Stadt in Not - Page 8

Bild von Magnus Gosdek
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ein Zeichen?“ fragte Niels.
„Das ist Unfug“, entgegnete Johannes Brack. „Hier an der See entstehen öfter solche Luftspiegelungen, dass sie keine Bedeutung mehr haben. Doch dienen sie dazu, den tatenlosen Menschen Furcht einzuflößen. Lass uns lieber von etwas anderem sprechen. Wie du gesehen hast, liegt dein Oheim auf den Tod darnieder, dass er mich bat, die Geschäfte zu übernehmen.“
„So seid ihr miteinander übereingekommen?“ fragte Niels.
„Das nahende Ende verbindet das Blut. Rungbert gab mir ein Schreiben für den Rat, in dem er seine Taten gesteht und bereut. Dieses Schriftstück befindet sich bereits auf dem Weg zur Innung und wird sie von meiner Unschuld überzeugen, dass ich wieder als angesehener Händler aufgenommen.“
„Warum wollt ihr das tun? Ist es uns nicht gut gegangen auf all unseren Wegen?“ fragte Niels.
„Dieses Geschäft steht uns zu. Und blick dich um! Gefällt dir nicht, was du siehst?“ entgegnete der Vater
„Nur einen Handel, der uns auf ewig bindet.“
„Einen sehr lohnenden. Was flößt dir Angst ein, mein Sohn? Du wirst dich niemals wieder fragen, wo du des Nachts schlafen wirst und dein Magen wird das Gefühl des ewigen Verlangens vergessen. In Vineta wirst du ein angesehener Bürger sein, dass du dir mit der Zeit eine Frau suchen kannst. So sage mir, sind der Reichtum und ein Weib nicht verlockend genug, um sich auf Dauer niederzulassen?“
„Wohl sind es süße Gedanken, von denen ihr sprecht. Doch ist das Gold euch gar so viel wert, dass ihr nicht darauf verzichten könnt?“
„Verzichten? Du redest im Wahn. In all den Jahren träumte ich allein von diesem Ort, dass ich in die wunderbarste aller Städte zurückzukehren vermöchte. Du kennst dieses Leben nicht, zu lange streiften wir über die Straßen, in unstetem Bangen nach unserem Auskommen. Jeder Mensch gehört irgendwohin und unser Blut erwärmt sich in Vineta. Du wirst dich schnell daran gewöhnen und es wird nicht gar zu lange dauern, dass du es nicht mehr missen möchtest.“
„Das werde ich niemals!“ rief da der Sohn. „Ist unser Leben auch mühsam, so haben wir doch stets uns. Ich bitte euch, lasst uns aufbrechen! Noch in dieser Stunde. Die freie Luft der Wälder ruft uns erneut zurück in ihren Schoß!“
„Narr! Wer bist du, dass du solche Reden führst?“ brauste Johannes Brack auf. „Wir sind in die Heimat zurückgekehrt und du wirst einst unsere Tradition weiterführen. Die Mädchen Vinetas sind die schönsten im ganzen Land, dass du den Enkel zeugen wirst, der unserem Haus den Fortbestand sichert. Gefällt dir Semi etwa nicht?“
„Sie ist lieblich anzusehen“, sagte Niels. „Doch fühle ich nichts, was mir diese Gedanken bringen möchte.“
„Es wird schon, mein Sohn. Die Zeit mag entscheiden. Morgen gehen wir zur Innung und werden die Geschäfte regeln. Doch nun genug davon. Dort kommt die Speise. Lass uns den Tag frohsinnig beenden.“
Tatsächlich brachte Semi silberne Schüsseln herbei, die sie auf den Tisch stellte. Als sie den Raum verließ, griff Johannes Brack herzhaft zu. Er war heimgekehrt.

