Wie ich Katze bei Baumgarts wurde - Page 10

Bild von Dieter J Baumgart
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einem von ihnen stand meine Wiese, mein Freßnapf, mein Klo... Nein, Hunger hatte ich nun wirklich nicht, und der Funken Neugier war auch kaum noch der Rede wert. Wind kam auf und erschreckte mich, wenn plötzlich große Blätter vor mir hochgewirbelt wurden. Zuhause flüchtete ich schon beim ersten Ton, wenn Staubsauger oder Fön aufheulten. Und jetzt? Wohin in dieser unbekannten Welt ohne Sofas und Privatwiese. Der entsetzliche Wind schien überall zu sein, es wurde dunkler, die Autos hatten Augen, hell und stechend, und an den Hauswänden liefen Schatten entlang wie ganz große Hunde und Menschen. Überall knackte etwas, der Wind verstärkte sich und zu allem Überfluß donnerte es auch noch. Völlig verzweifelt dachte ich an den ersten Tag bei meinen Menschen: ich unter dem Sofa, der Flammenbaum... Du brauchst ein Dach über dem Kopf, und zwar schnell, bevor hier alles zusammenbricht, überlegte ich. Angstvoll umkreiste ich das Haus, von dem ich nicht einmal wußte, ob es das richtige war, denn inzwischen schienen alle Fenster gleich. Und dann fielen auch noch dicke Wassertropfen vom Himmel. Wasserscheu, wie ich nun einmal bin, flüchtete ich unter ein Auto, das neben dem Haus stand. Hier, beschloß ich, wirst du bleiben bis sich alles irgendwie ändert. Ich hatte nur noch Angst, grenzenlose Angst, kroch in mich zusammen und hoffte auf irgendein Ende. Ich kam mir so allein vor. Zum erstenmal spürte ich, daß meine Menschen für mich nicht nur Umgebung und für Essen und Trinken zuständig waren. Ich mochte sie. Aber nun hatten sie mich allein gelassen. Sie waren weg, und nicht einmal der Geruch, die vertrauten Gegenstände, blieben mir als Trost. Das war einfach nicht fair.
          Dann, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, hörte ich Stimmen, ganz weit weg, aber Wind und Donner übertönten alles. Plötzlich fuhr  ich zusammen, weil neben dem Auto, unter dem ich saß, jemand zu stehen schien. Aber es war wohl nur einer der Schatten, die unentwegt auftauchten und wieder verschwanden. Ich kroch noch mehr in mich zusammen. Und wieder waren da Stimmen, diesmal lauter und sie kamen mir bekannt vor. Ganz vorsichtig gab ich Antwort und erschrak vor meinem eigenen Miau.
          „Coocooo?“ –  Nein, jetzt war es kein Baumstamm neben dem Auto. Das war der Dieter! Und vor lauter Freude rührte ich mich überhaupt nicht, nur ein ganz klägliches Miau wurde ich los. Aber er hatte es gehört und blieb stehen. Natürlich sah er mich nicht und ich kämpfte einen kleinen Kampf mit mir selbst – sollte er doch seine Ohren richtig aufmachen. Aber als er dann weitergehen wollte, da tat ich meinen ganzen Jammer in ein neuerliches Miau, und er hatte die Richtung.
         „Cocolein!!“ Ganz vorsichtig kam er näher und hob mich hoch. Alles an ihm war feucht. Aber das störte mich überhaupt nicht. Ich hatte meine Menschen wieder! Bald erreichten wir auch das Haus, ich war die wichtigste Katze der Welt und wanderte von Arm zu Arm. Als ich dann auch noch ein Stück Milz in meinem Freßnapf fand, war das Glück vollkommen. Aber vergessen habe ich dieses schreckliche Erlebnis nicht. Von nun an blieb ich im Haus. Sicher, tagsüber waren meine Menschen oft unterwegs; aber wenn sie wiederkamen, rochen sie tierisch interessant und ganz anders als früher. Und außerdem: Ich hatte mein Revier, meine Sachen und herrlich viele Fliegen. Und den Blick von meiner Lieblingswiese auf die Welt da draußen hätte ich auch nicht für einen Riesentopf voller Rinderhack eingetauscht. Wirklich, nach dem überstandenen Schrecken war ich mit meiner Katzenwelt rundherum zufrieden. Aber ich sage euch: Meine Menschen sind immer für eine Überraschung gut. Das hat sich bis heute nicht geändert.
