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die Seiten genau von 1 - 80 durchnummeriert sein. Die Eintragungen erfolgten nämlich aus unserer Schülersicht in der Reihenfolge vollkommen chaotisch aber immer auf genau spezifizierten Seiten. Erst nach Erlangung der Mittleren Reife erschloss sich der gesamte Sinn dieser Büchlein - sehr wertvolle, selbst geschriebene, prägnante Nachschlagewerke. Teile daraus haben mich bis zum Vordiplom an der RWTH Aachen getragen.
Nun begab es sich, dass ich nach gut einem Jahr eines dieser beiden Büchlein verloren hatte. Ich hatte Physik und Chemie bei Herrn Vychodil. Das geschah kurz vor irgendwelchen Ferien. Heulend habe ich das meiner Mutter gestanden - aber natürlich wusste sie sofort das perfekte Gegenmittel: "Ist doch ganz einfach. Du leihst dir von einem Klassenkameraden dieses Büchlein aus und schreibst es in den Freien neu." Bums - das hatte gesessen, denn ich hatte mir ja für die Ferien auch gar nichts Anderes vorgenommen. Also hat meine Mutter die Mutter meines Klassenkameraden angerufen und für mich verhandelt, was in etwa wie folgt ging. Sie flötete: "Ja und ganz sicher erhält Ihr Sohn das Büchlein vollkommen unversehrt pünktlich vor Schulbeginn auch wieder zurück...blah, blah." Ich also mit dem Fahrrad zu dem Klassenkameraden von Wersten nach Oberbilk gefahren und das Büchlein geholt. Muttern hat dann den Inhalt komplett gecheckt, ein neues, leeres Büchlein besorgt, das tägliche Ferien - Arbeitspensum festgelegt und strengstens überwacht. Zum Ferienende war alles perfekt fertig - ich auch. Am ersten Schultag hat dann der Klassenkamerad das Büchlein, wie versprochen, unversehrt zurück erhalten. JETZT kommt es. Erster Unterrichtstag nach den Ferien bei Herrn Vychodil: "Joooost, zeig mir dein Büchlein !!!" Ich meine bis heute mich an ein enorm breites Grinsen in seinem Gesicht zu erinnern. Ich war wie vom Schlag getroffen und habe völlig nervös in meinem Schultornister nach meinem neu geschriebenen Büchlein gesucht, es schließlich gefunden und Herrn Vychodil am ganzen Körper zitternd ausgehändigt. Er nahm das Büchlein schweigend zur Hand und blätterte eine ganze Weile darin rum. In seinem Gesicht machte sich langsam aber sicher enorm starkes Erstaunen breit. Dann sagte er mit strenger Stimme: "Die Eintragungen scheinen vollständig zu sein - alle Achtung. Woher hast du dieses Büchlein ?" Dann habe ich schluchzend vor der ganzen Klasse meine Geschichte erzählt. Mein Klassenkamerad hat auch auf prüfendes und bohrendes Nachfragen von Herrn Vychodil alles bestätigt. Dann zog Herr Vychodil aus seiner Kitteltasche ein weiteres Büchlein hervor, hielt es für alle sichtbar hoch und vorne drauf war in gestochen scharfer Blockschrift zu lesen: "Jost Becker". Er hielt dann mir das Büchlein hin sagte: "Schau mal, was ich gefunden habe." Es war mein "verlorenes" Büchlein. Herr Vychodil hatte es unmittelbar vor den Ferien persönlich gefunden. Die ganze Sache endete damit, dass er vor der ganzen Klasse zum Ausdruck brachte, dass er das niemals so erwartet hätte. Er war felsenfest davon überzeugt, dass, als ich in meinem Tornister wühlte, ich zum ersten Mal bemerken würde, dass das Büchlein weg war oder er nur Ausflüchte, Entschuldigungen, Unschuldsbekundungen oder Erklärungen über vergebliche Versuche das verlorene Büchlein wieder zu finden, etc. zu hören bekäme. Auf keinen Fall aber ein perfekt neu geschriebenes Büchlein. Da kann ich nur sagen: "Da kannte er aber meine Mutter nicht.".
Jost Becker
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Meine vier Beiträge zu unserer "einmaligen" Schülerzeitung ("Bierzeitung") zum Realschulabschluss 1960 füge ich an:
Die Vier-Dora
Vor vielen, vielen Tagen
hatte man 'ne Schnapsidee,
man schuf ohn' uns zu fragen
'ne Klasse, die 4D.
Uns war das am Anfang
natürlich gar nicht recht.
Doch ein Lehrerwort hat Klang,
wir spielen nur den Knecht.
