Gefährlicher Sommer (Teil 17; Text 2) - Page 6

Bild von Annelie Kelch
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geschehen, dass Mutti ihren Arm um mich legte und zu Krögers Wagen schleppte.
Ich saß zwischen Kora und Konny auf dem Rücksitz. Kora sprühte Funken vor lauter Eifersucht auf die bildhübsche Sängerin der Band. Sie war mir mittlerweile rätselhafter als der Lachauer Forst. Die Ledersitze waren dermaßen aufgeheizt, dass die Glut durch den leichten Stoff meiner Nietenhose drang, und obwohl Kröger den Wagen langsam und rücksichtsvoll über die holprige Dorf­straße lenkte, verursachte der Rhythmus der Fahrbewegung einen Wirbelsturm in meinem Magen. Der Rücksitz roch stark nach Tierfell, und ich entdeckte braune und weiße Hundehaare auf der Lehne, die nur von Luchs stammen konnten.
Die Felder und Löwenzahnwiesen, auf denen sich die kleinen gelben Sonnen hemmungslos ausbreiten durften, taumelten zittrig flimmernd am Fenster vorbei und mir wurde von Sekunde zu Sekunde schwummriger zumute. Dazu gesellte sich ein stechender Kopfschmerz, der hinter dem rechten Auge beharrlich vor sich hin pochte. Konny kurbelte ein Seitenfenster runter, weil die Sonne auf das Autodach brannte und wies Kora an, es ihm gleichzutun. Hin und wieder begegnete ich Krögers besorgtem Blick im Rück­spiegel. Als er um die nächste Kurve bog, passier­te es: Lenis ,Falscher Hase' sprang mir plötzlich in den Rachen, und ich presste schnell meine Hand auf den Mund. Aber es war zu spät. Ich kotzte unter anderem auf Koras schönes, blaues Kleid. Sie stieß vor lauter Schreck und völlig zu Recht einen hohen, spitzen Schrei aus, der mir das Blut in den Adern stocken ließ.
„Katja!“ Mutti sah mich vorwurfsvoll an. „Mir ist so unsagbar schlecht, so wahnsinnig übel“, stöhnte ich. „Es tut mir ganz entsetzlich leid, liebe Kora“.
Kröger war an den Straßenrand gefahren und trat hart auf die Bremse. Ich presste mir beide Hände an den Mund, um den erneut aufsteigenden Brechreiz zu stoppen. Mutti befahl uns auszusteigen und kramte in ihrer supermodernen Handtasche nach Taschen­tüchern herum. Ich leerte meinen Magen ins Gras, bis ich bittere Galle auf der Zunge schmeckte. Dann legte mich in die weiche, facettenreiche Gras- und Tierwildnis am Wegrand, drückte dabei vermutlich tausende von Käfern und Ameisen platt, und schloss die Augen. Mutti rieb wahrscheinlich wie eine Besessene auf Koras Kleid umher, denn Kora ließ verlauten: „Meine Mutter wäscht das Kleid gleich aus, Frau Kleve. Das ist viel besser, als wenn nachher die ganze Farbe weg ist. Fahr uns bitte nach Hause, Onkel Axel.“
„Katja, willst du nicht lieber zu Fuß gehen?“, fragte Kröger. „Die frische Luft wird dir jetzt ganz sicher guttun.“
„Ja, okay“, gab ich mit schwacher Stimme zur Antwort.
„Ich begleite dich“, sagte Konny. „Wie hat dir das Konzert gefallen?“, fragte er, nachdem wir eine Weile über die Felder spaziert waren.
„Keine Ahnung, Konny“, sagte ich, „ich hab nämlich so gut wie nichts von der Musik mitbekommen.“
„Ja, war dir denn die ganze Zeit über schlecht, Katja? Weshalb hast du nichts gesagt?“
„Was hätte das geändert?“
„Na, ich hätte dich doch zurück auf den Hof begleitet“, sagte Konny.
„Aber dass Hannes Kopfschmerzen hat, kannst du jemand anderem weismachen. Der hat nämlich so gut wie nie Schmerzen, im Gegenteil, der bereitet viel lieber anderen welche.“
Ich sah ihn erschrocken an. „Du weißt doch ganz genau, dass er das meiste, was er von sich gibt, nicht ernst meint. Er ist eben ein Spaßvogel.“
„Ach so, Spaßvogel nennt man das in eurem Jargon, wenn man permanent andere beleidigt“, stieß Konny hervor.
„Ich wusste gar nicht, dass du dir Hannes' harmlosen Spott so zu Herzen nimmst, Konny. Weshalb unternimmst du dann nichts dagegen?“, fragte ich erstaunt.
„Was denn?“, fragte Konny ironisch. „Soll ich etwa Onkel Axel bitten, dass er ihm eins in die … na, du weißt schon, Katja, haut?“
„Nein“, sagte ich, „weshalb erledigst du das nicht selber, wenn du so scharf darauf bist, Konny? Du bist doch viel größer und stärker als Hannes.“
„Ich schlage mich nicht mit Feiglingen“, sagte Konny. „Und Hannes ist ein Feigling. Einer von der übelsten Sorte.“
„Das ist Hannes ganz gewiss nicht, im Gegenteil“, verteidigte ich Macheath, und die Angst von vorhin kroch erneut in mir hoch.

