Das Leben wird ein Einsehen haben - Page 3

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Firmen, kannte ich noch von früher. Aber bei mir war nicht mehr alles so wie früher.
Ich dachte an Gullan und wollte daran glauben, dass das Leben ein Einsehen mit uns haben wird.

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Von Deutschland nach Schweden

1971 war ein schweres Jahr für uns.

Wir hatten uns versprochen, dass wir uns wiedersehen werden. Aber wird das Leben es zulassen, dass wir zusammenleben können? Wann wird das sein? Wo wird das sein? In Deutschland, in Schweden? Diese Fragen lagen ständig in uns.
Aber gleichzeitig begann ich zu überlegen, wo ich eventuell eine Wohnung im Umkreis meiner üblichen Kernkraftprojekte mieten könnte, und nicht weit davon für Gullan eine Arbeit. Und wäre sie damit einverstanden?

Aber neben diesen Problemen hatten wir auch eine Reihe freundliche Tage in diesem Jahr, ich zitiere aus Gullans Tagebuch:
Am 23. Januar kam Gullan zu mir und meinen Eltern nach Düsseldorf, unser erstes Zusammentreffen nach vier Monaten.
Vom 26. Jan. - 8, Feb. waren wir auf Teneriffa.
Am 10. Mai flog Gullan mit drei Arbeitskollegen zu einem Projekt in Österreich, Graz.
Am 26. Mai fuhr sie mit der Bahn von Graz nach Salzburg und ich mit dem Auto nach dort von Erlangen. Drei gute Tage!
Am 24. Juni flog Gullan und ihre Kollegen von Graz nach Göteborg und ich von Düsseldorf nach Göteborg. Zusammen flogen wir nach Karlstad. Mein erster Besuch in Schweden. Ich lernte Güllans Eltern und seinen Bruder in Åmål kennen. Mit "Gullans Mercedes" machten wir eine Rundreise durch Norwegen.
Am 18. Juli flog ich zurück nach Düsseldorf und mit dem Auto nach Erlangen.
Am 19. Juli fuhr Gullan mit Kollegen mit dem Auto zurück nach Graz.
Den 20. - 23. August verbrachten Gullan und ich wieder in Salzburg. Drei gute Tage!
Am 2. September, nach Abschluss ihrer Arbeit in Graz, kam Gullan zu mir nach Erlangen. Wir fuhren für einige Tage nach Dinkelsbühl zu meinem Lieblingsonkel Jakob und seiner Familie.
Ende Dezember 1971 kam Gullan noch einmal nach Düsseldorf. Wir waren zwei Wochen in Zypern.

Wenn man die Zeilen so liest, kann man den Eindruck bekommen, dass doch alles wunderbar war. War es auch, aber eben nur diese Tage. Was dazwischen lag war das Schwere. Aber damit möchte ich keinen Leser beschweren.

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Etwas möchte ich hier noch anhängen:

Gullans Fahrt mit Kollegen am 19. Juli bis nach Graz war etwas Besonderes - für sie, aber auch für mich:
Sie nahmen die Fähre von Trelleborg nach Sassnitz und wollten danach geradewegs durch die DDR und die Tschechoslowakei bis nach Graz fahren. Aber an der tschechoslowakischen Grenze war stopp. Sie hatten keine erforderlichen Papiere, ihr Boss in Schweden sagte, dass keine erforderlich sind. Sie kehrten um und übernachteten in Dresden. Der Umweg um die Tschechoslowakei bedeutete, dass sie noch eine Übernachtung benötigten. Doch Gullan hatte eine gute Idee! "Wir fahren nach Erlangen, der Umweg ist nicht groß. Wir haben genug Zeit für ein Abendessen. Ihr sucht euch ein Hotell. Willi arbeitet vorübergehend in Erlangen und wohnt bei einem netten, älteren Ehepaar in einem geräumigen Zimmer ihres Hauses. Sie kennen mich, ich rufe sie an. Ich bin sicher, dass ich bei Willi im Sofa eine Nacht schlafen darf."

