Gefährlicher Sommer (Teil 24) - Page 5

Bild von Annelie Kelch
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abgeholt“, witzelte Hannes und hieb mit seinem Fuß derart heftig gegen einen der Holzstöße, dass die Bohlen aus dem hergestellten Gefüge gerieten und fluchtartig das Weite suchten.
„Blödmann!“, schrie Kora. „Das bringst du sofort wieder in Ordnung. Oder sollen wir uns die Hälse brechen?“
„Diese Bäume waren bereits geschwächt, bevor der Borkenkäfer sie anfiel; ich nehme stark an, dass Pilze oder andere Insekten als der Borkenkäfer hier schon viel früher ihr Unwesen getrieben haben“, stellte Konny fachmännisch fest. „Deshalb hatten die bösen ,Buchdrucker' leichtes Spiel. Die Larven fressen nämlich im Bast eines Baumes ausgerechnet den Bereich, in welchem die Nährstoffe zwischen Kronen und Wurzeln transportiert werden. Wenn dieser Saftstrom unterbrochen wird, sterben die Bäume ab. Übrigens, Tannen sind viel stabiler als Fichten. Wisst ihr eigentlich, dass ...“
„Pfui Spinne! Igittigitt!“, schrie Kora plötzlich, „hier sind solche Mistkäfer!“
Sie zeigte auf eine Armee schwarz-braun schillernder Käfer, die sich frisch und munter in den Gängen tummelten, die sie in die Borken gefressen hatten.
„Das sind mitnichten Mistkäfer, liebe Kora“, belehrte Konny seine Schwester. „Mistkäfer fallen keine Bäume an, sondern ernähren sich vom Kot verschiedener Säugetiere.“
„Dann sind diese Borkenkäfer eben Scheißkäfer“, gab Kora ungerührt zur Antwort.
„In der Tat! Diese Viecher können ganze Waldbestände vernichten. Das sind tickende Zeitbomben“, dozierte Konny, während Hannes faziniert die Fraßbilder unter der Rinde betrachtete. Sie sahen aus wie degenerierte krumme Besenstiele, aus denen beidseitig eine Unzahl von Fangarmen wucherten.
„Ich glaube, so trocken wie in diesem Frühjahr war es seit langem nicht mehr, jedenfalls nicht seit 1961 und keinesfalls in unserer Gegend. Damals lag die mittlere Temperatur bei 10,6 Grad. Das weiß ich deshalb so genau, weil ...“
„Wir wollen es gar nicht so genau wissen, Einstein“, unterbrach Hannes Konnys Ausführungen. Kora hüllte sich in Schweigen, und ich hütete vorsichtshalber meine Zunge.
Im nächsten Moment schrie Kora dermaßen heftig auf, dass wir glaubten, sie sei in einen Hornissenschwarm geraten, dabei hatte sie lediglich frisches braunes Bohrmehl an mehreren Rinden entdeckt und machte Konny darauf aufmerksam.
„Bei der da zum Beispiel kann man deutlich sehen, dass die Rinde bald platzt.“ Konny zeigte auf eine kleine, bräunliche Fichte. „Das kann übrigens nur ein Specht gewesen sein. Die suchen nach Käfern und Larven. Während der letzten Jahre hatten wir außergewöhnlich trockene Frühlingszeiten. Diese Trockenheit schwächt die armen Fichten noch obendrein. Bei genügender Feuchtigkeit bilden die Bäume näm­lich reichlich Harz. Der stärkt ihre natürlichen Abwehrkräfte gegen Schädlin­ge und anderes zerstörerisches Zeug. Aber bei diesen traurigen Exemplaren kommt wohl jede Rettung zu spät. Leider! Es wird sogar allerhöchste Zeit, dass sie abtransportiert werden.“
„Erst einmal müssen sie jedoch gefällt werden, lieber Cousin Konny“, warf Hannes mit einer Freundlichkeit ein, die mir sofort verdächtig vorkam. „Was meinst du, Konny? Vier Wochen lang Temperaturen von minus fünfzig Grad und das Waldstück ist gerettet?“
„Drei Wochen lang minus dreißig Grad würden völlig ausreichen“, sagte Konny.
„Und wie wäre es mit Insektenfallen und Duftstoffen als Lockmittel?“
„Nicht schlecht, Hannes“, lobte ihn Konny, „aber dafür ist das Wäldchen zu groß.“
Wir begaben uns tiefer in den Fichtenwald und fanden Stellen, an denen der Lichtblick dieses Sommers, die Sonne, dieses strahlende Goldstück, allem Anschein nach lange nicht aufgekreuzt war. Das Moos war grau und roch schimmelig. Faule, von schmierigen Pilzen umsponnene Baumstämme lagen in einem Wust von Nadeln und modernden Wurzeln. In den toten Fichtenzweigen hingen zahllose Spinngewebe. Die Luft war feucht und stank nach Verwesung, faulendem Holz und welkem Laub. Konny scheuchte uns resolut in die Sonne zurück, wofür zumindest ich ihm dankbar war.
„Hat jemand von euch eine Uhr mit?“, fragte ich aufgeregt; denn mir war plötzlich einge­fallen, dass Kommissar Fuchs der Gnädigsten die Ehre erweisen wollte.
„Ich“, gab Konny zur Antwort. „Es ist auf die Sekunde genau halb fünf. Aber ganz davon abgesehen: Reine Fichtenwälder, so befürchte ich, werden unsere Enkelkinder kaum noch zu Gesicht bekommen. Sie sind nämlich miserable Wasserspeicher. Mischwälder sollte man in Zukunft pflanzen. Wisst ihr eigentlich, dass es schon seit 1901 regelmäßige Wetteraufzeichnungen gibt?“
„Erst?“, fragte Hannes.
„Ja!“ Konny ließ sich nicht beirren. „Und in unserer schönen Republik soll es mehr als hundertzwanzig Arten von Borkenkäfern geben.“
„Wie viele Borkenkäfer braucht es, um eine von diesen Fichten umzubringen?“, fragte Kora.
„Gute Frage“, gab Konny zur Antwort. „So um die vierhundert Tierchen müssten sich schon dumm und dämlich fressen. Die ...“
Ich hörte nicht mehr zu. Hannes hatte mir ein unmissverständliches Zeichen zum Aufbruch gegeben, und bei dem Gedanken, dass Helge inzwischen unseren Brief gelesen haben könnte, bekam ich wieder mal wacklige Knie und den unvermeidlichen Schluckauf.
„Hicks! Hast du ein Fröschlein in deinem Hals versteckt, Katja?“, fragte Hannes kichernd.
„Blödmann“, mischte sich Konny ein. „Beim Schluckauf gelangt Sauerstoff in die Lunge, wodurch sich das Zwerchfell zusammenzieht. In der Luftröhre schließt sich dabei eine Klappe, damit in die Lungen nicht zu viel ...“
„Tu mir bitte einen Gefallen und schließ dein Zahngehege. Das kann ich alles nachlesen, falls es mich interessiert, Teddyboy“, unterbrach Hannes seinen gelehrigen Cousin und gickste sein leicht überhebliches Lachen.
„Dumpfbacke, ich bin kein Teddyboy; das sieht doch jedes Kleinkind!“, knurrte Konny.
„Ach nee, seht mal her“, rief Hannes, schon halb auf seinem Fahrrad sitzend. Er zeigte auf eine mittelgroße Fichte mit dürren braunen Nadeln, die entwurzelt am Wegrand lag. Wir starrten wie auf Kommando auf den abgestorbenen Baum.
„Spielen wir jetzt ,Ich sehe was, was du nicht siehst'?, fragte Konny grinsend.
„Kann schon sein, alter Junge, dass ich mehr wahrnehme als du“, sagte Hannes. „Seht ihr die breite Mulde im Holz? Da, weiter in der Mitte!“
„Ja und? Was soll es schon groß damit auf sich haben ... Ich will endlich nach Haus.“
„Sei nicht so desinteressiert und ungeduldig, Kora. Das ist ein Flugloch. Und wer fliegt dort wohl ein und aus? Bienen natürlich, Kindchen(!)! Hört ihr es summen und brummen?“
Hannes war dicht an den Stamm getreten; ich folgte seinem Beispiel, und Konny ließ sich sogar dazu bewegen, sein Ohr in die Nähe der kleinen Höhle zu halten. Im selben Moment trommelte Hannes wie ein Verrückter auf das tote Holz. Wie er an den riesigen Stock gekommen war, den er plötzlich in der Hand hielt, hatte niemand von uns mitbekommen. Das friedvolle Summen der Stechimmen wurde zum Getöse. Wie kleine gelbe Geschosse schwirrten sie über unseren Köpfen hinweg. „Hilfe, o Gott, so hilf mir doch“, schrie Kora und raste los.
Wie eine undurchdringliche Wolke segelten das aufgeschreckte Bienenvolk aus dem Bau und umschwirrte unsere Köpfe. Konny schlug wild um sich und heulte plötzlich auf. „Mein Nacken“, schrie er. „Wie verteufelt das brennt! Die Biester haben mich gestochen.“
„Ruhig, Konny! Du musst dich ganz ruhig verhalten. Dann tun sie dir nichts“, beschwor ich Hannes' leidgeprüften Vetter.
„Machen wir, dass wir wegkommen“, rief Hannes, der Bienenschinder, schwang sich aufs Fahrrad und düste davon. Ich führte den aufgeregten Konny in die Nähe des Waldrands, wo wir uns hinsetzten und unsere Arme schützend über unsere Köpfe legten. Ein paar Immen waren uns gefolgt und umkreisten uns hartnäckig.
„Da ist gewiss jede Menge Honig drin“, fand Konny seine Sprache wieder. „Wenn ich Hannes erwische, dann frag nicht nach Sonnenschein, Katja ...“
„Sei besser still“, bat ich, „sonst fliegen die Viecher dir auch noch in den Rachen.“

