Gefährlicher Sommer (Teil 21; Text 3) - Page 2

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anderem den, dass er Angst hat, der Hof könne während seiner Abwesen­heit unter dem Regiment meines Vaters pleitegehen.“ Hannes sah mich einen Moment lang prüfend an, als wartete er darauf, dass ich irgendeinen Einwand machte. Dann ließ er seinen Kopf theatralisch auf das von Tante Selma mit aller Sorgfalt am Couchende drapier­te, gestickte Sofakissen sinken, stieß einen jammervollen Klagelaut aus und stöhnte: „Hoffentlich verschont uns dieser Kerl für den Rest unserer Ferien mit seiner Anwesenheit.“
„Und wohin schicken wir dann den die Aufklärung der Fälle ,Knut Knudsen' und ,Selma Gerlach' vorantreibenden zweiten Brief?“, fragte ich übermütig.
„Katja, du kannst den Hals offenbar nicht vollkriegen, was den Mordfall an Knut betrifft“, stöhnte Hannes. „Was muss denn noch alles passieren, damit du endlich aufgibst?!“
„Denk an deine Tante“, erwiderte ich. „Der Täter, den wir beide gut kennen, hätte auch sie umbringen können.“
***
Helge kam noch am selben Abend und reparierte die Melkmaschine – inner­halb von zehn Minuten. Die Gnädigste war entzückt, Opa lobte Helge in den höchsten Tönen und über die grünste aller Kleesorten, indem er uns mehr­fach darauf hinwies, was für ein patenter Bursche dieser Helge doch sei, und sogar Axel Kröger rang sich ein dankbares Lächeln ab. Hannes und ich waren sprachlos vor Wut und Entsetzen. Uns konnte er mit keiner noch so guten Tat über seinen wahren Charakter täuschen, und zu meinem Erstaunen gab es noch jemanden auf Lachau, der Helge nicht will­kommen heißen wollte: Luchs, der weise alte Hofwächter. Kaum, dass der blaue Volkswa­gen im Begriff war, die Kastanienallee hinaufzukriechen, erhob sich das kluge Tier und jagte mit großen Sprüngen davon. Er verkroch sich jaulend unter dem großen Esstisch, der in der Laube deiner Tante steht, und um den herum ihr euch unter normalen Umständen zu dieser Zeit zum Abendessen eingefunden hättet, liebe Christine, und dort versteckt sich der arme Kerl wahrscheinlich immer noch.