Und bald war'n wir vereint,
wir Schüler aus drei Klassen,
Wir haben nicht geweint,
weil wir das Weinen hassen.
Die Lehrer waren stolz,
das hatten sie gut hingekriegt.
Sie strahlten wie der Bubi Scholz,
als gegen Müller er gesiegt.
Das Unterfangen schien zu glücken,
fast lohnte die Bemühung.
Doch leider zeigten sich auch Lücken
in unserer "Erziehung".
Zuerst natürlich war´s nicht arg,
das meiste blieb beim alten.
Kein Lehrer brauchte einen Sarg,
weil er's nicht ausgehalten.
Doch fast wär's so gekommen,
wir bauten tolle Sachen.
Die Lehrer wurden hochgenommen,
sie hatten nichts zu lachen:
Um nicht vor Langeweil´ zu sterben
hat Pesch sich etwas ausgedacht.
Er schlug ein Fenster ganz in Scherben,
hat er das nicht fein gemacht?
Dem Schrank ist auch mal was passiert,
denn plötzlich hatte er ein Loch.
Und alle, die es int'ressiert,
besehen es sich heute noch.
Auch 'ne Lampe ging mal drauf
bei 'ner wüsten Werferei.
Warum passte sie nicht auf,
als 'ne Tasche flog vorbei?!
Winter ist 'ne Jahreszeit,
die uns allen Freude macht,
denn immer wieder wenn es schneit,
machen wir 'ne Schneeballschlacht.
Es war Winter, es schneite schön.
Wir schimpften: Was ist das für ein Quatsch,
wir müssen in die Schule gehn,
und der Schnee, der wird zu Matsch.
Da hatten einer d i e Idee:
"Kameraden, hört mal her!
Auf dem *Balkon, da liegt ja Schnee,
was wollen wir noch mehr?"
"Na klar, das wäre ja gelacht",
schrie da die ganze Klasse.
"Wir machen doch 'ne Schneeballschlacht
und zwar in unsrer Klasse!"
Wir sprangen schnell auf den Balkon
und machten munter Bälle.
Der Kleinste spielte den Spion:
das war für alle Fälle...
Dann ging das Spielchen auch schon los,
Mensch, war das ein Spaß.
Die Freude, die war riesengroß,
die Klasse, die war nass.
So trieben wir in diesen Wochen,
wenn es auch anders ausgeseh´n,
die Langeweil' uns aus den Knochen.
War es so schwer, dieses Vergehn?
Trotzdem, wir wurden unbeliebt,
man kann es fast verstehen.
Es hieß: Wir werden bald gesiebt.
Das ist dann auch geschehen.
Vor einem knappen Jahr,
wie wir ja alle wissen:
wer nicht gut angesehen war,
wurd´ höflich rausgeschmissen.
In unserer Klasse Nummer elf
herrscht heute kein Gedränge.
Wir sind nur viere mehr als zwölf
- man trieb uns in die Enge.
* Der "Balkon" war fast genauso groß wie das Klassenzimmer. Es war das Dach eines Raumes, in dem die Utensilien für den Physikunterricht lagerten. Durch die Fenster gelangten wir auf das platte Dach.
© Willi Grigor, 1959
Theodor Vychodil
Klassenlehrer
Ja, unser Lehrer, der hat's gut!
Von uns hat keiner mehr den Mut,
mal aufzusteh´n und laut zu schrei´n:
"Wir machen keine Schulaufgaben,
wir wollen freie Menschen sein!"
Und würd' es trotzdem einer wagen,
der bleibt für 20 Jahre lieb.
So'n Lehrer, sag ich, der kann schlagen,
und ist er auch kein Schlägertyp.
Unser Lehrer ist ein Sportler,
bis jetzt zwar kein Weltrekordler
wie zum Beispiel dieser Lauer.
Doch eines er vortrefflich kann:
seine Klasse macht er sauer
bis zum allerletzten Mann.
Fürwahr, beim Turnen geht es her,
wie heute bei der Bundeswehr,
wir gehen runter, springen rauf
in nie gekannten Rhythmen.
Und sagt dann einer:"Ich geb's auf!",
heißt's: "Zwanzig Logarithmen"!
Beim Schwimmen ist es stets das gleiche,
er schimpft: "Ihr schwimmt ja wie die Scheiche!"
Es ist für uns die Höllenqual,
und es wird immer schlimmer.
"Die Arie schreibt ihr 50 mal"
heisst es zum Schluss dann immer.
Physik, Chemie, das sind natürlich
die allerschlimmsten Stunden.
Wir sind dann immer ganz manierlich
und zählen die Sekunden.
