Der Geist der alten Marte - Page 4

Bild von Magnus Gosdek
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Uwe einen Schritt auf sie zutrat, wich sie zurück.
„Bleib weg von mir, du Satan!“ kreischte sie und eilte fort, den Deich hinauf. Uwe wusste, dass sein Geheimnis verraten war und er lief Marte hinterher. Oben auf dem Deich holte er sie ein. Als er sie packte, wirbelte sie herum.
„Ich verfluche dich!“ schrie sie auf und schlug mit ihren Fäusten auf ihn ein, dass Uwe sie fortstieß. Marte fiel die nassen Steine des Deiches herab bis zu ihrem Mann, der leblos am Ufer des Meeres lag.
Als Uwe sie erreichte, sah er, dass sie sich das Genick gebrochen hatte und in der gleichen Nacht erhängte er sich im Gebälk des Kottens.
Sören wuchs bei einem Onkel im Dorf auf. Als er alt genug war, übernahm er den Kotten, denn er hatte den Sinn seines Vaters. Er heiratete die Heike, welche er schon als Kind gekannt hatte und sie bekamen einen Sohn. Endlich schien die alte Geschichte vergessen. Der Geist Martes aber fand keine Ruhe und in jeder Sturmnacht geht sie auf dem Kotten um. Und tost der Sturm auf seinem Höhepunkt, so sieht man ihre Gestalt auf dem Deich stehen und in die Ferne blicken, wie sie wartet auf den geliebten Mann.
Jeden, der die Marte gesehen hat, ereilte in der darauf folgenden Nacht ein Unglück. Sören ertrank, so wie sein Vater, als er mit dem Boot zum Fischen fuhr. Lars, sein Sohn wurde von dem Huf eines Pferdes erschlagen und all die Bauern nach ihm ereilte ein ähnlich schauriges Schicksal. Dieser Kotten ist verflucht, der Geist von Marte findet keine Ruh.“

*

Der Alte hatte seine Erzählung beendet und klopfte die Pfeife aus. Die Geschichte hatte uns gefesselt und selbst der Wirt lag halb gebeugt auf dem Tresen und lauschte den Worten. Für einen Augenblick herrschte nun absolute Stille und mir war noch ganz benommen von der Legende, die sich hier, in dieser dämmerigen Schänke so gut ausnahm.
Felix aber lachte auf.
„Das war eine feine Geschichte“, sagte er.
„Geschichte?“ fragte der Alte ruhig. „Das ist eine wahre Begebenheit. Hüten sie sich, der Marte jemals zu begegnen!“
Felix lachte erneut und ich stimmte mit ein. Wir prosteten dem Alten und seiner Gesellschaft zu und tranken den inzwischen schon erkalteten Grog.
Es war spät geworden und bald brachen wir auf. Die Nacht war mild und langsam schlenderten wir den Weg zurück.
„Eine hübsche Legende“, sagte ich beiläufig. „Sie gehört hierher.“
„Vielleicht ist an der Geschichte mehr, als wir glauben“, gab Felix zu bedenken.
„Ich bitte dich!“ fiel ich im erstaunt ins Wort. „Du wirst doch wohl nicht solch alten Aberglauben anhängen? Das ist ja lächerlich!“
„Ich weiß, dass deine rationale Denkweise jegliche Form des Übernatürlichen ablehnt. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie nicht existiert.“
„Wir haben heute viel getrunken und die Atmosphäre tat ihr Übriges. Der Alte konnte prima Geschichten erzählen. Ich nehme an, dass er das fünfmal in der Woche macht und die Geschichte von Marte wird nur ein kleiner Teil seines Repertoires sein. Jedes Land braucht seine Sagen und Geschichtenerzähler.“
Felix schien nicht überzeugt, doch er schwieg darüber. Stattdessen unterhielten wir uns auf dem restlichen Heimweg über die neuesten Hamburger Bebauungspläne, die Felix, mit ein wenig Glück, einträgliche Aufträge verschaffen konnten.
Nach einer knappen halben Stunde hatten wir unseren Kotten erreicht und da wir nach diesem Weg müde geworden waren, gingen wir sogleich ins Bett.