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Kommentare

01. Dez 2017

Die Mischung, sie stimmt! Nach wie vor:
Hochspannung trifft auf Humor ...

LG Axel

01. Dez 2017

Dank, lieber Axel, dir, für deinen Kommentar.
Herr Fuchs ist jetzt im Anmarsch, jener Kommissar.

LG Annelie

01. Dez 2017

Wie das wohl weiter geht ?
Ich bin gespannt und warte !
Gruß,
Volker

02. Dez 2017

Danke, lieber Volker, für deinen Kommentar. Ehrlich gesagt: Ich bin genauso gespannt wie du; weiß auch nicht mehr ganz genau bzw. nicht wortwörtlich, wie es weitergeht.

Liebe Grüße,
Annelie

02. Dez 2017

Wieder spannend der Text ...
Annelie-like gelungen die Collage ...
ent- zückend das kleine Mädchen; bist du das?

Liebe Grüße - Marie

02. Dez 2017

Liebe Marie, danke für deinen Kommentar. Ja, das kleine Mädchen war ich - im zweiten Schuljahr. Noch konnten wir lachen, denn wir hatten eine besonders gute Lehrerin: Fräulein Bergenthal, die uns am Ende des dritten Schuljahres leider verließ. Danach verging uns das Lachen.

Liebe Grüße,
Annelie

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