Und kommt dann plötzlich einer dran,
dann wird die Sache ernst.
Er schaut den Pauker hilflos an,
der sagt: "Dass du was lernst,
schreibst du den Satz gleich 10 mal ab."
Fürwahr, er hält uns schön in Trab.
© Willi Grigor,1960
Der Streuer*
(Deutschlehrer Werner Reiring?)
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so lustig bin.
Ein Märchen aus alten Zeiten,
das geht mir nicht aus dem Sinn.
Es war in Mainerzhagen
bei einer Schlittenfahrt.
Da war ein Herr mit Kragen
und glattrasiertem Bart.
Sein Schlips, die Bügelfalten
der Hose waren neu.
Man sah ihn an, den Alten,
ganz frech und ohne Scheu.
Man sah ihn an und lachte,
war das 'ne ulkige Figur
und ich persönlich dachte:
„Hat der doch Frohnatur.“
Sein Lackschuh hell erstrahlte
im prallen Sonnenschein.
Der Knabe auch noch prahlte
und dacht': „Wat bin ick fein!“
Ich dacht' er macht sich dünn,
doch plötzlich wurd' er munter
und sagt: „Wenn ich schon hier bin,
dann fahr' ich auch hinunter.“
Er fuhr dann auch alleine
den ganzen Berg hinab.
Doch leider stieg der Kleine
nicht nach der Regel wieder ab.
Er kam ganz schwer ins Schwanken,
und plötzlich war er weg.
Doch macht euch kein' Gedanken,
er lag ja nur in Dreck.
Er lag, der mut' ge Recke,
er war ganz schön geflogen.
Ich mein', zu diesem Zwecke
hätt ich mich umgezogen.
* Angeber
© Willi Grigor,1960
Die Hüte
(Deutschlehrer Werner Reiring)
Am letzten Tag vor Karneval
setzten wir 'nen Hut uns auf.
Obwohl im Jahr das einz´ge Mal,
der Werner nahm das nicht in Kauf.
In der Pause sah er das,
dieser kleine Mann.
Wahrscheinlich kennt er keinen Spaß,
sonst hätt' er's nicht getan.
Er hat den Boss dann gleich verständigt,
die Aufregung war riesengroß.
Und noch eh' die Pause geendigt,
waren wir die Hüte los!
Ein Schnitzer musste ihm passieren,
und den kann ich nicht versteh'n:
Um sich die Hüte zu kassieren,
musst' er zum Direktor geh´n!
Dieser Lehrer, muss ich sagen,
war gewiss ganz ungerecht,
denn er pflegt 'nen Hut zu tragen,
der bestimmt ist faschingsecht!
Seine Form, sie ähnelt einem Topfe,
zu definieren ist sie schwer.
Und sitzt er richtig auf dem Kopfe,
so sieht man keine Ohren mehr.
Das Eine kann ich nicht versteh´n,
doch leider ist es wahr:
ER darf damit zur Schule geh' n,
und noch dazu das ganze Jahr.
Wir bekamen ihn gleich abgenommen,
und 'ne Strafe obendrein,
Das Ganze scheint etwas verschwommen,
ich komm nicht mit, mit dem Verein.
Die Strafe war 'ne Schreibarbeit,
sie war die allergrößte Qual.
Wir schrieben - um uns Heiterkeit,
denn es war ja Karneval!
Sind die Lehrer noch gescheit,
muss ein jeder Mensch sich fragen.
Da geben die 'ne Strafarbeit,
nur weil man 'nen Hut getragen!
© Willi Grigor,1960
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© Willi Grigor, Januar 2017
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Kommentare
Wunderbar! Vor allem auch dein Begleittext.
Liebe Grüße Lisi
Solch Fahrt in die Vergangenheit
Sicherlich kein Leser scheut!
LG Axel
Auch deine Worte mich erfreuen!
Herzliche Grüße
Willi
Schöne Kommentare von euch beiden, danke.
LG
Willi
Lieber Willi,
ich las gerade Deine Zeilen und musste schmunzeln :)
Wie's aussieht, wart Ihr ein lustiger Haufen, der es den Lehrern nicht leicht gemacht hat.
Schöne Erinnerungen hast Du da, in die ich gerne hineintauchte, um festzustellen, dass wir nicht anders waren, als Ihr (geboren 1969).
Sie ist schön, die Jugend, lieber Willi. Nie wieder erlebte ich Gefühle so intensiv, wie in der Jugendzeit, vor allem die erste Liebe. Auch ich denke gerne zurück und frage mich, was aus den Mitstreitern wohl geworden ist.
Liebe Grüße
Ella
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