch unausgebildet war. Es war bemerkenswert, was der Umgang mit dieser Frau in ihm wachzurufen vermochte.
Hertas Füße setzten Spuren in den goldgelben Sand. Sie hatte ihre Schuhe in Händen. Sie genoß die Massage durch die feinen Siliziumkristalle. Ihre Fußabdrücke auf seinen. Bock war glücklich.
Sie lief langsam zum Tisch, schaute einige Sekunden auf den Fernseher. Lief weiter zum Fenster, bückte sich und schaute hinauf zur Spitze des Mastes. Bock zupfte in Gedanken an ihrem Haarpinsel.
„Wat soll denn dat. Aufm Mast ne Lampe.“
Herta kicherte. Reckte sich und drückte die Nase gegen die Fensterscheibe. Die kleine Stehlampe auf der Fensterbank warf rotgrünes Licht in den Raum, streichelte Hertas Kopf mit sanften Rotgrün.
„Wat soll dat?“
Ihre Ungeduld ließ keine überlegte Erwiderung zu. Bock brachte es nicht über sich, ihr die Wahrheit zu sagen. Schlichtweg nur die Wahrheit, seine Philosophie zu allen Dingen.
Wie er versucht, seine Lebensängste zu verarbeiten. Wie er das Licht an der Spitze des Mastes - seines Mastes - als Symbol unerschütterlicher Stärke benutzt.
„Äh. Ja. Das Licht. Meinen Sie das Licht? Gefällt es Ihnen nicht?“
Bock wußte, daß eine Gegenfrage häufig vom Thema abzulenken vermochte.
Herta blieb verbissen.
„Ja. Härr Bock. Ich mein dat Lichtken da oben.“
„Na, das habe ich doch für meine Schüler dort angebracht, damit sie mich besser finden können. Damit sie auch wissen, ob ich zu Hause bin, wenn sie sich das Boot ansehen wollen.“
Bock fand seine Erklärung einleuchtend und intelligent. Er war mit sich zufrieden. Während seiner Ausführung hatte er sich hinter Herta gestellt. Er duckte sich leicht und presste sein Gesicht neben Hertas an die Scheibe. Dabei floss seine Körperwärme über den linken Arm zu Hertas Rücken. Sie schien zu erstarren. Atmete gepresst.
Bock war aufgrund ihrer Erregung fasziniert. Er presste nun seinen Körper gegen ihren Rücken.
Wie die Kralle einer eiskalten Windboe auf See fühlte Bock Hertas Hand auf seiner Wange. Die klare und eindeutige Sprache der Natur. Herta, die Kühle, Herta, die Resolute, Herta, seine Meerjungfrau.
„Dat wärs dann, Härr Bock.“
„Bitte, werte Frau Herta, es war nicht meine Absicht, Ihnen zu nahe zu treten.“
„Ach, kommen Se mir nich so. Je geschwollener Se schwafeln, desto schlimmer sind Se.“
„Haben Sie eine Erklärung, warum meine Schüler nicht auf dieses Boot wollen?“
„Klar doch.“
„Warum?“
„Weil der Käpt’n spinnt.“
„Das gehört doch dazu. Haben Sie noch nie was von Seemannsgarn gehört?“
„Reden Se sich nich raus, Härr Bock.“
Herta wühlte mit den Füßen im Sand. Es schien ihr zu behagen und so obendrein zu beruhigen. Unmerklich hatte sie Gefallen gefunden an dieser Situation und an dem Mann, den sie als verrückt bezeichnete. Ein ungefährlicher Irrer, das hatte der schlagkräftige Härtetest ergeben. Ein Mann, der sich ohne Murren von ihr schlagen lässt, kann nicht gefährlich sein. Ihr logischer Rückschluß.
So zahlte sich für Bock sein Langmut letztlich aus.
Herta kam nun einmal die Woche zu einem pädagogischen Beratungsgespräch. Sie hatte sich inzwischen drei Matrosenanzüge zugelegt. Und zahlreiche Schleifen. Blau, weiß, gelb, gestreift, gepunktet und kariert. Die zuletzt gekauften Anzüge konturierten auf wunderbare und exakte Weise die Keulenform ihrer Beine, den starken Bogen des ausladenden Sitzgestells. Hertas Standfestigkeit war Ausdruck von Leib und Seele.
Bock war inzwischen bis zur Berührung ihrer prallen Hände vorgedrungen.
„Un heute kucken wo mal, wadet noch zu mäckern gibt.“
Hertas Tonfall wurde von Begegnung zu Begegnung bestimmter. Bocks Anerkennung schmeichelte ihr. Sie wurde zunehmend zutraulich.
