Der freundliche Herr Sonnenschein - Page 3

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wir am besten im Wohnbereich bereden!“ Eike denkt: Dann muss ich es von hier aus machen. Er zieht mit links aus seiner rechten Jackett-Innentasche eine Pistole, montiert in Ruhe einen Mündungssignaturreduzierer mit der rechten Hand, nimmt dann die Waffe auf rechts, zielt nur kurz, und drückt viermal ab. Luerssen hatte versucht, über die Wendeltreppe nach oben zu gelangen. Die letzten drei Schüsse hatten ihn getroffen, zwei davon sind tödlich. Zufrieden blickt S. auf den leblosen, grotesk schief auf der Wendeltreppe langsam nach unten gleitenden Körper der Zielperson. Auftrag erledigt. Und nicht eine dieser verdammten Mosaik-Fliesen im unteren Bereich auch nur berührt. Gut gemacht, Sonnenscheinchen. So spricht der Kontraktor zu sich selbst. Äußerst zufrieden.

Wieder auf der Straße, Sonnenschein hatte von seinem Opfer noch 3 Aufnahmen in perfekter Qualität gemacht, für seinen Auftraggeber, ohne die Mosaik-Fliesen überhaupt betreten zu haben, will er noch ein wenig Hamburgs Flair in sich aufnehmen. Er setzt sich am Rathausmarkt, bei herrlichstem Wetter, an einen Tisch eines Cafés, bestellt einen großen Cappuccino, ist zufrieden mit sich und der Welt. Wieder ein perfekt erledigter Auftrag. Der 29. übrigens. Eike weiß, dass mit dem Erreichen der 30 sein Lebensabend beginnen wird. Er hat dann genug Geld mit all diesen Auftrags-Morden verdient. Ein Vermögen. Er wird hernach für immer nach Holland ziehen. Nur noch ein verdammter Mord. Dann der Ruhestand. In der Branche nennen sie ihn respektvoll, flüsternd, The always good-humored accountant (also den immerzu gut gelaunten Buchhalter). Man fürchtet den Kontraktor. So bieder und so freundlich er auch wirken mag, jeder in der Branche weiß: Wenn der Buchhalter klingelt, ist´s vorbei mit deinem Leben. Akkurat und sauber erledigt er jeden Job. Keine Zeugen!

Von hinten trennt ein flinker junger Bursche den Kamera-Tragegurt mit einem extrem scharfen Messer durch und entreißt Sonnenschein das teure Gerät. Eike S. ist außer sich, verständlicherweise. Er rennt hinter dem jungen Mann her, der, wieselflink, in eine der vielen Gassen abbiegt. Ein Cafeteria-Besitzer wettert: „Der Kerl hat seine Zeche geprellt!“ Doch Sonnenschein hat andere Sorgen. Ganz andere.

Er muss diesen Dieb erwischen. Seine Rente ist in Gefahr! Er rennt so schnell wie ein Endvierziger nur rennen kann. Und tatsächlich, er bleibt in sehr aussichtsreicher Entfernung zu diesem Burschen, der deutlich langsamer zu werden beginnt, da er sich unausgesetzt zu seinem Verfolger umdreht, und dadurch Zeit verliert.

Über den Schopenstehl keucht er sich zum Kattrepel, Eike weiß, bald kann er nicht mehr. Doch da taucht ein Polizist auf, und der begreift es sofort. Ein Bestohlener jagt den Dieb. Der junge Kerl ist ratlos. Bleibt kurz stehen, keuchend. Die Kamera hat er noch. Vor ihm ist der Bulle, hinter ihm der penetrante Typ, dem er die Kamera vom Nacken geschnitten hat. Was soll er tun? Der Polizist legt die Hand an das Holster.

Das ist der Augenblick, da der junge Dieb frustriert aufgibt. Er legt die Kamera hin und nimmt die Arme hoch. Der Polizist legt ihm hinter dem Rücken die Handschellen an. Eike ist mittlerweile auch angekommen, nimmt seine Kamera hoch. „Die ist erst mal, tut mir leid für Sie, beschlagnahmt. Das ist doch Ihre, ja?“ Eike ist unsicher, nickt kurz, und schüttelt dann energisch den Kopf. „Ist ausgeliehen!“ „Kommen Sie bitte mit auf die Wache, Grüner Deich 1, ist ganz in der Nähe. Wir klären dort alle Fragen. Wie lautet Ihr Name? Aha, Eike Sonnenschein. Mit so einem Namen haben Sie ja wohl immer Glück. Ihre geliehene Kamera ist gerettet. Wir nehmen die Aussage auf und können Ihnen hernach, nach der Begutachtung, die Kamera wieder aushändigen. Wir brauchen da auch noch den Namen des rechtmäßigen Besitzers. Kommen Sie bitte mit! Vielen Dank für Ihre Kooperation.“ Und zum Dieb gewandt: "Ist dieser Herr hier der Mann, dem Sie die Kamera gestohlen haben?" Der junge Mann nickt.

