Eine Ausschweifung - Page 11

Bild von Lou Andreas-Salomé
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»Sie sehen so gut aus: vielleicht lachen Sie nicht darüber.«

»Nein, ich lache nicht darüber,« sagte ich aufs tiefste ergriffen und schloß die kleine Schwärmerseele in die Arme, wie ein Schwesterchen, das ich bis auf den Grund ihrer seligen thörichten Romantik verstand. Ob sie wohl eine Ahnung davon hat, daß sie ihn liebt? dachte ich mit furchtsamem Herzen.

Da fuhr sie plötzlich in meinen Armen zusammen, so sehr, daß ihr ganzer armer kleiner Körper erzitterte.

»Was ist —?«fragte ich erschrocken und stand auf. Sie lauschte. »— Es ist sein Schritt!« sagte sie leise.

Als ich am nächsten Vormittag zu Benno hinüberging, war er schon da, aber ein Angestellter des Irrenhauses war noch bei ihm und stand wartend neben dem Schreibtisch, an dem Benno saß und einige Papiere ordnete.

Ich zündete den Spiritus unter dem Thee­kesselchen an, und setzte mich auf eine breite mit Leder überzogene Ottomane an der Hinterwand des Zimmers. Auf einem dicht heran geschobenen niedrigen Tisch lagen durcheinander allerlei Bücher und broschierte Schriften. Nach dem gestrigen Gespräch mit der kleinen Baronesse wunderte ich mich nicht mehr, zwischen der Fachlitteratur die verschiedensten andern Geisteswerke zu finden, von denen ich früher nie geglaubt hätte, daß sie sich bis zu Benno verirren würden.

Zweifellos war diese Bereicherung und Vermehrung seiner Interessen ein vorteilhafter Wechsel; nur zu seiner ganzen Eigenart, von der Schroffheiten und Engen mir völlig unabtrennbar schienen, wollte er nicht recht stimmen.

Nachdenklich langte ich einen abgegriffenen kleingedruckten Band hervor, der zu einer ältern Schillerausgabe gehörte; offenbar durchstöberte Benno den alten Familienschrank im Wohnzimmer, um sich litterarisch zu bilden, und war jetzt also bei Schiller angelangt.

Diese Bemerkung kam mir ohne allen Hohn, — ich freute mich drüber, daß er im Grunde doch noch ganz derselbe blieb, — Pedant und unmodern.

»Wallensteins Tod«. Mitten im Band knisterte ein breites trockenes Epheublatt und ließ das Buch sich dort von selbst öffnen. Ein langer feiner Bleistiftstrich den berühmten Monolog an Max entlang:

Die Blume ist hinweg aus meinem Leben,

Und kalt und farblos seh’ ich’s vor mir liegen.

Denn er stand neben mir, wie meine Jugend,

Er machte mir das Wirkliche zum Traum,

Um die gemeine Deutlichkeit der Dinge

Den goldnen Duft der Morgenröte webend —

Im Feuer seines liebenden Gefühls

Erhoben sich, mir selber zum Erstaunen,

Des Lebens flach alltägliche Gestalten.

— Was ich mir ferner auch erstreben mag,

Das Schöne ist doch weg, das kommt nicht wieder.

— — Ich las es ganz arglos; mir fiel nicht ein, daß jemand hier »sie« für »er« gelesen haben könnte. Aber auch zu mir sprach es wie ein Liebesgedicht —.

Benno war aufgestanden, er hatte den Mann abgefertigt und wandte sich mir zu.

»Ach laß das,« bemerkte er mit einem Anflug von Verlegenheit, als er mich mit dem Buch in der Hand sitzen sah, »hier giebt es nichts, was dich interessieren könnte. Wir redeten ja schon gestern davon, daß man in allem unwissend und ein Stümper bleibt, was nicht zum Beruf gehört. Ich kann nur wieder sagen: leider! Denn auch in meinem Beruf wäre der Tüchtigste, wer zugleich Welt und Leben mit umfassen könnte.«

Ich legte das Buch aus der Hand, besorgte den Thee und entgegnete zögernd:

»Früher dachtest du doch ganz anders darüber, Benno. Du urteiltest über alles als Mediziner ab und ließest keinen Einwand gelten. Wodurch ist denn das nur so gekommen?«

Er war an das Fenster getreten und blickte auf die verschneite Straße hinaus, die von den gegenüberliegenden Gefängnissen verdunkelt wurde.

»Dadurch, daß ich dich verlor!« sagte er halblaut.

Ich wagte nichts zu erwidern. Ich verharrte regungslos. Aber ich dachte bei mir: »Das war ja durchaus dein eigner Wille, dieser Verlust.«

Ohne sich vom Fenster abzuwenden und ohne nach mir hinzusehen, fuhr er mit halber Stimme fort:

»Ja, dadurch allein. Sonst wär ich wohl lebenslang so geblieben wie damals: für meine eigne Person gewiß nicht anmaßend, sondern voll Bescheidenheit, aber voll Ueberschätzung und Dünkel hinsichtlich meiner unfehlbaren Weisheit, als Fachmensch. Aber da erkannte ich allmählich, wodurch ich dich verloren hatte: durch den Mangel an Einsicht in das, was dir not that, durch Mißverstehen alles dessen, was kraftvoll und gesund in dir war, und nur deshalb krankhaft erschien, weil man deine Entwickelung unterband, weil man dich nicht in den Stand setzte, es künstlerisch aus dir herauszugeben —«

»— Das war gut so,« unterbrach ich ihn mit Anstrengung, »— die Zukunft hat es bewiesen. Sie hat bewiesen, wo meine Tüchtigkeit. liegt. — — Nicht da, wo wir sie suchten —.«

»Scheinbar: ja,« versetzte er fast heftig in unterdrücktem, gequältem Ton, »scheinbar hatt ich ja recht, aber warum? Nur, einzig und allein nur, weil wir von vornherein einen entsetzlichen Fehler gemacht haben. Ich meine in deinem Verhalten zu mir. Anstatt dich durch die Grenzen und Schranken meiner Unerfahrenheit einzuengen, hätt ich mich durch dein reicheres Wesen hinausleiten lassen sollen ans ihnen, — grade wie es mir ja durch dich während unsrer Trennung geschehen ist.«

»Nein, o Benno, nein!« fiel ich ein, »dann wärst du ja gar nicht du selbst gewesen.«

»Ich spreche dich ja bei diesem begangenen Fehler durchaus nicht von Mitschuld frei!« sagte er eindringlich, »nein, wie sehr, wie sehr warst du selbst schuld daran! Schuld durch deine Folgsamkeit und Fügsamkeit, schuld durch deine leidenschaftliche Selbstunterwerfung und den kritiklosen Glauben an meine thörichte Unfehlbarkeit. Hättest du mich nur nicht über dich gestellt, sondern neben dich, — ach, lieber noch unter dich, als so hoch hinauf.«

»Dann hätt ich dich nicht geliebt,« sagte ich leise. »Ach Kind,« versetzte er mit gedämpfter Stimme und wendete sich vom Fenster fort, »— warum liebt ich dich denn? mir selbst unbewußt doch um deswillen, worin du thatsächlich über mir standest, etwas Selteneres, Feineres, Glanzvolleres warst als ich. Ich kam aus der

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