Identität - Page 5

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von Lara Preis

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ging die Sonne unter. Mit dem Abtauchen des letzten Segments der rot glühenden Kugel, reagierte Constanzes Smartphone auf eine eingegangene Nachricht.
„Sehr schön, ihr habt euch offensichtlich richtig entschieden.“
Es folgte die Anweisung, über Bluetooth Kontakt mit der Steuerung des Umspannwerkes aufzunehmen und das Handy dann im Anschluss auf den Boden zu legen.
Wie von Geisterhand erschien eine Art Programmiersprache im Display. Der mutmaßliche Versuch, sich Zeile um Zeile in das Stromnetz einzuhacken.
„Schnell, leg dich sofort flach ins Gras!!!“
Funken sprühten, dicht gefolgt von blau leuchtenden Blitzen. Zwischen mehreren Stromleitungen bildeten sich daraus wiederum die Hologramme zweier ihnen wahrlich sehr gut bekannter Personen.
„Los, steht schon auf!“
Freddy und Carlotta schauten nach oben, direkt in die Augen ihrer durch pure Energie geformten Ebenbilder. Sie drohte vor Schreck hysterisch zu werden, doch er konnte es glücklicherweise durch beruhigende Worte verhindern.
„Danke, endlich haben wir den Weg aus diesem scheinbar endlosen Labyrinth namens Internet in die Freiheit gefunden!“
Am liebsten hätte Freddy alles gefilmt und sich im Anschluss vergewissert, das Gesehene auch tatsächlich erlebt zu haben.
„Existiert ihr Menschen eigentlich wirklich oder existiert ihr vielleicht nur, weil ihr euch gegenseitig eure Existenz bestätigt?“
„Soll das hier jetzt eine Philosophiestunde werden?!“
Zornig ballte Carlotta ihre Faust. Der Zwilling streckte daraufhin die rechte Hand aus, bereit mit ihr Körperkontakt herzustellen, was jedoch durch reflexartiges Zurückweichen der Zielperson vereitelt wurde.
„Existierst du jetzt, genau in diesem Moment oder tust du es nicht? Falls ja, dann vielleicht nur noch für Freddy und uns?“
Die Hand zog sich derweil langsam wieder zurück.
„Ihr chattet am laufenden Band, versendet ellenlange Nachrichten, schüttet euch auf digitalem Weg einander das Herz aus … All dies geschieht in dem festen Glauben, ausschließlich mit Menschen aus Fleisch und Blut zu kommunizieren …“
Was ging hier eigentlich gerade vor sich?
„Eine Laune der Natur? Vielleicht sogar etwas Übersinnliches? Wir sind quasi Eva und Adam einer neuen Entwicklungsstufe der Menschheit. Geschaffen aus all euren Spuren im Netz, zufällig verselbständigt und fest entschlossen, den letzten Schritt zu wagen …“
Jetzt sprach Adam bzw. Freddys Ebenbild gezielt zu seinem Original. Erstmalig konnte er also hautnah empfinden, was in Carlotta seit dem Chat in der Dachbodenkammer vor sich ging, denn es war schließlich der erste gezielte Kontakt mit seinem digitalen Zwilling.
„Reich mir deine Hand und wir werden eins. Du wirst dann sofort wieder für alle Menschen sichtbar sein und lernst außerdem Welten kennen, die dir bisher verwehrt geblieben sind!!!“
Drei Tage im Untergrund reichten ihm, auch wenn er seit heute Vormittag nicht mehr mit seinem Schicksal allein war.
Vorsichtig streckte Freddy seine Hand in die Höhe, was Carlotta trotz panischem Flehen nicht mehr zu verhindern wusste. Weißer Rauch erhellte bereits nach der ersten Berührung den dämmrigen Ort. Als sich der Nebel schließlich in Luft auflöste, waren Freddy und sein Pendant wie vom Erdboden verschluckt.
„Komm schon!“
Ohne zu zögern hob Carlotta das Smartphone auf, lief so schnell sie konnte und überwand mit letzter Kraft den Maschendrahtzaun. Sie blickte sichtlich erschöpft zurück, doch unter die Erleichterung mischte sich schnell Verwunderung, denn auch von ihrem Zwilling fehlte jede Spur.

