Gefährlicher Sommer (Teil 15; 2. Hälfte) - Page 4

Bild von Annelie Kelch
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war und auf mich gewartet hatte.
„Eigentlich nicht“, keuchte ich. „Es ist auch so heiß heute. Die Sonne sticht total.“
„Jetzt gibt es kein Zurück mehr“, sagte Hannes streng. „Außerdem lasse ich euch nicht allein zurückfahren. Nachher kommt der böse Helge und fährt euch über den Haufen.“
„Selber böse“, entfuhr es Kora.
Wenn du wüsstest, liebe Kora, dachte ich und fragte: „Sind wir bald da?“
„In einer Viertelstunde, falls ihr nicht vorher einschlaft.“ Hannes schnitt eine Grimasse.
„Macht sich eigentlich niemand von euch Gedanken, welche von den Hennen Leni verraten hat, dass Brennnesseln angesagt sind?“, wollte Konny wissen.
„Hennen, ts, ts“. griente Hannes. „,Der Goldene Brakel' stellt das Menü zusammen, du Dummerchen.“

Endlich lag das hochgelobte Land vor uns. Vor meinen Augen flimmerte eine stark verschilfte Uferlandschaft mit grünsaftigen Sumpfwiesen und vertrockneten Bachbetten. Dazwischen schmorten trübe kleine Tümpel, an deren ausgefransten Rändern Schachtelhalm, Hahnenfuß, Schwertlilien und ein Dickicht aus Binsen und Schilf entlangkroch. Gleich dahinter erstreckte sich ein reichlich verschilfter Baggersee mit ungewöhnlich klarem Wasser, das stählern in der Sonne blinkte und den Anschein erweckte, wer weiß wie kühl zu sein. Über Heerscharen von Spinnen, die mit unglaublich langen Beinen zwischen den seichten Wellen huschten, zitterten glänzende Schwärme von durchsichtigen Libellen, die bziarre Schatten warfen. Ihre filigranen Flügel schimmerten geheimnisvoll im flirrenden Sonnenlicht.
Ein breiter, fahlgelber, sumpfiger Riedgürtel schlängelte sich um den See wie eine Serpentine. Wahrscheinlich hatten die einheimischen Landwirte die Felder ringsherum lange Zeit von chemischen Spritzmitteln verschont; denn Wildblumen wie Kamille, Mohn, Klee, Wiesensalbei, rosafarben blühende Taubnesseln und wilde Lupinen, um deren Blüten sich die Bienen wie Menschenmassen im Schlussverkauf um Warentische drängten, gediehen hier prächtiger als Unkraut.
Was für eine traumhafte Gegend, dieses traumverlorene Gewässer mit dem zarten Wiesenschaumkraut drumherum, dachte ich.
„Ich liebe dieses lilafarbene Zeug“, rief Kora plötzlich und breitete die Arme aus, als wolle sie die Gegend an ihr Herz drücken.
„,Cardamine pratensis', ein Kreuzblütler“, dozierte Konny, „bevorzugt Nasswiesen und lichte, feuchte Laubwälder.“
„Du musst einem auch jede Freude verderben“, schnaubte Kora wütend. „Ist mir doch sowas von schnuppe, wie die Botaniker diese Pflanzen schimpfen.“
Hannes grinste zufrieden, als hätte Tante Selma ihm sein Lieblingsgericht serviert: Entenbraten mit Rotkohl, wenn ich mich nicht irrte.
„Wer Biberhöhlen entdeckt, bekommt von mir einen extra fischigen Leckerbissen“, versprach Konny. „Biber sind nämlich ganz hervorragende Architekten. Diese komplizierten Bauwerke aus Ästen und Baumstammteilen sind echt sehenswert!“
„Biberhöhlen?“, fragte Hannes mit amüsierter Stimme. „Diesmal sitzt du aber auf dem falschen Dampfer, Konny, alter Klugschwätzer. „Biberhöhlen findet man meines Wissens nur an fließenden Gewässern.“
Konny schwieg, die Augen voller Weisheit, aber auf seiner Stirn zeigten sich verräterische Falten, die sich anschickten, einen wie auch immer gearteten Denkprozess in Gang zu setzen.

