Stadt in Not - Page 3

Bild von Magnus Gosdek
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war, die Stadt zu betreten.
„Und ihr seid sein Verwandter?“ fragte der Wächter erneut.
„So wahr wie wir von der gleichen Mutter gezeugt wurden.“
„Ich hörte von euch“, sprach der Wächter und umklammerte seinen Speer nun fester. „Es heißt, dass ihr die Innung um Geld betrogen hättet, Johannes Brack.“
Dies war der Augenblick, den der Alte gefürchtet hatte. Nun aber, nachdem sein Name bekannt geworden war, gab es kein Zurück mehr.
„Dies ist nicht wahr“, entgegnete Johannes Brack vehement. „Ich werde es vor den Herren beweisen.“
„So müsst ihr euch eilen. Soviel ich gehört habe, liegt euer Bruder im Sterben. Es heißt, die Kraft sei ihm schon fast gänzlich aus dem Körper entwichen.“
„Rungbert stirbt?“ fragte der Alte erschrocken. „So haben wir uns tatsächlich zu beeilen. Komm, Niels, lass uns laufen, so schnell die Füße tragen.“
Johannes Brack machte einen Schritt nach vorn, dass der Wächter beiseite trat. Auf ihrer Wanderung hatte Niels immer wieder Pausen eingelegt, damit sein Vater sich von der beschwerlichen Reise ausruhen konnte. Nun aber schritt der Ältere so forsch aus, dass der Jüngling nur schwerlich mithalten konnte, doch besaß er kaum Zeit, es zu bemerken.
Kaum hatten sie das Stadttor durchschritten, öffnete sich vor ihnen ein großer Marktplatz. Die Sonne stand bereits tief, dass die dicken Mauern des Tores ihr dunkles Schattentuch über ihn geworfen hatten.
Der Platz roch nach Vieh. Eine schier unübersehbare Zahl von Schweinen war in Pferche gezwängt und quiekte. Einige hatten es geschafft, aus der Umzäunung herauszubrechen und preschten nun über den Marktplatz. Doch niemand störte sich daran. Die Schweine liefen unter den Beinen der Kühe hinweg, die zum Verkauf angeboten wurden. Dazwischen gab es einige Pferde, die an Pflöcken gebunden standen und die Gänse unbeachtet ließen, während sie geduldig auf einen Käufer warteten. Der Gestank und das Geschrei des Viehs ließen den Markt wie einen lebenden Organismus wabern. Dazwischen standen die Händler und sprachen eindringlich mit den möglichen Kunden.
All die Menschen trugen die einfache Kleidung der Bauern. Nur vereinzelt waren Mützen zu erkennen, die mit phantasievollen Ornamenten verziert waren. Dieser Markt unterschied sich in keiner Weise von den Plätzen, die Niels bereits an anderen Orten, die sie durchwanderten, kennen gelernt hatte. Doch war er größer als die meisten, und die Vielzahl an Händler und Käufer ließ Niels staunen. Nach all den Erzählungen des Vaters hatte der Jüngling sich Vineta anders vorgestellt.
„Das ist nur der Viehmarkt. Warte, bis wie weiter in die Stadt gelangen“, rief Johannes Brack über die Schulter, ohne seine Schritte zu verlangsamen.
„Es gibt noch einen zweiten Markt?“ wollte Niels wissen.
„So komm!“ entgegnete der Vater und drängte weiter durch die Menge. Die Stadt schien ihm neue Kräfte zu verleihen, kaum dass er sich noch auf dem Stock abstützen musste. Wieder bereitete es Niels Mühe, ihm zu folgen. Schließlich aber gelangten sie zum Ende des Marktes, der in eine Straße mündete, die immer noch breit genug war, um zwei Pferdefuhrwerke nebeneinander genügend Raum zu gestatten. Einstöckige Häuser standen ihr Spalier. Von Ferne aus hatten sie hochherrschaftlich gewirkt, nun aber bemerkte Niels, dass sie aus einfachem Stein errichtet worden waren. Die Handknäufe der Eingangstüren freilich waren kunstvoll aus Silber gefertigt. Über jeder der niedrigen Türen prangte ein bronzenes Schild, auf denen Namen, mit Ornamenten verziert, aufgeschrieben waren.
„Das ist die Straße der Händler“, erklärte Johannes Brack seinem Sohn. „Die meisten von ihnen wohnen zwischen den beiden Märkten, dass sie beide schnell erreichen können. Ihre Namen sind überall bekannt.“
