Stadt in Not - Page 5

Bild von Magnus Gosdek
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regte, dass die Worte des Alten nur dazu dienen mochten, ihre Gedanken zu verwirren.
„Man nennt mich Johannes Brack“, entgegnete der Wanderer so offen, dass ihr Misstrauen augenblicklich sank.
Trotzdem musterte die Magd ihn einen Augenblick, als schätze sie ab, ob der Alte die Wahrheit gesagt hatte. Sie war geneigt, ihm zu glauben; dann aber fiel ihr Blick auf Niels und ihr Argwohn regte sich von neuem.
„Wer ist er?“ fragte sie und deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Jüngling hinüber.
„Dies ist mein Sohn, Niels.“
Die Magd betrachtete den Jüngling, wie es nur junge Menschen untereinander tun können. Von Johannes Brack hatte sie gehört, doch niemals von einem Nachkommen. Von dem verschollenen Bruder war nie viel im Hause gesprochen worden, dass sie tatsächlich bloß die verschwommenen Erzählungen aus der Vergangenheit kannte. Es war durchaus möglich, dass dieser junge Mann der Neffe des Herrn Rungbert war.
Für einen Augenblick stand sie unschlüssig an der Tür. Sie schien im Widerstreit mit sich zu liegen, was nun zu tun sei. Es war ihr verboten worden, Fremde ins Haus einzulassen. Doch wenn es sich tatsächlich um den Bruder des Herrn handelte, so stand es ihr nicht an, sie abzuweisen.
Sie sah über die Schulter hinweg in den finsteren Raum, der hinter ihr lag, wohl in der Hoffnung, dass jemand kommen und sie aus der misslichen Lage erretten würde.
„Ich bitte dich, uns zu vertrauen“, sagte Johannes Brack, dem die Lage der jungen Magd sehr wohl bewusst war.
Die Worte veranlassten das junge Mädchen, sich wieder dem Besucher zuzuwenden, der sie nun anlächelte, was ihr die Entscheidung nicht erleichterte. Schließlich jedoch schien sie einen Ausweg gefunden zu haben, und ihre Miene hellte sich auf.
„Wer sagt mir, dass ihr tatsächlich der seid, der ihr vorgebt zu sein?“ fragte sie.
„Allein mein Wort. Doch ist unsere Mutter noch am Leben, so mag sie es sicherlich bestätigen“, entgegnete Johannes Brack leise. Die Vorstellung, seine Mutter noch einmal in diesem Leben wiederzusehen, stieg ihm warm ins Herz.
„Die Herrin des Hauses starb vor zwei Wintern und ein Wort ist schnell gesagt“, entgegnete die Magd. „Doch wartet einen Augenblick. Ich hole jemand anderen, der euch kennen mag.“
Sie schloss die Tür. Niels sah fragend auf den Vater herab.
„Seid ihr sicher, dass wir hier willkommen sind?“ fragte der Sohn zweifelnd.
Johannes Brack lächelte ihm aufmunternd entgegen. Er selber begrüßte das Verhalten der Magd. Wie schnell gelangte Gesindel ins Haus; dieses junge Mädchen jedoch ließ sich nicht übertölpeln. Eine notwendige Eigenschaft, um den Haushalt führen zu können. Sie mochte noch jung an Jahren sein, alles andere aber würde das Leben sie lehren.
Es dauerte nicht lange, bis die Tür wieder geöffnet wurde und der Kopf der Magd wieder in dem Spalt erschien.
„Ihr seid nach wie vor da? Nun möge Gott fügen, dass dieser Mann euch kennt.“
Sie trat beiseite; an ihrer statt erschien das Gesicht einen Greises, fast, dass man annehmen konnte, er sei so alt wie das Haus. Sein Antlitz war übersät von Furchen, als ob das Meer in unnachgiebiger Kraft die Jahre darüber hinweg getobt hätte. Die Augen waren milchig und der Greis schob den Kopf weiter nach vorne durch den Spalt, um etwas erkennen zu können. Stärker als auf seine zweifelhafte Sehkraft schien er jedoch auf sein Gehör zu vertrauen.
„Seid gegrüßt, Nurmi“, sagte Johannes Brack, denn er kannte dieses Gesicht bereits seit seiner Kindheit.
