Wie ich Katze bei Baumgarts wurde - Page 6

Bild von Dieter J Baumgart
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wieder zumachen: ein Arbeitsgang! Eine halbe Stunde später – ich habe das Ganze schon längst vergessen – heißt es dann: „Mensch Coco! Warst du wieder am Hack?!“ In einem solchen Fall wird natürlich die Abendmahlzeit gesperrt. Na und? Erst einmal bin ich satt.
          Manchmal werde ich aber auch ganz gemein hereingelegt. Dann säuselt das Spätzlein in der Küche ganz lieb: „Cocolein – komm!“ Und es ist ganz genau der Tonfall, als ob es eine leckere Überraschung gibt. Natürlich mache ich mich gleich auf den Weg, und das Spätzlein hat da etwas in der Hand, das könnte durchaus ein Stück Käse sein. Oh ja! Von wegen Käse! Knoblauch ist das! Pfui Deibel! Und später stinken sie dann tagelang alle beide so sehr, daß ich schon einen großen Bogen mache, wenn ich sie nur sehe. Da lobe ich mir doch die beiden Kleinen, da kommt so etwas nicht vor. Na schön, na gut. Aber im allgemeinen will ich nicht über das Futter klagen. Sicher, ich meine, Rinderhack gibt es schon recht selten, da muß ich eben klauen. Und das bißchen Ärger, also wirklich, damit kann ich leben. Zu Anfang hatten meine Menschen auch etwas dagegen, wenn ich über die Tische lief. Dabei habe ich nie etwas umgeworfen – jedenfalls nicht absichtlich. Nur einmal, da fiel ein Blumentopf von der Fensterbank. Aber da flogen auch so wunderschöne dicke Fliegen herum...
Ich gehe natürlich weiterhin über die Tische, außer, wenn meine Menschen dran sitzen und essen. Da sind sie also komisch drin. Oder wenn sie andere Menschen zu Besuch haben. Na gut, jeder hat so seine kleinen Schwächen, da kann man ja Rücksicht nehmen, finde ich jedenfalls. Der Dieter, zum Beispiel, der benutzt eine unglaublich gut schmeckende Zahnpasta. Wenn der anfängt, abends seine Zähne zu putzen, sitze ich schon neben ihm auf der Waschmaschine und warte. Und wenn er dann sein Gebiß endlich fertig geschrubbt hat, lecke ich mit Inbrunst seine Finger ab. Das bleibt ihm nicht erspart und da führt kein Weg dran vorbei. Wenn ich seine Hand erst einmal gekrallt habe, halte ich sie fest, das weiß er. Und daß meine Krallen nicht von Pappe sind, das wissen sie alle.
          Gelegentlich, wenn das Spätzlein mit mir spielt und mich mit Papier oder einem Wollfaden neckt, dann lange ich im Eifer schon mal richtig hin. Oder wenn es im Bett mit den Zehen wackelt, oh ja, das ist noch viel schöner als Fliegen fangen und geht natürlich auch selten ohne Kratzer ab. Dann macht das Spätzlein große Augen und sagt: „Angst, Cocolein, Angst!“ Aber sie fängt ja immer wieder damit an. Natürlich kann ich mich auch allein beschäftigen, schließlich liegt in dieser Wohnung genug auf dem Boden herum, was sich zum Anschleichen, Fangen und Jagen eignet. Nur Mäuse, nein, richtige Mäuse haben sie nicht. Aber einen Kratzbaum, ein Gedicht von einem Kratzbaum. Den haben sie angeschafft, bevor ich damit begann, meine Krallen an den Möbeln zu schärfen. Ein dicker Holzstab, der vom Boden bis zur Decke reicht und mit Hanftau umwickelt ist, steht gleich neben der Eingangstür im Flur. Er trägt ganz wesentlich zu meinem Wohlbefinden bei, wenn ich aufwache, und ist auch ein wichtiger Bestandteil meiner Begrüßungszeremonien, morgens oder wenn jemand nach Hause kommt. Der Kratzbaum ist tatsächlich noch wichtiger als die mitgebrachten Taschen und Tüten. Und dank meiner emsigen Kratzarbeit ist der Hanf inzwischen zart wie ein Kinderpopo – sagt der Dieter immer. Und im Wohnzimmer, da steht natürlich mein Kletterbaum! Dieser dicke Baumstamm ohne Äste, der mich ganz zu Beginn so sehr an den Stadtwald erinnerte. Gewaltig ist er, krumm und zerfurcht. Da nehme ich einen Anlauf, als wollte ich fünf Meter weit springen, und fege mit ungeheurem Getöse den Stamm hinauf bis unter die Decke.
          „Na, Cocolein, Ende der Fahnenstange?“ sagen daraufhin meine Menschen und fletschen die Zähne. Und ich donnere im Rückwärtsgang wieder nach unten und zu meinem Kratzbaum in die Diele und wieder ins Wohnzimmer. Herrlich, sage ich euch.
          Das heißt, es gab wohl mal eine Zeit, da ging es mir sehr schlecht. Das ist allerdings schon ziemlich lange her, und es kam auch nie wieder in dieser Art vor. Damals war ich vielleicht um die acht bis neun Monate alt und hatte zum erstenmal Liebeskummer. Nein, das war nicht schön! Ich hatte ja keine Ahnung, was mit mir los war. Der Hintern juckte, ich war schlecht gelaunt, nichts war mir recht und von Zeit zu Zeit überkam mich einfach der ganz große Katzenjammer. Ich kannte mich selbst nicht mehr, war die ärmste Katze der Welt und hatte eine Stimme wie die Straßenbahnen in der Kurve am Stadtpark. Meist überkam mich das abends. Dann saß ich in der Diele und sang meine Arien. Ganz schön laut und eine Woche lang. Dann war es vorbei. Es ist wohl wahr, daß meine Menschen in dieser Zeit besonders lieb zu mir waren. Aber so ein Mensch ist doch nun einmal kein Kater – finde ich jedenfalls. Nun gut, ich hatte das also überstanden und war wieder vergnügt und munter. Der Himmel war heiter und die Sonne schien freundlich... Die Welt war wieder in Ordnung – dachte ich jedenfalls! Und dann wurde mir doch aus diesem heiteren Himmel das dicke Ende nachgeliefert...
          Eines schönen Tages, ich ahnte nichts Böses – hatte ja auch keinen Grund –, brach es über mich herein, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Hinein in die Henkelhöhle, die ich inzwischen längst vergessen hatte, Fahrstuhl, Auto und ab! Katze, dachte ich ganz aufgelöst, was hast du denn jetzt ausgefressen? Aber sie waren vorher noch alle so lieb zu mir, niemand hatte gemeckert – es gab tatsächlich keinen Grund, und ich war so überrascht, daß ich mich wohl nicht einmal gewehrt habe. Es war einfach unfaßbar. Wir, der Dieter und ich, fuhren dann eine ganze Weile. Er schob immer nur den Stock neben sich hin und her, sonderlich gesprächig war er nicht. Ich allerdings auch nicht. Ich glaube, ich habe nicht einmal gejammert, so verblüfft war ich. Als er dann endlich anhielt, befanden wir

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