„Heute sollten wir das Deck mit dem Mast überprüfen“, schlug Bock vor.
Er freute sich auf das Erlebnis. Sein Gipfelerlebnis.
Er hatte im Verlauf der Wochen die Kajüte mit Herta penibel inspiziert. Sie füllten den Sand zurück in die kleinen Säcke und schleppten sie von Deck.
„Die Pöster wollen nich veraascht werden“, meinte Herta.
Daraufhin verschwand die rotgrüne Stehlampe. In die Deckenleuchte wurde statt der 40er eine 100er Birne gedreht. Fernseher und Videogerät kamen auf einen separaten kleinen Tisch in die linke Ecke neben dem Eingang, gegenüber dem Fenster.
Das liebevolle Arrangement Bocks wurde abgelehnt und unter Hertas Regie entfernt. Nun hatte die Kabine eine nüchtern schlichte Normalität. Blauweißkarierte Vorhänge. Eine Tischdecke gleicher Art. Ein Usambaraveilchen am Fenster.
Inzwischen war es winterlich kalt. Die Sonne klebte weiß am Himmel, verschwand langsam hinter den Dächern der gegenüberliegenden Häuser. Herta trug über ihrem Matrosenanzug einen knielangen Mantel aus weißem Pelzimitat. Es schien, als sei ein Flokatiteppich zu einem Mantel verarbeitet worden. Zuerst empfand Bock ihre Aufmachung als peinlich, doch rasch sah er ein, daß dieses Kleidungsstück eine ideale Ergänzung durch Farbe und unverwüstliches Material zum Matrosenlook darstellte.
Meine kleine Seeflocke nannte er sie manchmal in Gedanken. Und in Gedanken traute er sich sehr weit vor. Er kannte jede Pore ihrer prallen Haut, Jede Erhebung ihres ausladenden Körpers. Hatte seinen Kopf tief in ihrer Leibesfülle vergraben, um für einen Moment der Ewigkeit seinen Ärger mit den Pöstern, den Nachbarn und der ganzen Welt zu vergessen. Doch Bock wußte, dass eine absolute Glückseligkeit nur zu erreichen war, wenn er seine Träume in die Realität umzusetzen vermochte.
Für heute hatte er sich ein großes Ziel gesteckt.
„Nu lass uns nach de Mast kucken.“
Bock saugte das letzte Wort in sich auf. Kucken und kuscheln, für Bock nur ein kleiner Sehnsuchtsschritt. Doch all sein Hautkontakt hielt sich bisher auf ihren Handrücken begrenzt.
„Härr Bock, heute inspitieren wo dat Deck. De Kajüte is nu in Oodnung.“
Ihr Kommandoton gab ihm Geborgenheit.
„Ei, ei Käpt’n“, flötete er.
Die Windsäcke waren leicht gebläht, Hertas Haarpinsel zitterte, während sie auf dem schmalen Weg außerhalb der Kajüte zum Mast hangelte. Zweimal umschlang Bock von hinten ihre Hüften, während er rief:
„Vorsicht, nicht fallen!“
„Aber Härr Bock. Is nich nötig.“
Herta schien gerührt. Sie standen nun vor dem Mast, der auf eine unbekümmert naive Art emporragte. Bocks Augen wurden feucht. Er stand neben Herta. Er berührte wie unbeabsichtigt ihre Hand. Er spürte ihre Wärme. Die Spitze des Mastes leuchtete rotgrün. Das Licht strahlte weit, weit in die fremde und abenteuerliche Dunkelheit hinaus.
„Sieh dort. Dort droben glimmt das ewige Licht“, hauchte bock Herta ins Ohr.
Er bemerkte einen neuen Geruch an ihr. Einen Geruch nach Kartoffeln mit Lauchzwiebeln.
Nochmals näherte er sich ihrem Ohr. Flüsterte:
„Das ewige Licht Herta. Es leuchtet uns ins Herz.“
„Härr Bock.“
„Ins Herz.“
Er knabberte an ihrem Ohr. Ließ seine Zunge um ihre Muschel fahren. Hauchte nochmals:
„Das ewige Licht.“
Und sah den Himmel übersät mit ungezählten Sternen, als Hertas Unmut sich mit der Faust auf Bocks Nase entlud.
„Härr Bock.“
Der Mast schien zu schwanken. Bock lief auf den riesigen Holzstift zu und umarmte ihn.
