Der Geist der alten Marte - Page 2

Bild von Magnus Gosdek
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uns, die wir momentan ihre Anwesenheit vergaßen und uns ganz in diesen gemütlichen Abend fallen ließen.
Nachdem Felix einige Anekdoten zum Besten gegeben hatte, über die wir uns herzlich amüsierten, kam ich wieder zurück auf den Kotten zu sprechen. Der Besitz ließ mich nicht los, ich musste darüber reden, um mir selbst Gewissheit zu geben, dass er tatsächlich uns gehörte.
„Das Haus ist über zweihundert Jahre alt“, erklärte ich Felix stolz. „Früher gehörte das Anwesen verschiedenen Marschbauern. Die letzte Tochter aber zog in die Stadt und wollte ihn nicht mehr.“
„Es ist eine Schande“, meinte Felix, „dass Familientraditionen so verloren gehen. Für euch natürlich war das ein Glück.“
„Ja“, bestätigte ich und dem war nichts mehr hinzuzufügen.
„Es wird sich zeigen, ob es ihr Glück war“, grummelte da eine Stimme hinterrücks, und als ich mich umwandte, sah ich dort an dem Tisch einen alten Mann sitzen. Er lehnte mit beiden Armen auf dem Tisch und beugte sich über seine Pfeife, in die er mit seinem gelben Daumen Tabak stopfte. Tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht eingegraben, so dass ich nicht schätzen mochte, wie alt er wohl war. Sicherlich über siebzig, möglicherweise aber auch weit über achtzig. Auf dem Kopf trug er eine abgegriffene Friesenkappe und unter ihr quollen wenige schlohweiße Haarsträhnen hervor, die schon lange keinen Friseur mehr gesehen hatten. Seine Augen waren so grau wie ein Unwetter über der Nordsee und seine Lippen hatten all ihr Blut verloren.
Er saß mit einer Gruppe Männer am Tisch, die ihm in ihrem Alter durchaus ebenbürtig waren und sie alle nickten stumm zu dem, was er uns sagte.
Ich stemmte mich am Tisch hoch, sah, wie der Alte seine Pfeife entzündete und sich an die rückwärtige Wand anlehnte. Auch Felix blickte zu ihm hinüber.
„Wie meinen sie das?“ fragte ich den Alten.
Bedächtig zog er an der Pfeife und blies den Rauch auf den Tisch. Die anderen hielten die Köpfe gesenkt, als lauschten sie dem fernen Rauschen der See.
Dann, als wir schon glaubten, dass er uns keine Antwort geben würde, nahm er die Pfeife aus dem Mund und schaute zu dem Fenster hinüber, in dem sich unsere Gestalten im Vordergrund der Finsternis widerspiegelten.
„Ich sage ihnen, dass kein Glück in diesem Kotten wohnt“, sprach er bedächtig in die Stille hinein.
„Lass sein, Jan Helmes!“ rief da der Wirt von der Theke, an der er mit mechanischen Handgriffen Gläser abtrocknete, herüber. „Die alten Geschichten will doch keiner hören!“
Und zu uns gewandt erklärte er weiter:
„Unser Jan weiß allerhand Geschichten zu erzählen. Aber glauben sie ihm nicht. Es sind nur erfundene Legenden hier aus der Marsch.“
„Nein, nein“, widersprach da der Alte zornig. „Sie sind wahr. Du, Piet Krüger, kannst sie nicht kennen. Deine Familie lebt erst seit drei Generationen in dieser Gegend. Aber ich, Jan Helmes, ich kenne das Land genau. Unsere Familie gab es schon immer hier.“
Wie zur Bestätigung grummelten seine Tischgenossen vor sich hin und manch einer von ihnen trank von seinem Grog.
Mag sein, dass der schöne Abend mir zu Kopf gestiegen war und auch mein Beruf als Geschichtslehrer meine Neugierde förderte, jedenfalls fühlte ich mich beschwingt und entschied, eine schaurige Geschichte passe nun ganz zu unserer Stimmung.
So wandte ich mich vollends dem Alten zu, der wieder seine Pfeife in den Mund gesteckt hatte und lachte:
„Legenden interessieren mich sehr. Was wissen sie über unseren Kotten zu erzählen?“
Erneut zog er einige Male bedächtig an seiner Pfeife und ich glaubte seine Zufriedenheit über die ihm gewidmete Aufmerksamkeit zu verspüren. Er genoss die Stille, die mittlerweile vollends die Stube erfasst hatte und in der jeder Gast darauf wartete, dass er mit seiner Geschichte beginnen würde.

