Blind Blues - Page 3

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von Alexander Zeram

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wahr, Alter! - Aus allen Spielhäusern seid ihr rausgeflogen ... Henry Pickles und Du. - Weiß doch die Welt, dass ihr nicht zu ertragen wart und nie 'nen Dollar in der Tasche hattet."

"Schweinskerl, kleiner! - Wirst wohl deinem eigenen Großvater nicht vorwerfen, dass er vielleicht noch lügt, eh? - Verdammter Hurensohn! Das ist alles dein Vater, dieser elende Flegel! Der glaubt, dass er mich schlecht machen muss vor aller Welt. Nur weil ich ihm nicht mehr in die Augen sehen kann. Dabei ist er nur neidisch, weil er sich abrackert, um das in 'ner Woche zu verdienen, was ich früher mit Henry Pickles an einem einzigen Tag gescheffelt hab'! - Ja, so ist's, Du kleiner Schurke ... glaub' mir nur!"

Billy hörte gar nicht mehr zu.

Vielmehr hatte er am Ende der Straße zwei Gestalten entdeckt, deren Anblick ihm den Gedanken eingab, heute vielleicht einmal einen anderen Weg nach Hause zu nehmen. Die beiden Männer dort in einiger Entfernung torkelten sehr verdächtig und Billy wusste aus Erfahrung, dass man in diesem Viertel Betrunkenen zumindest nach Mitternacht bis Mittag aus dem Weg gehen sollte. Aber bevor sich der Junge entschieden hätte, war es bereits zu spät.

"Hey, ey, ey ... kommt da nicht der alte Joe und hat er nicht vielleicht die ganze Nacht durchgeschuftet?", lallte einer schon von Weitem und gerade vertrauenswürdig sahen weder er noch sein bulliger Begleiter aus.

"Hurensöhne ... macht Euch davon, sonst will ich Euch gleich mal zeigen ..."

Aber höhnisches, raues Gelächter schnitt dem Sänger das Wort ab. Billy versuchte seinen Großvater zur Seite zu ziehen. Da gab es eine enge Gasse, über die man sich vielleicht aus dem Staub machen würde können, bevor es Arger gäbe.

"Aber sag', Joey ... hast Du nicht 'nen Dollar für 'n paar alte Freunde übrig? - Wir haben nämlich noch was vor, weißte ... und wir zahlen Dir deinen Scheißdollar schon zurück, keine Angst!"

"Zu meiner Zeit hätt' man Euch eingesperrt ... jawohl!", ereiferte sich Blind Joe Morgan und begann mit seinem Stock herumzuwirbeln. "Ja, nach Parchman Farm hätte man Euch geschickt - so wahr ich Joe Morgan heiße!" Drohend schlug er gleich noch ein wenig härter mit dem Stock um sich.

"Hoho ... hör 'n dir an, den alten Spinner!", höhnte der eine.

"Mann, tu' die Krücke weg, gleich steck' ich se Dir in Dein blödes Maul rein, klar?", drohte der andere, dem Joe unbewusst vor dem Gesicht herumfuchtelte. Doch gerade in diesem Augenblick stieß er ein wenig weiter vor und traf den Kerl ziemlich böse an der Wange, wo der alte, rissige Stock die Haut aufschürfte. Sicherlich mehr vor Überraschung als vor Schmerz schrie der Betrunkene auf.

"Ha ... hab' ich Dich erwischt, Du versoffenes Schwein, he?", jubelte der Musiker und ließ seinen Stock gleich nochmals in die Richtung loswirbeln, in der er eben erfolgreich gewesen war.

"Los, mach die Mücke, sonst schlag' ich dich so weich, dasse dich von der Straße zusammenkehren können."

Billy ahnte, wie das ausgehen würde - doch bevor er seinen Großvater mit sich ziehen hätte können, bekam er eine brutale Ohrfeige verpasst, die ihn zu Boden schleuderte. Da gab es nicht mehr viel zu tun ... Billy rappelte sich auf und rannte ein Stück weit davon.

In sicherer Entfernung blieb er kurz stehen, wandte sich um und sah, wie die beiden Betrunkenen über Blind Joe Morgan herfielen.