          Einige Wochen später begannen sie wieder mit ihrer Packorgie. Ich hatte wirklich angenommen, daß wir da für immer bleiben würden. Aber das war wohl nichts. Alles, was sie mühsam ins Haus geschleppt hatten, wurde wieder hinaus getragen; die Stimmung schien etwas gedrückt, was aber bestimmt nichts mit mir zu tun hatte. Natürlich blieb mir das unerfreuliche Auto nicht erspart. Die Henkelhöhle allerdings – die Henkelhöhle hatten sie sich endgültig abgeschminkt. So überstanden wir die Fahrt doch erheblich besser als beim erstenmal. Ich blieb hinten zwischen Koffern, Kästen und Lieblingswiese, was für die Ruhe im Auto von Vorteil war. Nach längerer Fahrt wurde dann wieder ausgeladen, und was ich irgendwie schon vermutet hatte, wurde zur Gewißheit: das alte Revier! Der Dieter trug mich hinein, denn die Henkelhöhle wurde ja nicht mehr benötigt, und alles war noch da. Dieser unverwechselbare Geruch, der Kletterbaum, der Kratzbaum, das Sofa und natürlich auch die großen und kleinen Kästen mit ihrem unentwegten Ticken und dem gelegentlichen Bim bam. Was das Ganze sollte? Ich werde es nie begreifen. Aber vermutlich hat es mit den Jahreszeiten zu tun. Immer, wenn es draußen sehr warm wird, wenn ich auf dem Balkon stundenlang in der Sonne liege, dann wandern sie aus. Allerdings ohne mich! Ich bleibe in meinem Revier, andere freundliche Menschen kümmern sich um mein Futter und sorgen für eine saubere Toilette.
          Vor einigen Jahren ist ihnen dann aber wieder etwas Neues eingefallen. Als sie ihren Kram wie üblich verladen hatten, wurde ich vom Dieter eingesammelt. Ich war so geschockt, daß ich mich nicht einmal gewehrt habe. Die Überraschung war perfekt, denn nichts hatte darauf hingedeutet. Nun ja, langer Rede kurzer Sinn: Ich landete zwei Häuser weiter bei netten Menschen, die ich aus meinem Revier schon kannte. Natürlich war ich erst einmal – um es vornehm auszudrücken – indigniert. Andererseits kann nicht verschwiegen werden, daß ich da maßlos verwöhnt wurde. Und als mich meine Menschen nach drei Wochen wieder abholen wollten, begegnete ich ihnen mit ausgesprochener Mißachtung, das heißt, ich nahm sie einfach nicht zur Kenntnis. Am Ende ließ ich mich dann betont widerwillig mitnehmen, und auch den geliebten Kratzbaum habe ich erst bearbeitet als niemand in der Nähe war. Inzwischen habe ich mich an solche Ausflüge in die Nachbarschaft nicht nur gewöhnt, ich schätze sie nachgerade. Allerdings, an der Zeremonie anläßlich der Rückkunft meiner Menschen ändert sich nichts. Auf keinen Fall sollen sie das Gefühl bekommen, es würde mir behagen, einfach mal so ausquartiert zu werden, nur, weil es ihnen eben in den Kram paßt. Nicht mit mir! Ich bin doch kein Meerschweinchen!
          Apropos Meerschweinchen. Auch weiterhin sind meine Menschen für so manche Überraschung gut: Hunde in allen Größen – na ja, ein bißchen zu laut vielleicht und polternd aber ungefährlich –, Meerschweinchen, Hasen und sogar einen Igel gab es einen Winter lang auf dem Balkon. Im Frühjahr, als er gewogen wurde, haben wir uns vorsichtig beschnuppert. Irgendwie nett, muß ich schon sagen. Und im Zimmer von Sven lag einmal ein alter grüner Ast auf dem Bett. Allerdings, als ich eine Nase voll Geruch nehmen wollte, da sprang er mich an. Seit diesem Vorfall ist es mir da nicht geheuer, und meistens ist die Tür auch zu, so gerate ich erst gar nicht in Versuchung.
