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Vor allem das Zusammenspiel machte ihm große Sorgen. E. Dickinson/Pinguin.
Ja, der Beruf eines Schauspielers erschien ihm das Erstrebenswerteste überhaupt im Leben, vielleicht neben dem eines US-Präsidenten. Derzeitiger Präsident war der von Karl sehr verehrte William Howard Taft. Der 27. US-Präsident. Aber für dieses hohe Amt kam Karl Roßmann ja leider nicht in Frage. Dazu musste man zwingend auch in Amerika geboren worden sein. So nahm er also sein Schicksal an. Ein Schauspieler, und zwar ein recht guter, das wollte er sein. Einer, von dem zu reden war. Über den geschrieben werden würde. Nicht nur in Oklahoma City.
Der „Daily Oklahoman“ erging sich in wahren Lobeshymnen nach der Uraufführung des „Amphitryon“, auch die „Tulsa World“ nannte die Premiere „außerordentlich und sehr gelungen“. Man freute sich immer, die große Charakterschauspielerin, oft auch Staatsschauspielerin genannt, wieder einmal auf der Bühne erleben zu dürfen. So ist es denn mehr der großen Mimin in der Rolle der Alkmene zu verdanken, dass Presse und auch einige der Landesmedien auf das Stück auf der angemieteten Nebenbühne des Natur-Theaters von Oklahoma aufmerksam wurden, denn die hohe Kunst des K. Roßmann, eines Novizen, der in der Rolle des Jupiter „brav neben der großen Mimin zu bestehen wusste, wenngleich die Liebesszene, dem so großen Altersunterschied geschuldet, ein wenig zu hölzern und beinern ausgefallen schien“, wurde leider nicht in all dem Maße, wie es sich der junge Protagonist gewünscht hätte, gewürdigt. Sein eigenes Empfinden war: Er hatte herausragend gespielt. Doch wenn solch ein Novize diese göttliche Schauspielerin neben sich wusste, konnte er ja nicht anders als seiner Akademie-Chefin den Vortritt zu überlassen, was Lob und Aufmerksamkeit, seitens der mächtigen Presse, betraf. Vornehmlich bezogen sich alle Kritiken auf Madame Wind. Nur selten, und nur am Rande, wurde Roßmann erwähnt. Die beste Zeile in einer Kritik las sich dergestalt: „Der erst 25jährige Karl Roßmann gab einen recht brauchbaren Jupiter, das weitere Ensemble brachte kaum mehr als vielerlei recht schweifwedelnde Spalierenthusiasten zustande, Staffage für die große Blip Wind. Und mit einigem Talent ausgestattet, wie auch der ‘Jupiter’: Die junge Cléanthis.“
In anderen Tageszeitungen kam er nicht so gut davon. Viele Artikel erwähnten ihn nur am Rande. Er habe „der großen Mimin brav zugearbeitet und seinen Text ohne Holpern und Haspeln sehr fein daherzusagen gewusst, wenngleich auch mit einem recht deutlichen europäischen Akzent, allerdings war seine Bühnenpräsenz brillant.“
Karl machte sich nichts daraus. Er war Anhänger der These, es sei immer besser, schlechte Publicity zu haben als überhaupt keine Publicity. Zudem war sein Name in nur einem Atemzug mit dieser begnadeten Schauspielerin genannt worden, Jupiter und Alkmene, für immer vereint. Es gab insgesamt sechs große Artikel, und daneben noch 3 kleinere, die Roßmann alle sorgfältig ausschnitt, in ein kleines Büchlein sehr gerade und ordentlich einklebte, und hernach die Ausschnitte noch mit Informationen aller Art zur Aufführung und zur Veröffentlichung der Kritik, vor allem auch, in welcher Zeitung und an welchem Tage, ergänzte. Er fand es schade, dass alle Fotos immer nur Madame Wind zeigten, auf 2 Fotos war das Bühnenbild mit einigen Komparsen zu sehen, aber keines davon mit ihm persönlich. Gelobt wurde, dass Blip ihre Kunst so zu vermitteln verstand, dass ihr hohes Talent auch durchaus auf die Novizen der Akademie abstrahlte. Dies machte die Akademie-Leiterin nicht unerheblich stolz. So würden weitere, zahlungskräftigere Schüler vorsprechen. Sie würde demnächst ihre Semester-Gebühren deutlich anheben können. Bessere Ausstattung, prächtige und wunderschöne Kostüme im Fundus, größere Räumlichkeiten, Blip Wind rieb sich die Hände. Dieser Molière hatte der Akademie sehr gut getan. Und Roßmann hatte Ehre eingelegt. Auch die Cléanthis konnte sich sehen lassen. Die Chefin war es zufrieden.
