Gefährlicher Sommer (Teil 9) - Page 2

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dass du der Klügste von uns bist.“ Konny ignorierte Hannes' spöttische Bemer­kung. Es war das Beste, was er tun konnte. Wahrscheinlich war er Anspielun­gen dieser Art von seinem Vetter ge­wohnt.

Wir bewunderten noch eine geraume Weile die süßen Ferkelchen, die damit beschäftigt waren, die Erde nach Futter umzuwälzen, obwohl Tante Agnes die Tröge mit Gersten­mehl und Weizenkleie aufgefüllt hatte.
„Du hast Post, Tante Agnes. Aus Rom!“, fiel mir plötzlich ein.
„Von wem?“, fragte sie und sah mich gespannt an.
„Keine Ahnung“, erwiderte ich. Fast hätte ich hin­zugefügt: Du stehst ja nicht im Verdacht, Knut ermordet zu haben (oder, Christine?). Des­halb habe ich die Kar­te auch nicht gelesen. Sie hätten mich vermutlich für eine Weile in eine geschlosse­ne Anstalt gesteckt, wohin ich unter gar keinen Um­ständen wollte.
„Es gehört sich doch nicht, in fremder Post rumzuschnüffeln“, stieß ich hastig hervor.
„Hättest sie ruhig lesen können, Katja, wir sind uns doch nicht fremd“, meinte Tante Agnes groß­mütig, woran sich Oma Anita ruhig mal ein Beispiel nehmen könnte.

„Bleibt bitte zusam­men, wenn ihr durch den Wald fahrt, Kinder, und haltet Augen und Ohren offen“, warnte uns deine Tante, bevor wir uns auf die Fahrrä­der schwangen und vom Hof radelten. Wir passierten den riesigen Höhenförde­rer vor der großen Scheune, liebe Christine, eine Apparatur, die Strohballen in dieselbe transportiert und die deine Tante „Höllenmaschine“ getauft hat, weil sie sich von deren unheimlich heulenden Geräuschen in den Wahnsinn getrie­ben fühlt. Ich hätte zu gern mal ausprobiert, ob das Gerassel wirklich über den Park hinausdringt.

In der Kastanien­allee, die auf die heiße, staubige Dorfstraße führt, war es wieder an­genehm schattig, viel weniger schwül als im Hof.
Wie ein weit gespanntes Festzelt wölbte sich das Laub der alten Bäume über die lange Auffahrt, so dass man kaum noch Himmelsblau sehen konnte. Ich freute mich riesig auf den Lachauer Forst, auf das kühle, tiefdunkle Sommergrün, das im Dämmer­licht des Waldes so üppig wie nir­gendwo zu wuchern pflegt. Vom Fenster meiner Kammer aus konnte ich über einen Teil des Gutsparks blicken, und weit in der Ferne erweckten die turmhohen Baum­kronen den Anschein, als streiften sie die weißen Wolken.

Als hinter den Roggenfeldern endlich der Waldsaum auftauchte und sich die vor Hitze flimmernde Dorfstraße in zwei schmale, unbefestigte Wege gabelte, erklärte Hannes:
„Wir radeln jetzt diesen Trampelpfad entlang, immer schön gerade aus.“
„Ja, und hinter der Biegung schlagen wir die öst­liche Richtung in den Wald ein, immer schön gen Osten“, er­gänzte ich und tat mein Bestes, mög­lichst gelang­weilt und unbe­teiligt dabei auszusehen.
Hannes, der die ganze Zeit hinter mir gefahren war, tauchte plötz­lich neben mir auf und blickte mich von der Seite an – mit einem ganz eigen­tümlichen Gesichtsausdruck, liebe Christine, weit entfernt von Hohn und Spott und seinen ständigen Eulenspiegeleien.
Er er­weckte vielmehr Anschein, als habe ihn ein unerträglicher Gedanke gepackt, irgendeine bittere Erinnerung, die ihm großen Kummer bereitet. In seinem Blick lag ein Hauch von Weh­mut. Er sah einen Moment lang todtraurig aus, fast so traurig wie seine Mutter auf dem Foto im Jagdzimmer.
Ich starrte sekundenlang in sein Gesicht und konnte nicht den leisesten Schimmer eines Lächelns darin ent­decken, ziemlich untypisch für den Hannes, den ich bisher kennengelernt habe.
Hastig wandte ich meinen Kopf zur Seite, um mich dem Bann sei­ner selt­sam verhan­genen Augen zu entziehen. Wenn er jetzt nur nicht zu heulen beginnt, dachte ich. Wie soll ich damit umgehn? Ich kenne ihn ja kaum.

