Die zehnte Muse - Page 5

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Göttin in ihren Plan einzuweihen.
„Wir machen es so und sehen dann weiter.“
Joseph Walcott schien in den vergangenen Tagen für den Weltuntergang eingekauft zu haben. Er verließ seine Wohnung nicht und drei Tage lang standen die beiden Frauen auf der Straße und warteten. Inzwischen hatten sie sich mit den Jugendlichen auf der Treppe angefreundet.
Der älteste von ihnen, Jay, ein siebzehnjähriger schwarzer Junge, hatte ihnen erzählt, dass dies ihr Treffpunkt sei und fand es cool, einen bekannten Theaterschreiber im Haus wohnen zu haben. Im Übrigen fand er Mel und Lea ebenfalls cool und ihren Treffpunkt auf der Treppe auch.
Melpomene schloss daraus, dass cool ein allumfassendes Wort sei, welches die Menschen der Neuzeit kennzeichnete.
Thalia versuchte von den Jungs ein wenig mehr über Joseph Walcott zu erfahren, aber es war sinnlos. Im Grunde wussten sie nichts, aber sie fanden die Aktion der Schwestern cool.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hatte eine Kaffeebar ihre Daseinsberechtigung gefunden. Sie war recht klein und außer einer Theke verfügte sie nur über eine Sitzreihe an der Fensterscheibe, von wo aus der Hauseingang Joseph Walcotts gut einzusehen war.
Fühlte sich Thalia auf der Erde auch nie recht wohl, so hatte sie doch immerhin eine Sache schätzen gelernt, heißen Kaffee.
Sie liebte ihn mit einer Milchkrone, die sich langsam wie ein Faden auf den Boden hinunterzog, sobald sie mit dem Löffel darin umrührte. Melpomene konnte dieser Spielerei nichts abgewinnen, immerhin aber nahm sie ihn schwarz. Bitter muss es schmecken, so erklärte sie und Thalia fragte nicht weiter nach.
So saßen sie stundenlang an der Scheibe und starrten hinüber zu dem Hauseingang, vor dem nichts weiter geschah, als dass Jay seinen Freunden irgendwelche Verrenkungen zeigte, die, wenn überhaupt, nur Terpsichore begeistert hätten.
Die Bedienung der Bar, eine junge Frau Ende zwanzig, stellte keine Fragen und goss den beiden Damen unaufgefordert Kaffee nach. Für sie mochte es ein gutes Geschäft sein, da sich außer den beiden niemand in ihrem Laden aufhielt.
„Was machen wir denn, wenn er herauskommt?“ wollte Melpomene nach einer Weile wissen.
„Warten wir erst einmal, bis er kommt,“ antwortete Thalia und ihre Kollegin schloss daraus, dass sie es auch nicht wusste.
„Aber irgendeinen Plan müssen wir doch haben,“ beharrte sie.
„Wir werden einfach mit ihm reden,“ antwortete Thalia.
„Einfach reden?“
„Genau.“
„Ich habe keine Ahnung von Plänen, die Leben retten sollen. Meine enden immer mit dem Tode. Aber eines glaube ich doch sagen zu können: Dein Plan ist zu simpel. Da fehlt ein Schuss Esprit.“
„Was meinst du mit Esprit?“ fragte Thalia.
„Na, Frau läuft Mann über den Weg und sie missverstehen sich. Sie will die Sache bei ihm klarstellen und verfolgt ihn. Er lässt sie verhaften, sie kann es ihm nach etlichen Verwicklungen erklären und beide verlieben sich. So etwas verstehe ich unter Esprit.“
„Ich denke, du liest eindeutig zuviel in Hermes' Illustrierten, Melpomene,“ entgegnete Thalia kopfschüttelnd. „Dies hier ist die Wirklichkeit. Mann will sich umbringen. Frau sagt zu ihm, tu es nicht. Er meint, okay, am Wochenende sei sowieso noch ein wichtiges Ligaspiel und der Fall ist erledigt.“
„Männer, sie sind doch alle gleich,“ sagte die Bedienung, die während dieses Gespräches hinter den beiden gestanden hatte und Kaffee nachgoss.
„Meiner …,“ und nun begann sie über ihren Freund zu berichten, dass Melpomene staunend zuhörte, Thalia sie aber vollständig ignorierte.
Dies tat sie nicht ohne Grund. In diesem Augenblick verließ Joseph Walcott das Haus und, nachdem er sich zu beiden Seiten umgeblickt hatte, ging er die Straße hinunter davon.
Hastig drückte Thalia der Serviererin ein paar Dollar in die Hand und zog Melpomene auf die Straße.
