Stadt in Not - Page 9

Bild von Magnus Gosdek
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an seinem Körper. Der Umhang war aus Seide genäht und so rot, dass Niels unweigerlich an die Kleidung des Kaisers denken musste. Und auch den Bart, vormals struppig und lang, hatte Johannes Brack sich stutzen lassen, dass der Sohn ihn kaum wiedererkannte. Er selber trug immer noch die Lumpen ihrer Wanderung, dass der Vater einen missbilligenden Blick darauf warf. Doch sagte er nichts dazu.
„So komm!“ rief der Händler ungeduldig. „Wir wollen zu der Innung gehen.“
Nurmi öffnete die Tür und Johannes Brack trat ins Freie. Niels folgte ihm. Bereits zu dieser frühen Stunde war der Marktplatz gut besucht. Wegen des Regens hatten die Händler ihre Stände mit Tüchern überdacht, so dass die gesamte Fläche nun selbst wie eine kleine Stadt in sich wirkte. Die Verkäufer legten ihre Ware auf den Tischen aus und boten sie mit ruhiger Gelassenheit feil. Ihnen schien das Wetter nichts auszumachen. In dieser Gegend war der Regen ein häufiger Gast. Wenn Niels am vorherigen Tag auch nur Augen für den Anblick der Stadt gehabt hatte, so bemerkte er jetzt, dass alle Besucher fast so reich gekleidet waren wie sein Vater. Es schien tatsächlich keine armen Leute in der Stadt zu geben.
An einem Stand saß ein älterer Mann mit einer Waage. Fremde traten an ihn heran und legten ihre Münzen auf eine der Schalen. Der Mann nahm eine Handvoll Gold und füllte damit die andere, bis beide Seiten zueinander wieder ausgewogen standen.
„Das ist der Geldwechsler“, sagte Johannes Brack, als er den fragenden Blick seines Sohnes bemerkte. „Viele fremde Münzen finden den Weg in die Stadt, und hier können sie den Wert in Gold umtauschen, um die Händler zu bezahlen.“
„Der Wechsler scheint nicht von hier zu sein“, entgegnete Niels.
„Von je her wurde dieses Amt von einem Griechen ausgefüllt“, entgegnete der Vater. „Das ist Tradition.“
Die Stadt schien aus vielen solcher alten Gebräuche zu bestehen, die alle nur ein Ziel hatten, Geld zu verdienen. Der Grieche musste sich in der Welt gut auskennen. Bei keiner Münze, die den Weg auf seine Waage fand, zögerte er und Niels sah ihm fasziniert zu.
„Komm weiter“, mahnte der Vater. „Der Tag ist reich an Dingen, die wir zu erledigen haben.“
Auch im Innungsgebäude herrschte lebhaftes Treiben. Johannes Brack aber störte sich nicht daran; wandte sich stattdessen nach links und stieg eine steinerne Treppe in den oberen Stock empor. An der Tür am Ende des Aufstiegs hielt er einen Augenblick an.
„Nun gilt es“, sagte er zu seinem Sohn und nach einem Moment des Zögerns öffnete er die riesige, aus Erz gegossene Tür.
Der Saal dahinter war so gewaltig, dass sich die wenigen Männer darin fast verloren. Niels hatte sich gefragt, wie die mächtigen Männer der Innung wohl aussehen mochten. In diesem Augenblick aber beachtete er sie nicht. Er starrte auf die Wände der Halle. Sie war vollständig mit Marmor ausgeschlagen. Das kostbare Gestein reichte bis unter die Decke und ließ, vereint mit den Sonnenstrahlen, den Raum im hellen Schein erstrahlen. In der Mitte aber stand ein Tisch, rund und eichenhölzern. Er war so groß, dass dreißig Männer um ihn herum ihren Platz fanden. Nun freilich war er leer und die Männer standen in kleinen Gruppen zusammen.
Als Johannes Brack mit seinem Sohn den Saal betrat, wandten sie sich zu den Neuankömmlingen um. Das leise Gemurmel, welches den Raum erfüllt hatte, verstummte, und für einen Augenblick standen sie sich schweigend gegenüber.