Wie zum Beweis wies er mit der Hand auf all die Schilder.
„Neusiel, Tory, Klutsch …“, las er vor. „Ich kenne sie seit meiner Jugend.“
„Wohnt der Oheim auch hier?“ fragte Niels.
„Nein, sein Haus steht auf der anderen Seite des mittleren Marktes“, entgegnete Johannes Brack. „Wir besitzen eines der größten Handelsgeschäfte, und das Gebäude liegt nahe der Innung. Du wirst es kaum übersehen können.“
„So ist der Oheim noch reicher als sie alle hier?“ fragte Niels staunend.
„Inzwischen mag Rungbert einen hohen Rang in der Innung innehaben“, entgegnete der Vater. „Von jeher waren unsere Familienmitglieder hier in Vineta als Kaufleute tätig. Warte noch eine Weile.“
Die Straße war nicht lang, und kaum fünf Minuten später traten sie auf einen zweiten Markt, der größer schien, als derjenige, den sie am Stadttor gesehen hatten. Hier war das Gewimmel noch dichter, dass die beiden Wanderer sich beschwerlich durch die Menschenmasse hindurchzwängen konnten.
Niels hörte die fremdländischen Reden, von denen er nichts verstehen konnte. Die Händler aber schienen aller Sprachen mächtig zu sein. Sie redeten in vielerlei Zungen miteinander, und obwohl der Markt vor Ständen und Menschen fast barst, lag eine angenehme Ruhe über dem Platz. Mit einer ausladenden Geste wies Johannes Brack über die Stände hinweg.
„Dies ist das Zentrum des Handels aus dem Osten, Norden und Westen“, sagte er, nicht ohne Stolz. „Du siehst hier die Abgesandten der Händler aus allen Städten, die du dir vorzustellen vermagst.“
Wie Niels bemerkte, gab es auf diesem Markt kein Vieh. Er waren einzig Stände, die sich in endloser Zahl aneinander zu reihen schienen. Auf ihnen lagen Pelze und edles Tuch, das ganz sicher aus fernen Landen gekommen war. Gefäße aus Ton wurden ebenso angeboten wie Vasen aus unbekanntem Material, die Johannes Brack als orientalisch bezeichnete. Der Duft feiner Gewürze schwebte zu den Reisenden herüber und vermengte sich mit der milden Brise, welche von der See herüberstrich.
Selbst Frauen besuchten den Markt und legten sich Schmuck um den Hals und die Armgelenke, betrachteten sie eingehend und ließen sich wohlwollend von den Händlern ihre Herkunft erzählen.
All die Stände waren so reich mit Ware bestückt, dass es Niels vorkam, als hätte sich das gesamte Begehren der Welt auf diesem Platz vereint, und selbst die Auslagetische bewunderte der junge Mann. Die Ablageflächen waren aus Holz gefertigt worden, die Böcke jedoch bestanden aus glänzendem Metall.
„Das ist Bronze“, erklärte Johannes Brack, der den Blick seines Sohnes bemerkte.
„Kann es das Gewicht darauf aushalten?“ fragte Niels.
„Die Böcke sind leicht auszuwechseln“, entgegnete der Vater. „Die Stadt ist stolz auf ihren Ruhm. Sie zieht viele Menschen an. Griechen, Slawen und Wenden leben hier. Auch Sachsen kannst du finden. Mag es auch nicht das Zentrum der Welt sein, so ist es zumindest der Mittelpunkt des westlichen Handels.

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Kommentare

08. Okt 2016

Dieser Text ist stark - und munter:
Er schwimmt oben! (Geht nicht unter ...)

LG Axel

08. Okt 2016

ganz anders wie die ganze Stadt,
sie hatte mein Geschreibsel satt.
LG Magnus

27. Mär 2017

Eine gar spannende Geschicht',
ich konnte fast sie lassen nicht.

Eine wirklich tolle Erzählung über längst vergangene Zeiten, die durch die Charaktere der Geschichte sehr lebendigen Bezug hin zum Heute bekommt..

LG Ekki

27. Mär 2017

Vielen Dank, Ekki, schön das sie Dir gefällt und sie lebendig geworden ist. Ich wollte lange schon eine Vineta Geschichte schreiben. LG Magnus

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