Routinemäßig wurden die aufgenommenen Fotografien gesichtet. Zeitgleich wurde dem Morddezernat des Landeskriminalamtes Hamburg, Bruno-Georges-Platz 1, ein Mord in der Deichstraße 49 gemeldet. Die Putzfrau hatte ihren Auftraggeber, sie ist völlig aufgelöst, erschossen am Fuße der Wendeltreppe aufgefunden. Diese arme Frau musste sofort psychologisch betreut werden. Der Tote heißt Holger Luerssen. Seine Verlobte, Mimo Brechwurtz, wurde verständigt. Sie bricht zusammen, als sie die schreckliche Nachricht erhält. Tot? Holger ist tot? Sie kann es nicht fassen. Im neuen Jahr wollten sie doch heiraten... In wenigen Monaten bereits...

Kommissar Blumensaat sitzt bald darauf Eike Sonnenschein gegenüber. „Nun, Herr Sonnenschein, ich hab da eine Frage an Sie. Ihnen wurde die YI Kamera gestohlen, das ist richtig, ja?“ Eike nickt bedächtig. „Hören Sie, wir haben alle gespeicherten Fotos gesichert. Drei Aufnahmen haben unser besonderes Interesse geweckt, die machen Sie, Herr Sonnenschein, zu einem Verdächtigen in einem Mordfall, heute entdeckt, Deichstr., sagt Ihnen das etwas?“ Der Kopf des freundlichen Herrn Eike Sonnenschein beugt sich so stark herab, dass sein Kinn fast die Brust berührt. Der Kommissar sagt: „Leeren Sie alle Ihre Taschen, ganz langsam, hören Sie, langsam!“

Mit der linken Hand, mit spitzen Fingern, zieht Sonnenschein eine kurzläufige Waffe heraus, die SIG Sauer Mosquito, Kaliber .22, und danach noch einen Recknagel ERA Silencer SOB 1, mit Neopren-Überzug von Niggeloh, ebenso im Innenteil der Jackett Tasche sorgsam befestigt (Klettverschluss). Die wilde Jagd durch die Rathausmarkt-Gassen hatte nicht einmal für ein Verrutschen der beiden Teile gesorgt. Kommissar: „Tatwaffe?“ Eike bestätigt. „Nun, Sie sind festgenommen, Herr Sonnenschein. Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn Sie sich keinen Verteidiger leisten können, wird Ihnen einer gestellt. Haben Sie das verstanden, Eike Sonnenschein?“ Nicken. „Ich beschuldige Sie des Mordes an Holger F. Luerssen, Deichstr. 49, Hamburg. Möchten Sie sich zu diesem Vorwurf jetzt äußern?“

Doch Sonnenschein antwortet nicht. Er ist in Gedanken im Ruhestand, streift durch endlose niederländische Tulpenfelder, Noordoostpolder... Aaah. Sein kleines, sehr schönes, malerisches Farm-Häuschen aus dem 18. Jahrhundert, an einer der vielen kleinen Grachten in Giethoorn liegend, Reet gedeckt... Aaah. Das Boot direkt vorm Häuschen, freundlich winkende Touristen in den Flüsterbooten. Einfach wunderbar. Acht Kilometer Kanal, mehr als 180 Brücken. Wie viel Glück kann ein Mensch denn überhaupt verkraften? Das ist fast schon zu viel, denkt Eike Sonnenschein, zu viel. Der Nationalpark Weerribben-Wieden, das größte Flachmoor von Nordwest-Europa, und natürlich Holland, das IJsselmeer, die Tulpenfelder... Aaah...

Und was ist nun in diesem mysteriösen schwarzen Köfferchen, das er bei sich trägt, dieser Auftrags-Killer Sonnenschein? Bei seiner Verhaftung hatte er es nicht dabei, es war noch im Hotel. Dort öffnete man das Köfferchen. Die Polizei fand Antihypertensiva, die wohl, in gewisser Dosis, tödlich wirken würden. Ohne Zweifel eine Art "Ausweg" für den Killer, falls er erwischt wird. Im Hamburger Fall konnte Sonnenschein diese "Notbremse" nicht ziehen. Er wurde vorzeitig in Gewahrsam genommen, ehe er das Hotelzimmer hatte aufsuchen können. Man konnte sonst nur noch einen Stadtplan von Hamburg finden.

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Kommentare

02. Mär 2020

Gerne gelesen !
HG Olaf

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