„Da sitzt ja dein Maulheld“, sagte Konny spöttisch und deutete auf Hannes, der auf den Stufen der Verandatreppe hockte, den Kopf, den er mit seinen Armen umschlungen hielt, auf die Knie gebettet. Luchs saß aufrecht und in stolzer Pose etwa einen Meter von ihm entfernt und blickte ihn unverwandt an, als habe er von Leni die Order erhalten, ihn zu bewachen. Ich spürte eine unendliche Erleichterung bei diesem lieblichen Anblick.
„Hannes, du Pfeife, wie geht es deiner verrückten, durchgeknallten Birne?“, rief Konny.
Hannes hob augenblicklich den Kopf und sah uns entgegen. Ich konnte es fast nicht glauben, aber er lächelte zufrieden. Endlich eine gute Nachricht in Sachen Knut?, dachte ich und es ging mir augenblicklich besser. Ich winkte Hannes zu, und als wir die Veranda fast erreicht hatten, standen Leni, Tante Selma, Oma und Opa, Kröger und Mutti vom runden Eichentisch auf, an dem sie gesessen und sich unterhalten hatten und spazierten, miteinander plaudernd, durch die Verandatür. Sie blieben direkt hinter Hannes stehen, als posierten sie für ein Familienfoto.
Helge, dachte ich. Wo ist dieser Helge? – Kora!, durchzuckte mich plötzlich ein noch eisiger Schock als vorhin. Sie ist jetzt ganz allein in dem Haus hinterm See. Aber Tom! Tom war ja noch da! Er würde Kora beschützen. Er musste Kora beschützen.
„Na, Katja, rief Mutti gutgelaunt. „Geht es dir wieder besser?“
„Was dagegen?“, wollte ich zur Antwort geben, aber Hannes trat schnell auf mich zu und sagte: „Katja, da seid ihr ja endlich.“
„Hannes!“ Meine Stimme war rau und brüchig. Sie klang in meinen Ohren verzweifelt und erleichtert zugleich. Ja, sie klang, als sei Hannes mein Rettungsanker, mein Fels in der Brandung, mein Störtebeker, mein Graf von Monte Christo, mein Macheath.
„Katja, mach dir keine Sorgen: Ich war inzwischen zu Hause und habe Koras Kleid eingeweicht“, sagte Tante Selma lächelnd.
„Danke, Tante Selma", erwiderte ich.
Ich war wirklich erleichtert, liebe Christine, obwohl ich an alles andere gedacht hatte, nur nicht an Koras Kleid, das angesichts der neuen Tatsachen völlig unwichtig geworden war.
„Na, dann wollen wir Hannes und Katja mal alleine lassen. Gewiss haben sie sich eine Menge zu erzählen“, sagte Kröger und blickte mir tief in die Augen.
Was sollte das nun wieder? – Was weiß dieser Typ von Gutsinspektor, liebe Christine? Macht der womöglich mit den Wilderen gemeinsame Sache und hält uns alle zum Narren?

„Ich will mir erst noch die Zähne putzen und mich frischmachen, Hannes“, sagte ich. „Wir treffen uns dann in der Laube, falls sie ausnahmsweise mal leer sein sollte.“
Mutti zog ein verdutztes Gesicht, aber ich ging ganz ruhig an ihr und Oma vorbei. Leni zwinkerte mir zu und grinste. Niemand schien auch nur im Entferntesten zu ahnen, gegen wen Hannes und ich den Kampf aufgenommen hatten.

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Kommentare

13. Sep 2017

Bilder formen sich - gespannt
Bleibt der Leser gern gebannt!

LG Axel

13. Sep 2017

Dank, Axel, dir, für deinen Kommentar. Ich habe heute absichtlich mehr Text eingestellt, weil ich die Befürchtung hatte, es könnte euch anderenfalls langweilig werden. Es müsse wieder irgendetwas geschehen, die Handlung müsse weitergehen. Aber die Handlung geht ja weiter, sie bereitet vor, ihr Lieben; denn dieser Krimi ist nicht allein eine Kriminal- sondern auch eine Feriengeschichte, von Teenagern erlebt. Freundschaft, Liebe, Verrat, familiäre Verhältnisse spielen fast eine ebenso große Rolle wie der Mordfall. Zu kurz kommen sollte allerdings auch auf keinen Fall, wie sich das Leben auf einem Gutshof abspielt, eng mit der Natur verbunden. Auch das wollte ich schildern.

LG Annelie

13. Sep 2017

Wenn dein Jugendkrimi fertig ist, wirst du ihn sicher veröffentlcihen. Dann werde ich mit großem Interesse die gesamte Geschichte lesen, liebe Annelie. Die Inhalte von Fortsetzung zu Fortsetzung kann ich nicht so gut abspeichern. Deine Illustration gefällt mir wieder sehr.
Liebe Grüße - Marie

13. Sep 2017

Danke, liebe Marie, ich werde mich beeilen damit, habe noch so viele Geschichten im Kopf. Ehrlich gesagt, bin ich froh, wenn diese Geschichte, die schon so lange bei mir (herum-)liegt, endlich fertig ist. Eigentlich soll noch ein Folgeband erscheinen, aber das werde ich mir noch gründlich überlegen. Momentan grübele ich über ein kleines Kinderbuch: "Hauke Hasenfuß wird prominent". Es soll sehr lustig werden, damit wenigstens einige Kinder auf der Welt etwas zu lachen haben.

Liebe Grüße und einen schönen Abend,
Annelie

13. Sep 2017

Ein gigantisches Literaturwerk, das nur einen Verlag
finden muss !!!
Ich mag es lesen und finde es sehr gut !
LG an die Schreiberin,
Volker

13. Sep 2017

Lieber Volker, danke vielmals für dein Lob, das ein bisschen sehr übertrieben ist - gigantisch, das hört sich ja fast an wie "Krieg und Frieden". Aber ich freue mich selbstverständlich sehr, dass du es lesen magst. Ich werde dich, Marie, Axel und Willi als aufmunternde, treue Unterstützer erwähnen, auf der zweiten Seite oder wo auch immer, sofern ich es drucken lasse.

LG Annelie

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