„Wir könnten Leni einen wunderschönen Strauß mitbringen“, schlug ich begeistert vor.
„Die alte Xanthippe bekommt keinen einzigen Stengel mehr von mir“, giftete Hannes. Kora sah mich an und wir kicherten eine Weile.
„Leni, Liebste, Schönste, Teure ...“, schleimte Konny plötzlich los. Es hörte sich täuschend echt an, liebe Christine. Genau wie Hannes.
„Das war einmal“, sagte Hannes. „Leni weiß meine Qualitäten nicht zu würdigen.“
„Welche Qualitäten?“, wollte Kora wissen.
„Wo liegt denn nun eigentlich diese Landzunge“, fragte ich gespannt und blickte angestrengt in der Gegend umher, auf die Felder und Wiesen, die sich bis zum Waldrand erstreckten.
„Da doch, Katja!“, Hannes deutete auf eine circa zwei Meter breite Grasnarbe, die sich ein kleines Stück weit ins Wasser schob.
„Hat er etwa was von Landzun­ge gefaselt?“, fragte Konny. „Dass der immer so maßlos übertreiben muss.“
„Ein Otter“, flüsterte Kora plötzlich und wurde ganz blass. Sie zeigte auf ein braunpelziges Tier mit langem, buschigem Schwanz, das flink durch das Wasser glitt.
„Der tut dir nichts,“ sagte Konny und wandte sich an Hannes. „Wenn hier Otter leben, gibt es hier gewiss auch Aale.“
„Klaro“, er­widerte Hannes und verzog spöttisch den Mund. „Und wenn wir ein Blässhuhn entdecken, ist mit Hechten zu rechnen, wie?“
„Woher weißt ...“ Konny bekam den Mund nicht mehr zu. In der Mitte des Sees tauchte urplötzlich ein Vogel auf, der mit den Flügeln geräuschvoll auf das Wasser schlug. Immer wieder und wieder schnellte er aufgeregt hoch, gackerte „pix-kau, pix-kau“ und ließ sich mit „köck-köck, köck-köck“ abermals auf den Wellen nieder.
„Ein Blässhuhn“, seufzte Hannes und starrte verzückt auf einen schieferschwarzen, entenähnlichen Vogel mit weißem Schnabel und superlangen Beinen.
„Ein Fingerzeig Gottes. Wie poetisch“, flüsterte ich.
„Ich oder das Blässhuhn?“, fragte Hannes.
„Du selbstverständlich auch, Hannes.“ Ich lächelte ihn freundlich an.
„Möglicherweise gibt es hier in der Nähe sogar ein Blässhuhnnest. Wahrscheinlich hat das kleine Blässhuhn soeben einen Hecht entdeckt.“
„Blödes Huhn“, sagte Hannes neidisch, bevor er den Finger hob und uns warnte:
„Kinder, passt bloß auf, wo ihr hintretet, wir bewegen uns stellenweise auf sumpfigem Terrain. Der Boden gluckst und schmatzt bei jedem Schritt wie ein kleines Kind. Hört ihr das etwa nicht? – Dass mir ja keiner von euch im Moor absäuft. Ach übrigens, an diesem Ufer pflückt Leni, die alte Kräuterhexe, immer ihre Brunnenkresse – wegen des hohen Eisengehalts, versteht ihr?“
„So'n Quatsch“, protestierte Konny. „Lenis Brunnenkresse wächst im Kräutergarten, stimmt's Katja?“
„Allerdings, Konny“, bestätigte ich.
Hannes kickte in gespielter Wut einen Steinbrocken ins Wasser.
„Passt auf, Leute, hier sind eine Menge Maulwurftunnel. Dass ihr mir bloß nicht wegsackt, der Boden ist weich und morastig.“
„Unsinn, du Dösbattel“, erwiderte Konny. „Für Maulwurfhügel ist es hier viel zu sumpfig.“
„Sag ich doch die ganze Zeit“, grinste Hannes.
„Blässhühner sind zwar sehr schlechte Schwimmer; aber sie können prima tauchen; außerdem sind sie extrem scheu“, nahm Konny das Thema nach einer Weile wieder auf.
„Und mit dem Fliegen hapert es auch, wenn ich mich nicht irre“, grinste Hannes. „Na, wie dieses komische Huhn gerade übers Wasser gedümpelt ist ... aber die da, diese Elritzen!“ Er zeigte auf einen Fischschwarm, der unter der Oberfläche des grünseidig schimmernden Wassers davonschoss und silberne Wellenringe warf.
„Elritzen?“, zweifelte Kora. „Ich dachte, die leben nur in Gebirgsflüssen und lieben klares Wasser. Was haben die Viecher in diesem Tümpel verloren?“
Sie blickte fragend zu Konny hinüber, der treuherzig mit den Achseln zuckte, was ich fassungslos zur Kenntnis nahm. Es gab etwas, wovon Konny offenbar keine Ahnung hatte!
„Von wegen scheu; Blässhühner sind furchtbar dämlich.

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Kommentare

31. Aug 2017

Starke Bilder, geschickt komponiert -
Die Story weiter fasziniert!

LG Axel

31. Aug 2017

Dank, Axel, dir, für deinen Kommentar.
Die Handlung zu entwickeln Arbeit und Vergnügen war.

LG Annelie

31. Aug 2017

Hallo Annelie,
verfolge gespannt Deinen Text.
Die Geschichte gefällt mir sehr gut,
jede Zeile ein Erlebnis und so nah
am Leben !!! Natürlich ist Dir die Collage
exzellent gelungen.
Mal schauen wie es weiter geht .....?!
Gruß, Volker

31. Aug 2017

Danke, Volker, für deinen freundlichen Kommentar.
Ich freue mich sehr, dass auch du die Story liest
und mit der Handlung offenbar zufrieden bist.
Wie 's weitergeht?, ich hoffe spannender und besser doch;
der wahre Mörder wird gefasst - das weiß ich noch.
Ist schon so lange her, dass ich das Manuskript verfasst,
bin froh, dass es auch in die Zeit heut' passt.

Liebe Grüße,
Annelie

31. Aug 2017

Kompliment, Annelie, wieder spannend; auch die Collage beeindruckend, besonders das Kennedy-Zitat gefällt mir, es passt in unsere Zeit.

Liebe Grüße - Marie

31. Aug 2017

Mariechen, danke herzlich für die Blumen.
Die Story hat wahrhaftig ein beträchliches Volumen.
Dass du mich liest, das macht mich mächtig stolz;
auch John Fitzgerald war geschnitzt aus "unserem Holz".

Liebe Grüße,
Annelie

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