Fortsetzung und Beendigung von Franz Kafkas Romanfragment "Amerika" - Page 15

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von Gherkin Green

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immer, Karls zartes Gemüt in dieser Hinsicht, das eine heillose Verstrickung in „Liebeshändel“ untersagte und verhinderte. Er spürte bei all den vielen hundert Proben, dass ihm eine unbändig große Leidenschaft entgegen getragen wurde. Ergriff er die zarten Hände der Holden (und blickte ihr dabei geradewegs in die herrlich blauen Augen), sagte er ihr all diese wunderschönen Sätze, die ein jedes Herz zu berühren wussten, vor allem aber das einer liebenden Schönheit, dann war ihm so, als gäbe es nur das Jetzt und Hier, kein anderes Leben, fern in Prag, bei Jakob und Johanna, keines als Bühnenarbeiter, und erst recht keines als Schauspiel-Schüler. Es gab, in diesen seltenen Momenten, und hier hatte die Akademie-Leiterin auch deutlich Tränen in den Augen vor Rührung, nur diesen Romeo und diese Julia, einander näher als der Zeige- und der Mittelfinger der Hand. Untrennbar verbunden bis zum bitteren Ende, dem gemeinsamen Selbstmord, Romeo durch Gift, Julia durch einen Dolch. Der Ausgang der tragischen Geschichte, für Karl absolut unfassbar. Das hätte doch verhindert werden können, dachte er bei der Lektüre, unter Tränen. Das hätte doch nun wirklich nicht sein müssen.

Karl unterdrückte diese „innere Hitze“, wie er es in seinen sporadischen Tagebuch- Aufzeichnungen seit Beginn seiner Tätigkeit beim Theater in Oklahoma City nannte, so gut es nur ging. Oftmals ging er weite Strecken, bis in die entlegensten Stellen von OK City, um den Kopf frei zu bekommen. Dann wieder rauchte er eine Pfeife nach der anderen, um bei einem guten Buche Zerstreuung zu finden. Und vielfach, tatsächlich, gab es die Erlösung beim Studium der hohen Shakespeare’schen Kunst. Weniger während all der Marathon-Strecken-Läufe, die er, um rasch zu ermüden, in rasender Eile betrieb. Nicht selten sahen sich Passanten nach ihm um, da er schnell und dennoch ziellos umher wanderte, eiligst, aber doch nicht bestrebt, einen klaren Punkt zu erreichen. Überhaupt war Karl zwar grundsätzlich sehr beliebt bei all seinen Kameraden und Mitarbeitern, auch bei den Untergebenen, vielleicht nicht so sehr bei Keller Thompson, aber vielen war sein Verhalten außerhalb der Arbeit auch suspekt.

Giacomo zum Beispiel, mittlerweile aufgestiegen zum Demi Chef de Rang, mit sehr viel mehr Gehalt als zuvor. Nun suchte er Karl bisweilen mit der einen oder anderen Leckerei auf. Dann schlemmten sie, tranken Wein, rauchten und unterhielten sich - und immer wieder stieß ihm dabei merkwürdig auf, wie Karl sich verhielt (so geziert), wie er redete (so gestelzt), welch großen Wert er auf gute Aussprache und auf ein fehlerfreies Englisch legte. Er hatte die Angewohnheit, Giacomos Fehler direkt und auch ein wenig unhöflich zu verbessern. Dies gefiel dem Freund nicht, und so fielen die Besuche bei Karl immer spärlicher aus. Was Roßmann aber nicht störte. Für ihn waren die Besuche eine willkommene Abwechslung zum tristen Alltag geworden. Es gab für ihn ja nur die Arbeit, das Studium und das Briefeschreiben. An seiner Wand klebten 7 Bilder des stetig wachsenden Jakob und der fröhlich blickenden Johanna. An ihnen und dem Bild von Prag ergötzte sich sein Herz, wenn es ihm schwer ward. Aber als Giacomo immer häufiger ausblieb, auch keine Witze mehr unter seiner Tür durchschob, um Karl aufzuheitern, konnte unser Roßmann deswegen aber keinerlei Traurigkeit über diesen Umstand bei sich ausmachen.