„Wat soll dat. Härr Bock.“
Die Stimme hinter ihm machte durch Lautstärke und Tonlage die Nachbarn der gegenüberliegenden Häuser neugierig. Es wurden Gardinen zurückgezogen und Fenster geöffnet. Dabei blieben die Zimmer dunkel, um die abendliche Bootsszene besser im Auge halten zu können.
„Herta, wie sehr ich Sie verehre. Meine liebe Herta.“
Bock streichelte den Mast. Er legte seine Nase gegen das kühlende Holz. Es war ihm, als ragte der Mast als Verlängerung seiner Sehnsucht in die Nacht.
Inzwischen hatte Herta sich zur Leiter begeben. Sie schwang ihr Bein über die Reling. Diesmal behielt sie die hellblauen Schuhe an den Füßen. Sie hatten als Winterstöckel einen breiteren Absatz. Herta kletterte Sprosse um Sprosse hinunter.
„Herta. Bitte bleiben Sie. Herta.“
Bock keuchte. Während er den Mast fest gegen seinen Brustkorb preßte, hörte er, wie sich die festen kleinen Schritte auf dem Bürgersteig vor seiner Eibenhecke entfernten. Die Nachbarn schlossen die Fenster. Zogen die Gardinen zurecht. Der Mast stieß mit naiver Beständigkeit in den Himmel. An der Spitze leuchtete er rotgrün.
Es war ein Zittern in der Luft. Nur einmal war ein gellender, beinahe tierischer Schrei zu hören. Dann war es still.
Es war eine Nacht ohne weitere Auffälligkeit. Eine Nacht im November 1997 im Norden einer Stadt inmitten des Ruhrgebiets.

Und Wochen später, kurz vor Heiligabend, legte sich eine Schicht aus Eis über den Schiffsleib. Es überzog eine kalte Glasur den Mast.
Bock war als vermisst gemeldet. Seine Schüler wurden einzeln befragt. Nachbarn meldeten sich zu Zeugenaussagen. Herta wurde als Zeugin geladen.
Es lag eine Stille auf Bocks Haus, Garage und Weinkeller. Mehrere Durchsuchungen ergaben keinen Hinweis auf Bocks Verschwinden. Einmal wurde das Boot inspiziert. Die Kajüte, der Maschinenraum und das Deck. Niemand entdeckte ein Lebenszeichen von Bock. Niemand ein Indiz für ein Verbrechen.
Und nun, am Heiligabend, heulte der Wind mächtig um den Mast. Die Windsäcke blähten sich an den Stangen. Bogen sich wie Riesenraupen. Ein Knarren und Ächzen ging durch den Schiffsleib. Die Stadt glänzte im Spiegel der Eisregenschicht. Es prasselte unbarmherzig auf den Norden der Stadt. Das Unwetter hielt sich regional begrenzt und verschonte die City und den vornehmen südlichen Bereich. Die Windböen erreichten eine erschreckende Geschwindigkeit. Erleuchtete Tannenbäume bogen sich in den Vorgärten.
Wäre der Schiffsmast an diesem Abend nicht wie ein morscher Baum abgebrochen, hätte vielleicht erst der Frühling das grausame Geheimnis zutage gebracht.
Die Feuerwehr wurde alarmiert. Der Mast hatte eine Kerbe in die Eibenhecke geschlagen und war auf der Straße in viele Stücke zersplittert. Der Sturmschaden war enorm, doch, welch Glück, kein Mensch wurde verletzt.
Einige Männer waren auf das Boot geklettert. Sie leuchteten mit ihren großen Taschenlampen das Deck aus. Sie blieben abrupt stehen und starrten.
Was sie gewahrten mochte ihre Horror-Phantasien von grinsenden Masken an Marterpfählen noch übertreffen.
Dort umklammerte ein männlicher Körper, dessen Gesichtszüge denen Bocks auf eine übernatürliche Weise glichen, mit seinen Beinen den Stumpf des Mastes. Durch die Kraft des Sturmes war der vereiste Körper auf den Boden geschmettert worden, aus der Umarmung des Mastes war eine kuriose Umarmung der ganzen Welt geworden. Die steifgefrorenen Arme ragten halbgebogen in die Luft. Auch die erloschenen Augen hatten ihren Glanz längst schon in den Kosmos geschickt. Erstaunlich, mit welcher Vollkommenheit sich Bock mit der Stärke und naiven Beständigkeit des Mastes verbunden hatte. Wie er mit dem Symbol seiner Sehnsucht verschmolzen war, um auf eine spezielle und rasante Weise in den Himmel zu gelangen.

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Publ. 2001 in Potenz-Reliquien - Satiren
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