Der Greis lauschte, und es schien, als suche er sich zu erinnern. Schließlich aber verzog sich sein Mund zu einem zahnlosen Lächeln.
„Johannes Brack“, krächzte er. „Seid ihr es wirklich?“
„In der Tat, mein lieber Nurmi“, bestätigte der Ältere.
„Es ist schon so lange her, dass ihr uns verlassen habt. Niemals glaubte ich, euch wiederzusehen.“
„Die Zeit vergeht im Hauch des Windes“, nickte Johannes Brack ergeben. „Auch ich bin froh, dich lebend vorzufinden.“
„So kommt herein und seid uns gegrüßt. Die Freude kehrt mit euch in das Haus zurück. Dem Herrn geht es gar nicht gut, dass er bald Erlösung finden mag. Doch dieses Geschäft würde mit ihm sterben und schon waren die Herren der Innung uneins, was mit dem Haus Brack geschehen sollte. Kein Sohn und keine Tochter, die es übernehmen könnten, wurden unserem Herrn geschenkt. Und seine Frau starb schon vor zehn Jahren.“
Der Greis war so in seiner Erzählung vertieft, dass Johannes Brack einen Schritt nach vorne wagen musste, um den Alten zu veranlassen, die Tür weiter zu öffnen.
Sie traten ein und Niels erkannte, dass sie unvermittelt in einer mächtigen Halle standen. Sie war vollständig mit schwerem Eichenholz ausgeschlagen, dass selbst die hohe Decke bedrohlich wirkte. Niemand konnte sich länger in diesem Raum aufhalten, ohne Beklemmung in sich aufsteigen zu fühlen.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Eingangstür führten zwei Stufen hinab in einen tiefer gelegenen Saal. Niels spähte hinüber und gewahrte eine Unmenge von Pelzen. Sie lagen über Tischen und Stühlen oder stapelten sich an der Wand. Es schien das Lager zu sein, und wie Niels später erfahren sollte, bestand der größte Teil des Hauses daraus. Johannes Brack achtete nicht darauf. Von jeher waren die Mitglieder seiner Familie Pelzhändler gewesen, als dass er sich von diesem Anblick überraschen lassen konnte. Im Gegenteil, es war gerade so, als ob die Nähe und der Geruch der Läger ihm neue Kraft verlieh. Sein Rücken spannte sich ein wenig, dass er nun fast aufrecht lief, und nur Niels, der seinen Vater genau kannte, bemerkte diesen feinen Unterschied.
Die Magd wartete leicht seitlich von den beiden Wanderern, in deren Mitte Nurmi sinnend stand, als müsse er sich erst orientieren. Sie hielt die Hände verschränkt und hatte den Kopf ein wenig geneigt, wie es sich für ihren Stand geziemte. Unter den Lidern hervor aber betrachtete sie die beiden Neuankömmlinge neugierig. Gerade der Jüngling schien ihr zu gefallen.
„Semi“, sagte der Greis in Richtung der Magd und riss sie damit aus ihren Gedanken, „bring etwas zu trinken. Wir gehen derweil hinauf zu Herrn Rungbert, dass er sich an der Ankunft seines Bruders erfreuen mag.“
Die Magd senkte den Kopf, dass sie verstanden hatte. Sie eilte durch einen Durchgang davon hinter ihr, von dem Niels vermutete, dass er zur Küche führen mochte. Nurmi aber schlurfte zu der Treppe hinüber und trat auf

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Kommentare

08. Okt 2016

Dieser Text ist stark - und munter:
Er schwimmt oben! (Geht nicht unter ...)

LG Axel

08. Okt 2016

ganz anders wie die ganze Stadt,
sie hatte mein Geschreibsel satt.
LG Magnus

27. Mär 2017

Eine gar spannende Geschicht',
ich konnte fast sie lassen nicht.

Eine wirklich tolle Erzählung über längst vergangene Zeiten, die durch die Charaktere der Geschichte sehr lebendigen Bezug hin zum Heute bekommt..

LG Ekki

27. Mär 2017

Vielen Dank, Ekki, schön das sie Dir gefällt und sie lebendig geworden ist. Ich wollte lange schon eine Vineta Geschichte schreiben. LG Magnus

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