Jener meinte, in seiner Brigade, wenn die Rede auf Karl kam: „He´s my sentimental friend. He actually don´t need one...“ Mittlerweile hatte sich Giacomos Englisch zwar verbessert, sonst hätte er auch die neue Stellung nicht bekommen, aber der Fehler gab es noch genug, so dass es vielleicht gerade daran scheitern mochte, warum er auch in den Folgejahren nicht zum Chef de Rang befördert wurde. So endete dann, versickerte die Freundschaft zu Giacomo. Karl R. entschloss sich in einem strengen Winter, die Antiderapants (Schneeketten) befanden sich nun bereits an all den vielen Fahrzeugen auf OK Citys Straßen, in Oklahoma City sind die Sommer sehr heiß und schwül, die Winter sind sehr kalt und windig, und es ist das ganze Jahr über teilweise bewölkt, nur zwischen Juni und September konnte man das Wetter als hocherfreulich bezeichnen, nunmehr dem fernen Freunde, Franz, vom Ende der Ausbildung an der Akademie zu berichten. Er absolvierte gerade das letzte Semester, alle waren voll des Lobs bezüglich des jungen Schauspieler-Anwärters, da hatte er die Eingebung, endlich wenigstens einem Menschen davon zu berichten, dass er die Akademie mit einem Diploma würde verlassen können, um endlich hauptberuflich Schauspielkunst zu zeigen, an öffentlichen Bühnen, am liebsten natürlich auf der weltweit einzigartig konstruierten doppelten Riesenbühne des Natur-Theaters von Oklahoma, mit dieser Vorhang-Gleitmechanik, die ihresgleichen suchte. Und die er selbst bereits so oft zu bedienen hatte. Es konnte, nach Karls Meinung, gar nicht schaden, wenn man zuvor hinter der Bühne gearbeitet hatte, um dann schließlich auf ihr selbst zu landen. Unter völlig anderen Vorzeichen. Franz sollte die Wahrheit erfahren. So schrieb er ihm also einen langen Brief, mit eng beschriebenen 9 Seiten, und teilte dem Freunde mit, dass er bald ein fertig ausgebildeter Schauspieler sein werde. Durchaus mit Aussicht auf ein Engagement an einer namhaften Bühne in Amerika. Als jugendlicher Liebhaber.

Auf diese Rolle hatte er sich nun einmal festgelegt, unterstützt durch Instituts-Chefin Azimuth B. Wind.

Nun war Franz Kummerbund der einzige Mensch überhaupt, den er mit der Wahrheit betraute, dem er radikal alles erzählte, was es mit dem hohen Ziel auf sich hatte, der Schauspielerei. Er schrieb, abschließend: Man werde sicherlich noch von ihm hören. Und siehe da, Franz schrieb ab sofort häufiger. Er sprang auf dieses Thema stark an, die Interessen deckten sich, daher wurde der Briefverkehr anregender, ausführlicher, deutlich geprägt von der Neugierde des Freundes hinsichtlich der überwältigenden Theaterlandschaft in Amerika. Kummerbund stellte viele Fragen, bat um Auskünfte, mal über diesen großen amerikanischen Mimen, dann wieder über jene Actress, die er im Kino in Deutschland gesehen hatte. Er fragte nach den Gepflogenheiten, die an der Bühne vorherrschten, hatte Fragen zur Ausbildung, wollte unbedingt gern wissen, welche Verdienstmöglichkeiten ein Jung-Schauspieler in Amerika hatte, bei zunächst kleinem Engagement. Nun schrieb auch Karl eifriger, bemühter, sichtlich zufriedener, es gab nichts zu bereuen, Franz K. in sein Geheimnis eingeweiht zu haben. Karl hat von Madame Wind erfahren, dass die „neuen Kräfte an

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