Gefährlicher Sommer (Teil 24) - Page 3

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erzielen, wenn wir viel mehr Nutzholz veräußern würden. Holz ist immer gefragt, zum Beispiel für Reparaturen an Fahrzeugen und anderen Betriebsmitteln. Die geschlagenen Flächen könnten im Frühjahr dann sofort wieder aufgeforstet werden.“
„Na gut, Axel! Dann machen wir es so, wie du es gesagt hast.“
Frau Brandner ließ einen tiefen Seufzer hören.
„Hast du genug Leute für die Entfernung der Baumstubben und Steine? Das wird kein Zuckerschlecken!“
„Leute zu finden ist das geringste Problem“, sagte Kröger. „Ich bin mir sicher, dass mein Sohn Hannes ganz begeistert sein wird und gewiss gerne mithilft.“
Kröger hatte den letzten Satz lauter hervorgebracht als seine Worte zuvor. Seine Stimme hatte leicht belustigt geklungen, als wüsste er, dass Hannes sich ganz in seiner Nähe aufhielt. Ich spürte, wie Hannes einen Moment lang stutzte und tief Atem holte.
„Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen, wenn du deine Begeisterung einbringst, Hannes“, wisperte ich.
„Pah! Was der sich einbildet! Das könnte ihm so passen!“, schnaubte Hannes empört.
„Bin ich jetzt endlich entlassen?“, fragte Helge im arroganten mauligen Ton. Er hörte sich sehr genervt an.
„Ja, geh nur wieder an deine Arbeit, mein Junge“, sagte die Gnädigste geistesabwesend. Vermutlich dachte sie an ihren heiß geliebten Wald, obwohl dieser nach alledem, was Hannes und ich soeben gehört hatten, nur um wenige Bäume schrumpfen würde.
Helge stapfte fast hautnah an uns vorbei und murmelte wirres Zeug. Ich verstand lediglich „Wintergetreide“ und konnte mir keinen Reim darauf machen. Für die Aussaat von Wintergetreide war es noch viel zu früh. Das hatte sogar ich im Laufe der Jahre geschnallt. Ein wahres Glück, dass es in diesem Flurbereich melodramatisch düster war. Wir hielten sekundenlang die Luft an. Mir zitterten die Knie, und Schweißtröpfchen perlten von meiner Stirn auf die Augenlider. Hannes schien meine Angst zu spüren. Er hielt mich fest umschlungen. Hoffentlich knutscht er nicht gleich los, dachte ich voller Sorge und mit angehaltenem Atem.
Wir waren gerade im Begriff uns aufzurichten, um aus dem Versteck zu kriechen, duckten uns jedoch sofort wieder, Christine, weil Leni aus der Küche stürmte. Ich sah ihre gefurchte, braunfleckige Hand neben mir, die sich um den Treppenpfosten klammerte, als sie Kurs auf das Herrenzimmer nahm. Hannes erzählte mir später, er habe sich so sehr erschrocken, dass er in die falsche Richtung gehüpft und mit dem Kopf, der immer noch entsetzlich schmerze, an den Treppenvorsprung gestoßen sei. In meiner Aufregung hatte ich sein Missgeschick gar nicht mitbekommen und Leni ist eh schwerhörig, wie du weißt.
Nachdem Kröger über die Veranda in den Hof gestiefelt und die Gnädigste in der Küche geblieben war, krochen wir aus unserem Versteck.
„Warte einen Augenblick“, flüsterte Hannes. „Ich glaube, du hast eine Spinne im Haar.“ Nachdem er eine Weile in meinem Pferdeschwanz herumgewühlt hatte, was ihm offenbar großes Vergnügen bereitete, hielt er mir den kleinen Eindringling zwischen Daumen und Zeigefinger demonstrativ vor die Nase. Ich glaube, es handelte sich um eine Kreuzspinne, liebe Christine. Leider konnte ich das Kreuz nicht erkennen. Dazu war es zu schummrig. Wie du dir gewiss denken kannst, verzog ich keine Miene beim Anblick dieses possierlichen Tierchens.
„Tapferes Mädchen!“, glaubte Hannes mich loben zu müssen. „Kora hätte vielleicht ein Theater gemacht!“, schnaubte er dann verächtlich. „Die hätte das ganze Gut zusammengebrüllt! Bis nach Lübeck, nee, bis nach Kiel sogar, wären ihre Schreie zu ...“
„Ja, ist ja gut, Hannes“, unterbrach ich ihn, damit er mit der Spinnerei aufhörte.
***
„So, so! Wald hinter Maisfeldern also caputto, soll ausgerodet werden!“, kauderwelschte Hannes, als wir auf unserem Lieblingsplatz, dem Holzsteg am Tümpel, saßen, vom Reet, hohem Gras und rotbraunen wilden Lilienbüschen nahezu gänzlich verdeckt. Wir hatten die fetten Gänse und die trägen, buntgefiederten Enten, die ununterbrochen ihr Gefieder putzten, ins Visier genommen und kommentierten das Verhalten der Tiere mit mehr oder weniger witzigen Worten.
„Konrad Lorenz wäre entzückt gewesen von unseren Gänsen und Enten“, grinste Hannes. „Er glaubt, dass Tauben eifersüchtig sein können. Kannst du dir das vorstellen?“
„Klar", sagte ich, „oberflächlich betrachtet, ist das ein reines Instinktproblem – wie beim Menschen.“
„Irgendwie sieht der Teich im Sommer immer ölig aus, als ob er aus Griesbrei mit Blaubeersoße wäre, nur leider nicht so appetitlich“, wechselte Hannes das Thema.
Zwischen den Planken des Stegs, über die sich ein feines Pilzgeflecht zog, klafften große Lücken und Hannes übte sich darin, durch sie hindurch ins Wasser zu spucken. Ich rückte ein wenig von ihm ab.
„Es heißt übrigens ,rotto'“, berichtigte ich Hannes' kindisches Italienisch von vorhin.
„Was rotto? Verrottet?“ Er sah mich amüsiert an.
„Kaputt heißt auf italienisch 'rotto', und nicht ,caputto', sagte ich gleichmütig. Hannes ging nicht weiter darauf ein, schien sich aber köstlich zu amüsieren.
„Ähnlich wie ,banca rotta', fuhr ich ungerührt fort, die Vokabel für ,Bankrott' oder wörtlich: 'zusammengebrochene Bank'.“
„... ja, wenn Oskar sich draufsetzt“, ulkte Hannes und wollte sich ausschütten vor Lachen. Manchmal verhält er sich auffallend kindisch für sein Alter, liebe Christine. Ich dachte an die Metamorphosen, die er bereits durchlitten haben musste und spürte, dass es mich persönlich schmerzte.
„Dieses interessante Waldstück sollten wir uns auf jeden Fall einmal an­sehen“, schlug er wie aus heiterem Himmel vor. Seine Augen blitzten vor Unternehmungslust. Ich war sofort damit einverstanden. Ein Borkenkäfer war mir noch nie unter die Augen gekommen, geschweige denn ein geschädigter Forst.
Wir holten unsere Fahrräder und schoben sie durch die Allee. Ich humpelte ein wenig, für alle Fälle. Der Fußverband war schon fast schwarz vom Staub.
„Hannes! Katja!", ertönten die Stimmen von Kora und Konny hinter uns. „Wo wollt ihr denn hin?“ Hannes legte mir seinen Zeigefinger auf den Mund, als wäre ich so dämlich, unser Ziel über den Hof hinauszuposaunen. Mit ein paar übertriebenen Gesten deutete Hannes den beiden an, dass sie näherkommen sollten.
„Was gibt es denn jetzt schon wieder Geheimnisvolles?“, fragte Konny gereizt, als er mit Kora im Schlepptau vor uns stand.
„Pst! Nicht weitersagen“, flüsterte Hannes. „Katja und ich wollen heiraten. Nächstes Wochenende! In Gretna Green! Der Dorfschmied wird uns trauen!“ Ich zeigte ihm einen Vogel. Hannes sah mich em­pört an. „Also weißt du, Katja! So reagiert man nun wirklich nicht auf einen Heiratsantrag! Das schlägt selbst den hartgesottensten Mann in