*

„Früher einmal“, begann er bedächtig und verschränkte seine Arme vor der Brust, so dass sie geruhsam die Pfeife hielten, „war dieser Kotten kein heruntergekommenes Bauernhaus gewesen. Es gehörte einem der größten und reichsten Bauern der Marsch und seine Familie lebte so lange hier, wie die Menschen darüber zu berichten vermögen. Klaus Jörges war sein Name und er war ein angesehener Mann in dieser Gegend, so wie sein Vater und Großvater vor ihm.
Er hatte zwei Söhne, den Uwe und den Hendrik und dieser war der ältere von beiden. Hendrik war wie sein Vater, liebte das Land und war ein fleißiger Bauer. Uwe aber war ein unsteter Geselle, der in den Schänken der Umgebung ein häufiger Gast war und keiner Schlägerei aus dem Wege ging. Der alte Jörges hatte viel Kummer mit ihm und wusste gar nicht mehr, was aus dem Jungen einmal werden sollte. Der Hof, so war es von alters her, würde dem ersten Sohn übergeben und Uwe seinen Anteil ausgezahlt bekommen, dass er sein Glück als Handwerker oder auf einem anderen Kotten fände.
Als der alte Jörges starb, gab der ältere Bruder das versprochene Geld und Uwe ging fort. Hendrik heiratete die schöne Marte aus dem Nachbardorf und ein Jahr nach der Hochzeit wurde der kleine Sören geboren. So war die kleine Familie auf dem Besitz der Familie glücklich.
Von Uwe hörten sie überhaupt nichts, bis er eines Tages unvermittelt vor der Tür stand. Der Bruder freute sich über den Besuch und Marte, dass sie endlich ihren Schwager kennenlernte. Wie sich herausstellte, hatte Uwe sein gesamtes Erbe durchgebracht und nun, da er nichts auf der Welt mehr besaß als seine Kleider, die er am Leibe trug, war er zurückgekommen.
Die jungen Eheleute richteten Uwe ein Zimmer her und Hendrik bot ihm eine Arbeit auf dem Kotten an. Aber es ist nie gut, wenn ein Mann für Lohn auf der Erde arbeitet, die ihm fast selber gehört hätte. In Uwe wuchs der Hass auf seinen Bruder, der so wohlhabend und glücklich mit Frau und Kind lebte, während er selber derzeit wie ein Bettler auf die Gnade seines Bruders angewiesen war. In ihm wuchs die Überzeugung, dass das Erbe ungerecht verteilt worden war und in seinem Kopf begann er einen Plan zu schmieden, wie er sein Recht erlangen konnte.
Eines Morgens wurde im Nachbardorf ein Toter entdeckt. Lars Kindgen war ein listiger Händler, der von einem guten Geschäft aus der Stadt zurückgekehrt und mit einem hübschen Batzen Geld auf dem Weg nach Hause war.

Eine Geschichte um den Privatdetektiv Markus Braun.

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Kommentare

23. Okt 2016

Spannend und MIT Geist geschrieben!
Auch ein Ambiente zum Verlieben ...

LG Axel

08. Feb 2016

See Seen sehr lesenswert!

09. Feb 2016

Vielen Dank, Euch beiden. Es freut mich, dass die Geschichte Euch gefällt. LG Magnus

23. Okt 2016

Großartig, Magnus. Ich habe deine spannende Geschichte verschlungen, sehr spannend und mit einem wirklich
überraschenden Ende.

LG Ralf

23. Okt 2016

Wunderbar, das freut mich sehr. Gerade, dass Du das Ende überraschend findest. Ich hatte gehofft, dass es so funktioniert. LG Magnus

23. Okt 2016

Danke schön, Micha. Die eee´s zeigen mir, wie gut es Dir gefallen hat :-) LG Magnus

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