          Einmal allerdings – also noch heute sträubt sich mein Rückenfell – einmal, das war so unglaublich... Ich hatte wohl geschlafen und machte mich mit noch nicht ganz wachen Augen auf einen Rundgang durch mein Revier, als ich den Entschluß faßte, den Kletterbaum zu besteigen – da lag sie!! Neben Spätzlein auf meinem Sofa! Eine leibhaftige Katze! Zufrieden und in aller Ruhe! Als ob das alles ihr gehöre: Der Kletterbaum, das Spätzlein, das Sofa... Wie ein Blitz fuhr ich in das traute Miteinander.
          Spätzlein schrie: „Coco – nein!!!“ Panik war angesagt. Das Rattengewitter, diese Katze, fegte auf den Balkon und ich wutentbrannt hinterher. Nicht mit mir, dachte ich nur, nicht mit mir... Durch die andere Balkontür ging es wieder in die Wohnung, über die Diele ins große Zimmer und von da wieder auf den Balkon. Die Fellfetzen flogen, und es war ein richtiges Rundstreckenrennen, reif für den Nürburgring. Spätzlein war aufgelöst und versuchte, mich auf dem Balkon auszusperren. Ausgerechnet mich! Wer war denn hier der Eindringling. Müssen diese Menschen immer alles auf den Kopf stellen? Natürlich klappte das nicht mit dem Aussperren. Schließlich kannte ich mich aus in meinem Revier: Vom Balkon durch das Fenster in ein kleines Zimmer, von da wieder in die Diele und in das große Zimmer. Richtig: da war sie wieder und weiter ging die wilde Jagd. Teufel, noch heute krieg‘ ich einen dicken Schwanz.
          Irgendwie mußte es dem Spätzlein dann aber doch gelungen sein, uns zu trennen. Plötzlich war Ruhe im Bau, voller Empörung leckte ich mein ramponiertes Fell. Alle Türen waren geschlossen. Aber, das wußte ich ganz genau, hinter einer der Türen mußte das Untier sein. Allein ihr Geruch war schon eine Beleidigung! Dann kam der Dieter nach Hause, nahm mich auf den Arm, und ich dachte einigermaßen beruhigt: ‚Na, wenigstens einer, der mich versteht‘ – da war sie wieder! Das Spätzlein hatte sie auf dem Arm. Wie instinktlos! Dann haben sie versucht, Frieden zu stiften. Daß ich nicht lache! Eine fremde Katze in meinem Revier, immer diesen Geruch in der Nase, womöglich auch noch mein Futter klauen, mein Hack aus Spätzleins Tasche holen, auf meinem Sofa sitzen, meine Bäume benutzen...
          Am Ende haben wir uns dann darauf geeinigt, daß sie da bleiben konnte, wo sie von Spätzlein hingesetzt wurde – und sonst nirgends. Zwei Tage lang, dann war sie wieder weg. Und seitdem hat es Ärger in dieser Form auch nicht mehr gegeben. Inzwischen bin ich sechzehn Jahre Katze bei Baumgarts. Das kleine Pärchen von damals, Swantje und Sven, ist nun schon größer als der Dieter. Am Frühstückstisch halte ich Svens Stuhl besetzt, und am Wochenende miaue ich Spätzlein morgens um sechs ins Ohr, bis sie mit Kissen nach mir wirft. Dann steht sie doch auf, und ich bekomme endlich was zu fressen. Ja, ich bin verfressen! Und weil ich nie genug bekomme, muß ich eben immer klauen. Aber wenn ihr meint, daß mich nur das Futter bei dieser komischen Familie hält, dann ist das nicht wahr.
          Ich mag meine Menschen genau so wie die mich. Nicht mehr und nicht weniger.

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