Ich hielt mich wieder mal bei Leni in der Küche auf, als Helge der Gnädigsten im angrenzenden Herrenzimmer unüberhörbar erklärte, dass er aus Sorge um das Gut zurückgekehrt sei (mir kamen fast die Tränen), obgleich er sich ganz unbändig auf die interessanten und lehrreichen Vorlesungen in Kiel gefreut habe (welche Aufopferung!).
Jedoch habe seine Unruhe von Stunde zu Stunde zugenommen. Das müsse irgendwie im Zusammenhang mit der defek­ten Melkmaschine gestanden haben. Als ob er dergleichen geahnt hätte! Ich stutzte einen Moment lang bei diesen Worten. Wenn es nämlich etwas gibt, worüber ich mir absolut im Klaren bin, liebe Christine, dann handelt es sich um die Tatsache, dass Axel Kröger nicht nur weitaus intelligenter, sondern auch handwerklich viel ge­schickter als Helge ist. Also wäre auch Kröger durchaus in der Lage gewesen, die Melkmaschine zu repa­rieren, wenn ... ja, wenn er genügend Zeit dafür gehabt und gewusst hätte, wo genau der Fehler zu suchen war. Für mich stand jedenfalls felsenfest, dass nie­mand anderer als Helge die Melkmaschine außer Betrieb gesetzt hat, um sie hinterher als einziger auf dem Hof in kürzester Zeit reparieren zu können und die Lorbeeren dafür einzuheimsen, dieser von Grund auf heimtückische Kerl. Möglicherweise hätte sogar ich ihm das Gesülze im Herrenzimmer abgenommen; aber das Resultat aus dem Telefonat mit Heribert Wegener sprach absolut dafür, dass er der Gnädigsten die Hucke vollgelogen hatte.
***
Nach dem Abendessen saßen Hannes und ich auf dem morschen, von zahllosen Algen überwucherten Holzsteg am Lachauer Teich zwischen Park und Pferdeställen und lauschten dem leisen Wellenschlag, für den allein schon die Schwärme der Elritzen sorgten. Hannes wühlte mit seinen Füßen in der Entengrütze umher und erklärte mir, er müsse sich unbedingt Kühlung verschaffen, obgleich der Tümpel bei diesem Wetter aller­höchstens die Temperatur von abgestandenem Spülwasser haben konnte. Er ergötzte sich an drei winzig kleinen Stockenten, die wie die Orgelpfeifen aus dem Ufergras hervorzuckelten. Sie kümmerten sich keinen Deut um Hannes und mich, wuselten eine Weile auf dem Steg umher und ließen sich unverhofft ins Wasser plumpsen. Hannes wollte sich ausschütten vor Lachen.
„Jetzt sind sie noch lieb und niedlich“, prustete er, „aber nächstes Jahr ... Du wirst schon sehen, Katja: fett und frech wie unser neuer Knecht Oskar.“
„So ähnlich habe ich auch denken müssen, als ich das Foto im Jagdzim..., im Jagd..., Ja..., im Jahreskalender unserer Schu..., Schule sah“, wollte ich unbekümmert drauflosplappern, konnte mich jedoch noch rechtzeitig bremsen, liebe Christine.
„Seit wann stotterst du?“, fragte Hannes erstaunt. „Und was ist das für ein Foto, von dem du sprichst?“
„Ach“, sagte ich leichthin, „da waren ein paar herzige Erstklässler drauf. Und ich hatte so meine Zweifel, ob die im übernächsten Jahr immer noch so süß ausschauen.“ Ich wollte Hannes auf gar keinen Fall an seine Mutter erinnern, liebe Christine.Vermutlich wäre er wieder ausgeflippt – wie neulich, als wir am Badesee lagen.
Opa, der den ganzen Nachmittag in der Laube gesessen hatte, überquerte mit schleppenden Schritten den Hof. Er fächelte sich mit der aktuellen Ausgabe der ,Lübecker Nachrichten' Luft zu. Sein rasselnder Atem drang bis an den Steg hinunter, und ich machte mir Sorgen um seine Gesundheit.
„Opa wird von Tag zu Tag müder“, hatte Oma heute Morgen beim Frühstück festgestellt. „Hoffentlich ist nur diese Hitze daran schuld.“
„Opa ist ein emsiger Zeitungsleser“, klärte ich Hannes auf. „Den Wirtschaftsteil liest er besonders aufmerksam, wahrscheinlich deshalb, weil er vor seinem Ruhestand Angestellter an der Börse war.“ Ich blickte auf mein Handgelenk und vermisste natürlich sofort wieder meine Armbanduhr, die ich, entgegen meinen sonstigen Geflogenheiten, wie Kora und Konny nur noch zu besonde­ren Anlässen trug. Sie hätte hier, auf dem Gut, mit absoluter Sicherheit längst ihren unruhigen Geist aufgegeben. Allerdings konnte ich mir auch ohne genaue Zeitangabe vorstellen, was die Stunde für Opa geschlagen hatte: Das Abendprogramm im Fernsehen würde in wenigen Minuten beginnen. Opa müsste sich zweifelsohne sehr krank fühlen, wenn er sich die Abendnachrichten oder die „Windrose“ mit Peter von Zahn entgehen ließe.
Bevor er die Stufen zur Veranda emporstieg, blieb er neben Luchs stehen, der mittlerweile aus seinem Versteck hervorgekrochen war und, träge vor sich hindösend, im Schatten der alten Eiche lag. Opa beugte sich zu dem lieben Hund hinunter und streichelte seinen Kopf. Meistens sagte er dabei: „Ja,

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Kommentare

10. Nov 2017

Dem Leben fein ein Lied gesungen!
(Auch die Collage ist gut gelungen!)

LG Axel

10. Nov 2017

Dank, Axel, dir, für deinen lobenden Kommentar.
So soll 's mitunter gehn im Leben, das ist wahr.

LG Annelie

10. Nov 2017

Genial wieder die Collgage. Beim Text habe ich den Anschluss etwas verloren,
habe ihn dennoch mit Freude gelesen, liebe Annelie.

Liebee Grüße in den dunkel-nassen Novemberabend.
Marie

10. Nov 2017

Dank dir, Marie, für deine lieben Worte.
Dafür spendier ich dir glatt irgendwann - 'ne Torte.
Den Anschluss wirst du nimmer nie verlieren:
Du bleibst am Ball, das kann ich garantieren.

Ganz liebe Grüße auch zu dir am Main;
Dazu fällt mir jetzt leider nichts mehr ein,

Annelie

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