*

Der Sommer kam und mit ihm meine Herzprobleme. Die Werte verschlechterten sich, so dass ich für einige Tage ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Schon lange wusste ich um mein schwaches Herz, nun aber, als ich langsam auf die sechzig zuging, verschlimmerten sie sich und mein Hausarzt empfahl mir dringend frische Luft und Ruhe. So entschloss ich mich, ein halbes Jahr im Schuldienst auszusetzen und mich in der friedlichen Umgebung der Marsch ausgiebig zu kurieren.
Ich hatte es mit meiner Frau besprochen. Da sie freiberuflich arbeitete und wir es uns finanziell wohl leisten konnten, beschlossen wir, bis Weihnachten in den Kotten einzuziehen. Hier, so meinte auch Ursula, würde ich die Entspannung finden, die ich für meine Gesundheit so dringend benötigte.
Der Sommer begann sehr schön, an jedem Tag hing die Sonne fest im blauen Himmel. Der leichte Nordwind blies nur wenige Wolken über die See und die Brise, die während unserer langen Spaziergänge auf dem Deich durch unsere Haare strich, empfanden wir als äußerst angenehm.
Gelegentlich kam Felix übers Wochenende vorbei und wir verlebten schöne Abende in der Wohnstube, während wir durch das geöffnete Fenster das ferne Rauschen der See vernahmen.
Ab und zu besuchten wir die Gaststätte, in der Jan Helmes uns die schaurige Geschichte erzählt hatte. Wie ich bemerkte, war er ein täglicher Gast in der Schankstube, und auch seine Gesellschaft saß an jedem Abend dort.
Piet Krüger, der Wirt, ein bulliger Mann mit dem Bart einer Seerobbe und dem herzlichen Lachen eines unbekümmerten Geistes, berichtete mir, dass Jan Helmes der beste Geschichtenerzähler der gesamten Gegend sei. Niemand wisse so viele Legenden und Wahres aus dem Dorf zu berichten wie er. Die Menschen hörten ihm gerne zu. Ich sollte dem Alten nicht die Sage der Marte übel nehmen, die der uns am ersten Abend erzählt hatte.
Ich lachte und versicherte dem Wirt, dass mich die Erzählung keineswegs erschreckt hätte, ich im Gegenteil Legenden liebte und sie mir großes Vergnügen bereitet habe.
Der Wirt war zufrieden mit meiner Antwort und meinte, dass ich doch ein rechter Kerl sei und wir im Laufe der Zeit sicher gute Freunde werden würden.
Als Jan Helmes erfuhr, dass ich durchaus gerne seinen Geschichten lauschte, lud er mich an seinen Tisch und jeden Abend, wenn ich Lust empfand, erzählte er mir eine andere Legende. So erfuhr ich viel von Rungholt und dem blanken Hans, wie die Nordsee hier in ihrem tobenden Sturm genannt wurde, vom krausen Jens und Nils, dem Moorstecher. Und doch unterließ es der Alte nie, mich auf die Wahrheit seiner Geschichten hinzuweisen.
„Das Marschland“, so sagte er, „ist so alt wie die Welt und die See dahinter unergründlich. Wir wissen nichts und nur diese alten Geschichten sind unsere Fenster zu alten Zeiten.“
Freilich waren die Besuche in der Gaststätte eher selten. Oft spazierten meine Frau und ich den ganzen Tag

Eine Geschichte um den Privatdetektiv Markus Braun.

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Kommentare

23. Okt 2016

Spannend und MIT Geist geschrieben!
Auch ein Ambiente zum Verlieben ...

LG Axel

08. Feb 2016

See Seen sehr lesenswert!

09. Feb 2016

Vielen Dank, Euch beiden. Es freut mich, dass die Geschichte Euch gefällt. LG Magnus

23. Okt 2016

Großartig, Magnus. Ich habe deine spannende Geschichte verschlungen, sehr spannend und mit einem wirklich
überraschenden Ende.

LG Ralf

23. Okt 2016

Wunderbar, das freut mich sehr. Gerade, dass Du das Ende überraschend findest. Ich hatte gehofft, dass es so funktioniert. LG Magnus

23. Okt 2016

Danke schön, Micha. Die eee´s zeigen mir, wie gut es Dir gefallen hat :-) LG Magnus

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