Nie und nimmer hätte ich Hannes soviel Ernst zugetraut, und ich fragte mich, ob seine Gemütsverfassung irgendetwas mit Knuts Tod zu tun haben könnte. Es wird allmählich zwanghaft, liebe Christine; ich denke bald an nichts anderes mehr als an diesen schrecklichen Mord. Sogar beim Lesen überfällt mich von Zeit zu Zeit ein beklemmendes Gefühl, eine schmerz­liche Mischung aus Trauer und Angst. Ich halte dann sofort inne und denke über Knuts grausames Schicksal nach.

Kora und Konny fuhren ein ganzes Stück voraus, und Hannes rief ihnen zu, dass sie gefälligst anhalten und auf uns warten sollten. Er erinnerte sie daran, was uns deine Tante Agnes vor der Abfahrt gepredigt hatte. Es wunderte mich, dass Hannes die Worte deiner Tante ernst nahm, „Stine“ (Scherz), und ich freu­te mich darüber. Vielleicht war er längst nicht so schnodderig, wie er sich von Zeit zu Zeit aufführte.
Ich werde, nebenbei bemerkt, den Eindruck nicht los, dass alle Welt uns glauben machen will, dass es nach Knuts Tod gefährlich geworden sei, ohne Begleitung den Lachauer Forst zu durchqueren. Abgeknallt werden kann man schließlich auch, wenn man zu zehnt darin unterwegs ist. Oder etwa nicht?

Mir fiel plötzlich ein, was Frau Brandner im letzten Jahr Oma Anita anver­traut hatte: „Dieser verflixte Wald“, soll sie gesagt haben, „20000 Hektar. Viel zu viel, wenn du mich fragst, Anita. Am liebsten würde ich alles verpachten. Allein was ich an Grundsteuer, Haftpflicht- und Waldbrandversicherung je­den Monat aufbringen muss, ganz zu schweigen von den Kosten für den Was­ser- und Bodenverband. Und bei dieser enormen Hektargröße trifft mich als Be­sitzerin ja auch eine große Verantwortung für die Bewirtschaftung. Letzt­endlich bedeutet Wald Vermögen, das eine geringe Rentabilität hat; anderer­seits gibt mir dieser Besitz ein hohes Maß an Sicherheit. Ich muss ja schließ­lich auch an Ulla und Helge denken! Man kann nie wissen, was noch alles auf einen zukommt ... Mit der Land­wirtschaft steht es nicht gerade rosig, und ein bäuerlicher Betrieb, der über Wald verfügt, ist in der Regel finanziell leistungsfähiger und vor Krisen viel besser geschützt. Das Gutshaus ist auch schon ziemlich baufällig. Eigentlich müsste man alles abreißen und neu auf­bauen. Aber das kostet eine Menge Geld. Alles wäre leichter für mich, wenn Götz noch leben würde! Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass Helge Ende des Jahres mit dem Studium fertig ist und den Hof über­nimmt.“
Ich weiß gar nicht mehr, wie Helge aussieht, liebe Christine. Bevor er wegen seines Studiums nach Kiel zog, hat er sich höchst selten mit uns abgegeben; zum Baden kam er manchmal mit, allerhöchstens viermal, erinnerst du dich?, und auch nur deshalb, weil Frau Brandner ihn darum gebeten hatte – damit uns im Wald und zu Wasser kein Leid geschehe. Darauf hätten wir gut und gern

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