„Dort hinten läuft er! Hinterher!“
Das Hinterher erwies sich als nicht so einfach. Einige Male glaubten die beiden Frauen, ihn verloren zu haben, entdeckten ihn dann aber wieder in der Menge. Es schien, als führe Joseph Walcott sie quer durch Queens.
Schließlich aber betrat der Mann ein Gebäude, das in dieser Gegend von außen als äußerst pompös zu bezeichnen war.
Thalia und Melpomene dankten Zeus, dass die Verfolgung ein Ende gefunden hatte. Auf Dauer war Laufen keine Disziplin für Musen. Dr. James Woolington, Psychiater, stand in großen Lettern auf einem Messingschild und darunter: Sprechstunden nur nach Absprache.
„Wenigstens will er sich nicht länger umbringen,“ bemerkte Thalia.
„Warum?“ fragte Melpomene.
„Na, wenn er mit einen Psychiater redet, dann hat er doch gar keine Zeit mehr dafür.“
Das leuchtete Melpomene ein.
Thalia drückte auf den Klingelknopf, und noch ehe ihre Kollegin etwas sagen konnte, summte das Türschloss. Thalia drückte die Tür auf und zog Melpomene mit hinein.
„Komm,“ sagte sie.
Ein paar Minuten später standen sie in einem karg ausgestatteten, grau gestrichenen Zimmer. Eine Sekretärin saß am einzigen Schreibtisch und sah sehr geschäftig aus.
Als die beiden Musen eintraten, hob sie den Kopf, und fragte mit einem Lächeln, welches zwischen „Wir verstehen Sie“ und „Verfügen Sie über Geld?“ lag:
„Haben Sie einen Termin?“
„Na ja, nicht richtig,“ antwortete Thalia und lächelte zwischen „Wir vertrauen Ihnen“ und „Geld ist kein Problem“ zurück.
„Nun, der Doktor ist sehr beschäftigt. Vielleicht lässt es sich nächste Woche einrichten.“
„Das geht leider nicht,“ antwortete Thalia und lächelte jetzt eindeutig mit einem „Geld ist absolut kein Problem“. „Meine Freundin Mel hier leidet unter Depressionen und wir befinden uns auf einer ausgedehnten Reise. Sie benötigt dringend Hilfe.“
Melpomenes empörten Blick ignorierte Thalia geflissentlich.
„Wissen Sie, meine Freundin ist recht bekannt, und deshalb möchten wir die Angelegenheit sehr diskret behandeln.“
Die Sekretärin musterte die beiden aufmerksam und danach den Terminkalender.
„Nun,“ sagte sie schließlich, „möglicherweise hat Herr Doktor nach dieser Sitzung eine halbe Stunde für Sie Zeit.“
„Das wäre großartig.“
„Sie kennen unsere Stundensätze?“
„Nein, aber wir sind einverstanden.“
Flüchtig dachte Thalia daran, wie sie dies alles später Klio erklären sollte. Aber diesen Gedanken verdrängte sie sofort wieder.
„Nehmen Sie bitte einen Augenblick im Wartezimmer Platz. Ich rufe Sie dann.“
„Was soll das heißen, Mel leidet an Depressionen?“ fragte Melpomene, als die beiden allein im Wartezimmer saßen.
„Irgendetwas musste ich doch sagen,“ entgegnete Thalia.
„Und warum hast du dann keine Depressionen?“
„Weil ich mich nicht den ganzen Tag mit Tragödien beschäftige. Auf Dauer muss da etwas zurückbleiben.“
„Aha,“ Melpomene zog die Augenbrauen hoch. „So siehst du mich also!“
„Nein, das war nicht so gemeint.“
„Wie denn?“
Thalia seufzte. Das letzte Mal, als sie ein Gespräch dieser Art mit Melpomene führte, dauert es über siebzig Jahre und wenn sie es richtig bedachte, hatte sie momentan weder Zeit

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Polyhymnia hymnische Dichtung
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Thalia Komödie
Urania Sternenkunde
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Apollon
Hermes Götterbote
Tyche Göttin des Zufalls
Helikon Wohnort der Musen
Hippokrene Quelle der Musen am Helikon, geschaffen aus einem
Huftritt des Pegasus

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Kommentare

16. Nov 2016

Das ist witzig, kunstvoll, klug!
EIN Musen-Kuss war nicht genug ...

LG Axel

15. Mär 2017

Vielen Dankf, Alfred. Schön, dass es Dir gefallen hat. Wahrscheinlich rennt Thalia immer noch in New York rum :-) LG Magnus

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