Sie hielt nicht zurück mit ihrem Lob. Den Roßmann umhalste sie sogar. So etwas ist eben nur am Theater möglich. Eine heftige, nahezu stürmische Umarmung zwischen einer 62jährigen und einem nun 25jährigen. Auch für die Cléanthis gab es sehr nette Worte, aufmunternden Applaus von der großen Mimin. Ich habe mich nicht getäuscht in meinen Schäfchen, sprach sie, mit sprühender Lippe, jedes von euch Kinderlein wird den Weg des Erfolges beschreiten. Einige werden sich gedulden müssen und weiter sehr fleißig daran zu arbeiten haben, das Talent besser zu entwickeln. Aber einigen von euch (und sie sah dabei den Jupiter und die Cléanthis an) prophezeie ich eine glänzende Zukunft im Show-Business. Sie kürzte das Wort ab, sagte Show-Biz.
Karl war fasziniert davon. Wenn er nach Hause schrieb, nutzte er nur noch dies Wort und konnte gar nicht genug davon erzählen. So, dass eines Tages Johanna prompt nachfragte: „Du schreibst oft von diesem Show-Biz. Du wirst der Verlockung doch nicht etwa selbst erliegen, in diesem Rummel mitzumischen?“ Karl schrieb entrüstet zurück, solche Flausen könne er sich nicht erlauben. Er habe eine seriöse Handwerk- Tätigkeit auszuüben. Da sei kein Platz für diese Glitzerwelt, für Glanz und Glamour. Er habe mit seinem Fachwissen dafür zu sorgen, dass die Aufführungen gelängen, nicht dafür, selbst auf der Bühne zu glänzen. Zumal ihm dazu, verschmitzt lächelte er bei der Niederschrift dieser Zeilen, allemal das Talent fehle. Er bewundere eben nur, wie viele hier in Amerika, Show-Biz und Star-Rummel. Er sehe sich auch manche der Aufführungen an. Manche gefielen ihm sehr, bei anderen habe er, seien sie politisch- anarchistischer Natur, hernach kein Wort des Gefallens gefunden, finden können. Er log so gut, dass ihn selbst, las er seine Briefe erneut durch, verwunderte, warum er denn nur, in aller Welt, ein Schauspieler sein wolle. Karl war durchaus bewusst, dass er eine gewisse Affinität zur Lüge aufwies. Ihm kam wieder sein Pseudonym Negro in den Sinn. Warum hatte er den Leiter der 10. Werbetruppe belogen? Warum manche Polizeimacht in Gestalt eines Uniformierten? Warum auch die Oberköchin? Er würde das im Auge zu behalten versuchen. Und zusehen, dass er diese Notlügen auf ein Minimum beschränkt. Ohne jede Not zu lügen, sollte ihm nicht mehr passieren. Hier war ihm der Mr. Negro ein mahnendes Beispiel. Um ein Haar, hätte er diesen Vorfall nicht gerade noch rechtzeitig während der Zugreise von Clayton nach Oklahoma City gebeichtet, hätte es ihn auch diese, vermutlich wohl allerletzte Chance, gekostet.
Was dann geworden wäre, mochte sich Roßmann gar nicht erst ausmalen. Wieder auf der