Jetzt kommt mein Teil:
Am 18. Juli - ein Tag vor der Truppe mit Gullan - flog ich von Schweden zurück nach Düsseldorf und am nächsten Tag mit meinem Volkswagen nach Erlangen. Ich kam am späten Nachmittag an, stellte das Auto an seinen Platz und spazierte zu der kleinen aber feinen Bierkneipe im Stadtviertel. Genau die richtige Zeit, ein Teil der Arbeitskollegen werden schon da sein. Ich hatte einiges zu erzählen, war ich doch in Schweden und machte eine Reise durch Norwegen, in einem fast neuen, weißen Mercedes...
Es wurde spät, morgen ist ein Arbeitstag. Ich gehe die Treppe hinauf, öffne die Tür. Sie zeigt auf das Sofa, auf ihm liegt eine Frau. Ich gehe einige Schritte näher und finde einen dummen Satz: Gullan - wie kommst du denn hier her? Sie hätte sagen können: Wo kommst Du den her? Tat sie aber nicht. Sie ist eine einfühlsame Frau.

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Endlich! Im Mai(!) 1972 zeigte es sich, dass das Leben ein erstes Einsehen mit uns hatte:

Ich stand am Bahnhof in Frankfurt und wartete auf Gullan. Sie kam pünktlich und mit einem großen Koffer. Welch ein Wiedersehen! Mit dem Auto fuhren wir nach Königstein bei Frankfurt, wo ich eine möblierte 1,5 Zimmerwohnung gemietet hatte. Königstein war in etwa im Zentrum meiner normalen Arbeitsplätze. Wir hatten eine Wohnung und beide eine Arbeit. Im Nachbarort habe ich Gullan eine Arbeit besorgt, sie war Technische Zeichnerin. Ich arbeitete noch eine Zeit in Erlangen und kam nur an den Wochenenden zu Gullan. Diese Zeit war schwierig für sie und mich. Doch nach einigen Wochen schickte man mich zum entstehenden Kernkraftwerk Biblis. Das war näher, und ich fuhr auch Mittwochs nach Königstein, diesem wahrlich schönen Städtchen. Nach knapp einem Jahr verließ ich Biblis und kam nach Offenbach am Main, wo ich für ein Vorprojekt für ein weiteres Kernkraftwerk eingesetzt wurde. Die täglichen Reisen mit dem Auto nach Oberursel, der Bahn nach Frankfurt und dem Buss nach Offenbach und zurück, waren nichts verglichen mit den vorigen.
Von da an kam ich jeden Arbeitstag zu "nach Hause".
Wir hatten es gut im schönen Königstein und seiner Umgebung. Aber ein wahres zu Hause war es nicht. Die Frage stand immer im Raum: Wie geht es weiter, wann und wo werden wir einen beständigen Wohnort haben?

Ein Kollege erzählte mir Anfang 1975, dass er bald nach Schweden geschickt wird. Die Firma, für die er arbeitet, hat einen vierjährigen Auftrag für zwei neue Kernkraftwerke bekommen. Er war aber nicht so begeistert. Ich bekam große Augen und sagte: Ich würde gerne dort arbeiten.
Ich bekam den Job und wurde Leiter für "Dokumentation". Mein neuer Arbeitgeber war froh, der alte in Düsseldorf sauer. Zu dieser Zeit gab es mehr Arbeit als erforderliche Fachleute.

Zu Ostern stopften Gullan und ich unseren kleinen Audi 50 so voll wie es ging. Was nicht mehr hinein ging bekam die freundliche Nachbarin. In Hannover trennten wir uns, Gullan mit dem Zug nach Åmål zu ihren Eltern, ich nach Osterode am Harz, wo ich bis Anfang Juni bei Union-Rohrbau arbeitete.
Gullan war schwanger und wollte das Kind in Schweden bekommen.

© Willi Grigor, 2022

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