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Kommentare

01. Dez 2017

Die Mischung, sie stimmt! Nach wie vor:
Hochspannung trifft auf Humor ...

LG Axel

01. Dez 2017

Dank, lieber Axel, dir, für deinen Kommentar.
Herr Fuchs ist jetzt im Anmarsch, jener Kommissar.

LG Annelie

01. Dez 2017

Wie das wohl weiter geht ?
Ich bin gespannt und warte !
Gruß,
Volker

02. Dez 2017

Danke, lieber Volker, für deinen Kommentar. Ehrlich gesagt: Ich bin genauso gespannt wie du; weiß auch nicht mehr ganz genau bzw. nicht wortwörtlich, wie es weitergeht.

Liebe Grüße,
Annelie

02. Dez 2017

Wieder spannend der Text ...
Annelie-like gelungen die Collage ...
ent- zückend das kleine Mädchen; bist du das?

Liebe Grüße - Marie

02. Dez 2017

Liebe Marie, danke für deinen Kommentar. Ja, das kleine Mädchen war ich - im zweiten Schuljahr. Noch konnten wir lachen, denn wir hatten eine besonders gute Lehrerin: Fräulein Bergenthal, die uns am Ende des dritten Schuljahres leider verließ. Danach verging uns das Lachen.

Liebe Grüße,
Annelie

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