In den Nächten fallen die Blätter leichter …
Nur Mond und Sterne silberhell
schauen ihnen zu und schenken letzten Glanz.
Fallen heißt auf Deutsch: Niederlage.
Blätter, unendlich viele – gefallene Mädchen
aus vergangenen Jahrhunderten verendet
auf Straßenpflastern, Wegen, Wasseraugen.
Gefallene jener Kriege, die der Herbst
jedes Jahr aufs Neu beginnt.
Wind spielt mit totem Laub …
Wir geben den Blättern den letzten Tritt,
stampfen sie in die Erde, sie fallen
ins Nichts, weniger noch als Nirwana ...
Auch die vergangene Zeit fällt ins Nichts …
„Morgen“ ist bereits Vergangenheit
Herbst ist Vergangenheit, der Winter
webt schon das Leichentuch.
Menschen, die in der Gegenwart leben:
Vergangenheit. Wir zwei: Vergangenheit
Ich – bin Vergangenheit
Wir alle: Blätter am Baum des Lebens.
Blätter – gefallene Worte,
vom Baum in den Wind gesungen, einst,
als der Sommer noch jung war …
Ich versuche zu lesen, zu verstehen ...
die Jahresringe nachzuzeichnen, Kerben im Stamm.
Ungelöste Rätsel. Wann endlich: Das Wörterbuch
„Baumsprache“. Ach, ihr entdeckt so vieles
Tag für Tag … mehr Schund als Gutes.
Nun sind die Bäume stumm,
der Wald: ein einziges Schweigen.
Ihre Nacktheit im Winter: ein dunkler stummer Vorwurf.
Schatten des Herbstes. Ich – mit gesenkten Augen
an ihnen vorüber; kein Blatt winkt mehr, sie fallen ...
ohne Protest, leiden still – Patienten, Opfer des Herbstes.
Ich wünschte, wir könnten sie schmücken mit Lichtern, alle;
aber es gibt nur wenige Auserwählte.
Auch dieses Jahr werden viele gefällt zum Fest aller Feste.
Wenige Tage später liegen sie auf Trottoirs, an Straßen:
tot, vergangen, haben ihre Schuldigkeit getan,
sind nur mehr Gefallene, Müll, Abtransportierte –
Vergangenheit längst.
*Kaddisch: Lobgebet, das zu jüdischen Begräbnissen und Gedenktagen als Totengebet gesprochen wird.