Zuerst verteidigte sich der Blinde mit seinem langen Stock ziemlich effektvoll, doch als er bei einem kräftigen Rundschlag die Waffe verlor, ab es keine Möglichkeit mehr für ihn, sich zu wehren.

Etwas später kehrte Billy zurück.

Blind Joe Morgan lag röchelnd an eine Hauswand gelehnt und hielt den Rest seiner alten Gitarre in den Armen. Er wimmert so etwas wie 'mein armer, alter Freund' vor sich hin ... sang es fast wie einen Blues. Aus seinen Mundwinkeln rann Blut übers Kinn, das eine Auge hatten sie ihm völlig kaputt geschlagen - aber auch am Körper war er schrecklich zugerichtet. Ein Wunder, dass er noch atmete – wie Billy sich dachte.

"He, Alter ... geht's?", fragte der Junge mit weinerlicher Stimme.

"Geht's?", wiederholte er, da der Großvater nichts weiter sagte als 'mein armer Freund' und dabei die Reste der Gitarre an sich drückte und in den Armen wiegte.

Billy griff rasch in die Tasche des Großvaters - aber das Geld war natürlich fort.

"Schweine, die haben deinen Lohn gestohlen."

"Wer'n in der Hölle schmoren, diese Kerle!", brummte der Alte und es klang erstaunlicherweise ziemlich klar - klar und böse. "Geh' und hol' gefälligst jemand'', Dummkopf! - Oder soll ich hier verrecken, he?"

Billy rannte davon.

"Ah ... so isses ... erst wird man zerdroschen und dann muss man im Straßengraben verrecken.  Ja ... Sergeant Chick wär' damals schon längst hier gewesen. Die jetzigen Hohlköpfe ... keinen Verstand … und immer dort, wo man se gar nich' brauchen kann. - Bah!"

Er spuckte ein bisschen Blut aus und erinnerte sich an den Tag, an dem man ihn und Henry Pickles fast totgeschlagen hatte. Sie waren im Straßengraben liegen geblieben und hatten sich aus zerschundenen Gesichtern hervor angesehen ... und es war gut gewesen!

Aber jetzt ... was hatte er noch? Noch nicht einmal der Enkel taugte zu etwas!

"Ach Gott ... was soll ich hier denn noch? - Bin wohl noch immer nich' so weit, he? - Warum fällt denn nichts herab, verdammter Hurensohn? - Lass was herabfallen, wenn's dich wirklich gibt, heh! - Ein paar Ziegelsteine wirste doch da oben bei dir im Himmel für mich übrig haben, was?"

*            *              *

Billy und sein Vater fanden den Alten mit einem seligen Lächeln vor - und ein paar Krümeln Blumenerde auf der blutigen Stirne. Neben ihm lag ein zerbrochener Tontopf auf dem Pflaster ... eine verkümmerte Pflanze in den Scherben. Der Vater sah nach oben und entdeckte einen Fenstersims mit Blumentöpfen, in deren Reihe einer fehlte. Sicherlich hatte sich da jemand durch den Lärm auf der Straße gestört gefühlt und seinen Unmut zum Sonntag-Morgen mit einem gezielten Wurf hinab aufs Haupt des vermeintlich Betrunkenen Ausdruck verliehen.

Nun denn ... so oder so wäre der Alte mit den Verletzungen, wie sie Billy kurz beschrieben hatte, nicht mehr lange herumgerannt - und besser einen Toten auf dem Friedhof als einen Krüppel zu Hause! - Das Begräbnis musste man nur einmal bezahlen und dann konnte man Gras über die Sache wachsen lassen.

"Schon tot?", murmelte der Mann und beugte sich zu seinem Erzeuger hinab.

"So ... na, soll sich der da oben seiner Seele erbarmen ... Amen!" Er schlug ein schlampiges Kreuz vor die Brust und hievte den toten Blind Joe Morgan hoch.

"Amen!", sagte auch Billy und folgte dem Vater, der den Großvater davontrug.

Da sah man sie gehen: der kräftige Vater mit dem Wrack des blinden Sängers auf dem Buckel, daneben der betrübt den Kopf gesenkt haltende Billy.

Jetzt war auch Joe Morgan bei den anderen.

Mochten sie im Himmel ihren 'Ramblin' and Wand'rin'-Blues' grölen.

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