Schließlich aber löste sich ein älterer Herr aus der Gruppe und trat den beiden entgegen. Würdevoll blieb er vor ihnen stehen und reichte dem Vater die Hand.
„Johannes Brack, so seid willkommen. Wir hörten bereits gestern Abend über eure Ankunft.“
„Melchior Thesis“, entgegnete der Händler den Gruß. „Ich danke euch. Ihr habt richtig vernommen, wir kamen bereits gestern an und stiegen im Haus meines Bruders ab.“
„So mag Rungbert nun in Frieden von uns gehen. Wir erhielten das Schreiben aus seiner Hand und erfuhren bereits von der Schmach, die er euch zugefügt hat. Mag Gott ihm verzeihen und sei gelobt, dass die Gerechtigkeit letztendlich siegte.“
Als wäre dies die allumfassende Absolution, traten darauf auch die anderen Anwesenden auf die Neuankömmlinge zu und begrüßten sie würdevoll.
„Das ist mein Sohn Niels“, sagte der Vater und wies auf seinen Zögling. „Einst wird er das Geschäft übernehmen.“
Die anderen gratulierten ihm, dass Niels, obwohl sich Abwehr in ihm regte, nicht dazu kam, etwas zu sagen.
„Nun sagt, wie ist es euch ergangen in all den Jahren?“ fragte Melchior Thesis weiter.
„Es gibt gar viel zu berichten“, entgegnete Johannes Brack. „Doch soll dies noch eine Weile warten. Wichtige Geschäfte gilt es zu besprechen, die keinen Aufschub dulden.“
„Ich seh, ihr seid einen Mann, der seine Zeit nicht vertändelt“, sagte Melchior Thesis. „Folgt mir und lasst uns an dem Tisch versammeln, dass wir uns beraten mögen. Auch wir haben einiges zu besprechen.“
Der alte Händler wies Johannes Brack zu der Tafel hinüber. Niels zögerte, dass der Vater sich umwandte. Doch schien er sich sogleich eines Besseren zu belehren.
„Geh du derweil hinunter zu unserem Stand und sieh dort nach dem Rechten. Ich werde dir folgen, sobald wir fertig sind.“
Niels nickte und war froh, aus der Marmorhalle entfliehen zu können. Doch dachte er nicht daran, sich dem Stand der Bracks zuzuwenden. Die Vorstellung der dämmrigen, mit Fackeln beleuchteten Halle weckte ihn ihm den Wunsch, hinaus ins Freie zu eilen, selbst wenn es regnete.
Er lief in die bekannte Straße direkt an dem Haus des Oheims vorbei, das bei dem düsteren Regen noch bedrohlicher für ihn aussah. Niels konnte sich nicht daran gewöhnen, dass es auch seines sein sollte. Trotz der Größe wirkte es eng, so wie die ganze Stadt. Dahinter aber musste irgendwo das Meer schäumen und somit auch der Hafen liegen.
Niels war bereits durch viele Ortschaften gekommen, doch keine von ihnen lag direkt am Meer. Manchmal gab es Flüsse, an deren Ufer Kähne angetaut lagen. Zumeist war es kaum eine Handvoll, die den Fischern zu ihrem kargen Auskommen diente. In diesem Hafen jedoch ankerten die Schiffe aus all den fremden Ländern, von denen er auf seiner Wanderung mit dem Vater märchenhafte Geschichten gehört hatte. Sie lockten mit ihrem verführerischen Wispern von Freiheit, und Niels –

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Kommentare

08. Okt 2016

Dieser Text ist stark - und munter:
Er schwimmt oben! (Geht nicht unter ...)

LG Axel

08. Okt 2016

ganz anders wie die ganze Stadt,
sie hatte mein Geschreibsel satt.
LG Magnus

27. Mär 2017

Eine gar spannende Geschicht',
ich konnte fast sie lassen nicht.

Eine wirklich tolle Erzählung über längst vergangene Zeiten, die durch die Charaktere der Geschichte sehr lebendigen Bezug hin zum Heute bekommt..

LG Ekki

27. Mär 2017

Vielen Dank, Ekki, schön das sie Dir gefällt und sie lebendig geworden ist. Ich wollte lange schon eine Vineta Geschichte schreiben. LG Magnus

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