Montego Bay

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Sie wollte in Montego Bay ankommen, er aber wollte lieber in Kingston ankommen. Er war zwar auch der Meinung, dass es egal sei, ob sie in Montego Bay ankämen und später nach Kingston fahren würden oder umgekehrt, zuerst in Kingston ankommen um dann nach Montego Bay zu fahren.
Er sagte aber, Kingston ist immerhin die Hauptstadt von Jamaika und ihm wäre es doch wichtiger zuerst die Hauptstadt eines Landes kennen zu lernen, weil die Hauptstadt das Aushängeschild eines Landes ist, wo man vom ersten Eindruck an besser auf den Zustand des ganzen Landes schließen könne, als wenn man zuerst einen Ort besucht, der wegen seiner Sehenswürdigkeiten oder seinen Freizeitangeboten, einen einseitigen und somit falschen Eindruck vermittelt.
Ihr dagegen, schien diese Begründung überhaupt nicht zutreffend, weil sie dachte, dass gerade der erste Eindruck von einem Urlaubsort ein positiver sein sollte und dass man diesen am besten dort gewinnen könne, wo die Erwartungen an einen Urlaub in besonderem Maße erfüllt werden. Auch war sie überzeugt, dass in einer Hauptstadt mit ihren grossen Straßen und Plätzen, den internationalen Geschäften und mit der ganzen Hektik, die selbstverständlich in in jeder Hauptstadt herrschen muss, sich überhaupt kein Urlaubsgefühl einstellen könne, weil alles im Prinzip genau so ist, wie zuhause. Das sagte sie ihm.
Er gab ihr in dieser Hinsicht sogar Recht und bedauerte, dass sich die meisten Hauptstädte immer ähnlicher werden, was für ihn aber leichter zu ertragen wäre, als die stereotype Struktur von Urlaubsresorts, die er im Prinzip hasse. Da ist eine Straße, sagte er und hundert oder zweihundert Meter links davon verläuft der Strand, dazwischen stehen riesige Hotelkästen und rechts von der Straße sind die Souvenirläden und Restaurants. Egal, ob es geradeaus, bergauf oder bergab geht oder ob der Ort aus verwinkelten Gassen besteht, es ist im Prinzip doch immer die gleiche Struktur. Strand und Hotels, auf der einen Seite. Souvenirläden und Restaurants auf der anderen Seite und Hunderte, ach, was sag ich, sagte er, Tausende von rotbraun gerösteten Touristen wandern dazwischen umher.
Die Zeiten in denen der Strand und das Meer sein wichtigstes Urlaubsvergnügen war, seien für ihn vorbei, sagte er und außerdem wolle er auch nicht riskieren, gleich am ersten Urlaubstag durch die vielen Souvenirläden wieder daran erinnert zu werden, wie sie einmal in einem solchen Laden auf Santorin, obwohl dort eine erbarmungslose Hitze von mindestens 40 Grad geherrscht hat, unbedingt einen Polarfuchsmantel kaufen wollte, weil er so günstig angeboten wurde.
Weder Motego Bay noch Kingston oder irgend etwas in der ganzen Karibik, sagte sie, sind mir so viel wert, als dass ich mir immer wieder diese alte Platte mit dem Pelzmantel anhöre. Fahr du ruhig nach Kingston und schlürfe dort in einem deiner geliebten Straßencafés, die es hier genauso gibt, wie in Rom, Paris oder Madrid, deinen original Jamaica-Rum-Cocktail, genau so, wie er in jeder Bar der zivilisierten und sogar der weniger zivilisierten Welt serviert wird. Mir jedenfalls ist die Lust auf Urlaub gründlich vergangen und ich fahre nicht mit.
Er war überrascht , aber er ließ sich nichts anmerken und sagte, dass er sie nicht zwingen könne an einer Urlaubsreise teilzunehmen, wenn auch das Reiseziel, egal ob Montego Bay oder Kingston, für die meisten Menschen ein absolutes Traumziel darstelle, das zu buchen, immerhin einiges an finanziellem Aufwand erfordere, der nun dank ihrer Entscheidung zur Hälfte umsonst ausgegeben worden sei, weil so kurz vor dem Abflug keine Stornierungsmöglichkeit besteht. Aber, wenigstens, haben wir unseren obligatorischen Urlaubsstreit schon hier und nicht erst in der hässlichen Karibik, sagte er zu ihr und dass er sich jetzt, auf diesen Schock hin, erst einmal bei einem Spaziergang Beruhigung verschaffen müsse. „Wenn wir zurück sind, sieht die Welt vielleicht schon wieder ganz anders aus“ rief er ihr noch entgegen, als er mit dem Hund das Haus verließ.
Sein Spaziergang dauerte länger als sonst. Viel länger sogar und sie ertappte sich mit der Frage, ob ihm oder dem Hund vielleicht etwas zugestoßen sei. „Ach was“, dachte sie und gab sich selbst als Antwort, dass man sie in diesem Fall längst verständigt hätte.
Sie saß bis spät in die Nacht, mit ihren Gedanken beschäftigt, auf der Couch und starrte auf den Fernseher, wo irgend ein Programm ablief, das sie nicht verstand, weil sie nicht darauf achtete was gespielt wurde. Sie konnte sich nicht überwinden ihn anzurufen, weil sie vermutete, dass er seinerseits nur auf ihren Anruf warten würde. Beim ausschalten des Fernsehers sagte sie laut das Wort „Machtspiele“ vor sich hin und ging schlafen.

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Kommentare

20. Sep 2015

Der Wahnsinn im Kleinen
Alltäglich - möcht ich meinen
bis Einer endlich erkennt
und es als Unsinnig benennt ...

Gelesen und geschmunzelt
Eva

21. Sep 2015

Schöne Bemerkung, danke!

20. Sep 2015

Urlaub vom Alltag wäre Pflicht!
(Doch grade dieses klappt ja nicht...)

LG Axel

21. Sep 2015

Gruß und Dank an den Dichter.

21. Sep 2015

Erwartungen sind nicht selten zu hoch ... ! LG!

21. Sep 2015

Danke für den Kommentar.

24. Sep 2015

Man sollte keine Erwartungen haben, sie steht der Freude im Weg.
Liebe Grüße,
Angélique Duvier

24. Sep 2015

…vielleicht geht demnächst doch noch was zamm!