4

Am folgenden Morgen regnete es. In der Nacht hatten sich die Wolken über der See zugezogen und lagen nun wie eine riesige Pelzdecke über dem Wasser. Die Luft roch schwül und nach durchnässtem Seetang, dass Nils tief durchatmen musste, als er aufwachte.
Irgendjemand hatte die Fensterläden geöffnet, freilich blieb das Licht im Zimmer schemenhaft. Die dunkle Holzvertäfelung drückte auf sein Gemüt. Wie gerne wäre er irgendwo auf dem Land aufgewacht! Doch wie es schien, hatte der Vater andere Pläne.
Auch wenn Johannes Brack mit seinem Urteil, dass es sich bei der Luftspiegelung um Aberglauben handelte, recht haben konnte, kam sie Niels wieder in den Sinn. Sie mochte vielleicht nichts bedeuten, aber sie passte zu der seltsamen Atmosphäre, die Vineta umschloss. Für Niels war es kein Ort, in dem er dauerhaft leben wollte. Der Vater wollte nichts davon hören; mit der Zeit aber würde er den Sohn ziehen lassen müssen. Der Gedanke betrübte Niels, als es an der Tür klopfte.
„Euer Vater bittet euch, herunterzukommen“, rief eine Stimme, die ganz sicher Semi gehörte, durch das Holz hindurch.
„Ich komme sogleich“, entgegnete Niels. „Wie geht es dem Oheim?“
„Er liegt darnieder und regt sich nicht.“
„So werde ich ihn zuerst besuchen“, entschied der Jüngling.
„Euer Vater meint, ihr sollt sofort kommen. Der Innung gilt es, den Besuch abzustatten. Nurmi und ich werden uns um Herrn Rungbert kümmern“, widersprach Semi.
Niels kannte solche Eile von seinem Vater nicht. In all den Jahren waren es die Menschen gewesen, denen seine erste Sorge gegolten hatte. Die Aussicht auf Gold aber schien in Johannes eine Veränderung hervorgerufen zu haben.
„Sagt meinem Vater, dass ich nur kurz bei meinem Oheim hineinsehen werde“, blieb Niels fest.
„Ich werde es ihm ausrichten“, entgegnete Semi. Dann wurde es still.
Niels wusch sich in der zinkenen Schüssel und zog sich an. Als er die Tür zum Zimmer des Oheims öffnete, lag der Raum erneut in völliger Dunkelheit. Von dem ersten Besuch her wusste er, wo sich das Lager befand, und leise trat er näher heran. Mochte ein Körper darauf liegen, so regte er sich nicht. Es war auch kein Atmen, geschweige denn ein Röcheln zu vernehmen, und somit wurde es Niels unheimlich zumute.
Es war, als würden die Gespenster der Nacht diesen Raum nach wie vor bewohnen und all das Leben aus ihm heraus saugen. Dieser Mann, welcher vielleicht noch ein paar Stunden zu leben hatte, war einst ein mächtiger Händler der Stadt. Nun aber lag er in Dunkelheit und erkannte nicht einmal seinen Neffen. Was half ihm all sein Reichtum? Er war alleine, und der nächste Verwandte wartete darauf, die Geschäfte übernehmen zu können. Angeblich gab es in Vineta nur freie, glückliche Menschen. Doch waren sie nicht ihr Leben lang Sklaven? Hatte das Gold sie nicht in Fesseln geschlagen, deren sie sich nie wieder entledigen konnten? Niels schauderte bei dem Gedanken. Er war tatsächlich frei geboren und nichts konnte ihn daran hindern, es weiterhin zu sein.
Noch einmal linste er zu der Lagerstatt herüber; der Onkel aber war nicht zu erkennen. Die Finsternis trug ihn davon. Niels jedoch hatte sein Herz beruhigt, er wandte sich nun um und verließ den Raum.
In der Eingangshalle wartete Johannes Brack bereits auf ihn. Er hatte sich seiner alten Wanderkleider entledigt und trug mittlerweile feinsten Stoff

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Kommentare

08. Okt 2016

Dieser Text ist stark - und munter:
Er schwimmt oben! (Geht nicht unter ...)

LG Axel

08. Okt 2016

ganz anders wie die ganze Stadt,
sie hatte mein Geschreibsel satt.
LG Magnus

27. Mär 2017

Eine gar spannende Geschicht',
ich konnte fast sie lassen nicht.

Eine wirklich tolle Erzählung über längst vergangene Zeiten, die durch die Charaktere der Geschichte sehr lebendigen Bezug hin zum Heute bekommt..

LG Ekki

27. Mär 2017

Vielen Dank, Ekki, schön das sie Dir gefällt und sie lebendig geworden ist. Ich wollte lange schon eine Vineta Geschichte schreiben. LG Magnus

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