Ganz am Anfang meiner Zeit war auch ich vollkommen neutral. Das änderte sich mit der Zeit. Die Zeit kümmert sich um solche Dinge.
Sie kümmert sich um alles. Wir meinen oft, dass wir oder unsere "Vorgesetzten" unsere Entscheidungen treffen. Ich glaube das nicht. Die Zeit lässt die Entscheidungen reifen, wie Früchte, und wir pflücken uns die, die sie uns pflücken lässt.
Wenn es um unsere Wesenseigenschaften geht, lässt sie uns auch schon mal schwimmen, z.B. zwischen zwei verschiedenen Eigenschaftsströmungen. Doch schwimmen wir eigentlich nicht, wir werden getrieben. Und aus uns nicht bekannten Gründen gelangen wir mit der Zeit in den Sog einer der Strömungen. Und ab diesem Zeitpunkt sind wir so wie wir sind, was diese zwei Eigenschaften anbelangt. Wir schwimmen mit der Zeit und durch sie. Die Zeit beherrscht uns, lässt nicht locker. Und wenn, dann sind wir nicht mehr existent.
Mich ließ die Zeit zwischen den beiden Strömungen "Optimismus" und "Pessimismus" treiben. Ich war damals ca. 14 Jahre alt. Ich wollte ein Optimist werden, wie alle, die von der Zeit für diese beiden Eigenschaftsalternativen ausgewählt wurden. Aber nach vielen Jahren - meine Zeit ließ sich Zeit - erfasste mich der Sog der immer reißender werdenden Strömung Pessimismus. Ich vermute, die Zeit hat meine bis dahin gemachten Lebenserfahrungen hierbei berücksichtigt.
Ich war ein bisschen enttäuscht aber tröstete mich mit der Tatsache, dass ich als Pessimist ja auf alle Fälle mit Optimist verwandt bin. Wir tragen sogar den gleichen Nachnamen: Mist.
Im Laufe der Zeit bekam ich das Gefühl, dass es mich gar nicht so schlecht getroffen hat. Im Gegensatz zu den mir bekannten Optimisten wurde ich nicht so oft von meinen Zukunftserwartungen enttäuscht.
Ich habe gelernt, mich mit der Zeit zu arrangieren. Ich verlasse mich auf sie. Sie ist vollkommen neutral. Ich vertraue ihr. Obwohl ich weiß, dass sie mich in nicht allzu langer Zeit verlassen wird. Ganz neutral.
So neutral wie damals, als sie mich in meine erste Lebenssekunde hat hineinschwimmen lassen.
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Worte eines Pessimisten
Ein Völkerkrieg hört selten auf,
doch kann er mal pausieren.
Im Frieden sagt man runter, rauf:
"Es darf nie mehr passieren."
Ein Mensch, der keinen Krieg erlebte,
den hat das Glück umworben,
ein Friedensengel ihn umschwebte,
oder er ist früh verstorben.
Die Worte eines Pessimisten
werden nicht so gern gehört.
Die Freude vieler Optimisten
wird durch diese nur gestört.
© Willi Grigor, 2016