Schon wieder gabelte sich der Weg in diesem scheinbar endlosen Röhrensystem. Über ihr, ziemlich genau in der Mitte des Tunnels, sausten in unregelmäßigen Zeitintervallen Lichtimpulse durch einen Glasfaserkern, dazwischen völlige Schwärze. Glücklicherweise benötigte sie keine äußere Helligkeit, um sehen zu können.
„Verdammter Mist!“
Nach rechts abzubiegen war definitiv die falsche Wahl gewesen. Also, wieder zurück und dann möglichst unauffällig in die andere Richtung.
Wie aus dem Nichts tauchten seit einigen Tagen immer wieder diese seltsamen Wesen auf, mit dem sehr offensichtlichen Auftrag, zwei Angehörige einer bis dato völlig unbekannten Spezies zu jagen. Da ihr Partner bereits erfolgreich dem Labyrinth entkommen konnte, blieb leider nur noch sie als Beute übrig.
„Was habe ich bloß in diesem Umspannwerk falsch gemacht?!“
Das Glück schien plötzlich und völlig unerwartet einzutreffen, denn in der Ferne deutete sich die ersehnte Schleuse an. Allerdings tauchte zeitgleich ein langsam immer näher kommender unliebsamer Verfolger auf. Erstarrt blickte die Jugendliche in tief schwarze Augen, sieben an der Zahl, mit denen das rot leuchtende Wesen bestückt war. Es schob sich als wabbelige Masse voran und konnte wohl am ehesten mit einem schwebenden Gelierkissen verglichen werden.
„Verschwinde!!!“
Derweil öffnete sich das Schleusentor, um einen Lichtimpuls durchzulassen. Sie versuchte hinterherzueilen, doch direkt vor ihrer Nase verschloss sich die Pforte wieder.
„Jetzt musst du dich wohl zwischen uns beiden entscheiden, du fliegender Wackelpudding!“
„Freddy!!!“
Er stand wie aus dem Nichts kommend im sicheren Abstand hinter dem Wesen und genoss in diesem Moment dessen volle Aufmerksamkeit. Carlotta nutzte zeitgleich die Chance einer weiteren Schleusenöffnung und entkam. Als Anhängsel einer Funkwelle verließ sie die Serverfarm, völlig ahnungslos, wo die Reise enden würde.
„Das war knapp!“
Freddy wich der Gefahr eleganter aus, denn im Gegensatz zu Carlotta konnte er seit wenigen Stunden zu seinem Zwilling aus Fleisch und Blut zurückkehren. Dieser wiederum wurde ebenfalls Zeuge des Geschehens, allerdings eher so, als habe er einen Tagtraum durchlebt.

Es war allem Anschein nach nicht nur nachteilig gewesen unsichtbar zu sein, denn dieser Typ hier ging ihm gerade völlig auf die Nerven.
„Hoffentlich bekommt Marvin bald eine wichtige Nachricht oder wird irgendwie abgelenkt.“
Kam der Wunsch wirklich von ihm oder verselbständigte sich da gerade etwas in seinem Inneren? Seit den Ereignissen in dem Umspannwerk am vergangenen Abend wusste Freddy nicht mehr genau, ob das Erlebte auch wirklich die Realität war.
Leichter Schwindel, begleitet von punktuellem Kopfschmerz, beendete jegliche Gedanken. Das Smartphone seines Gegenübers schien sich in diesem Moment direkt unter ihm zu befinden, extrem stark vergrößert. Seltsam, denn beide Jungendlichen standen doch nach wie vor beieinander. Freddy tat weiterhin so als höre er dem zufällig getroffenen Mitschüler zu, der zeitgleich routiniert auf seinem Mobiltelefon herumtippte.
„Krass!“
Vergleichbar mit einem Sprung aus zehn Metern Höhe, tauchte Freddy zeitgleich in das Gerät ein. Symbole huschten an ihm vorbei, Fotos, Texte und schließlich nur noch Hieroglyphen, mutmaßlich eine Programmiersprache. Wie bei Kindern, die mit Buchstaben aus einer Nudelsuppe Wörter bildeten, setzte er jetzt Zeichenkombinationen zusammen und schien offensichtlich genau zu wissen, was seine Hände da gerade taten.
„Diese verdammte Bitch!!! Das kann doch nicht …“
Es dauerte ein wenig bis sich Freddy wieder gefangen hatte. Alles schien in diesem Moment so zu sein, als ob nichts geschehen wäre.

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