Gefährlicher Sommer; Teil 20

Bild von Annelie Kelch
Bibliothek

Seiten

Holunder überschwemmte den Garten
Holunder grün grün
Grüner als Schimmel auf der Regentonne
Grün, das heißt, es wird Bläue sein
Einen Sommer bis an den Abend aller Tage
Grüner als meine Augen, Holunder
(Marina Zwetajewa; „Holunder“ aus „Vogelbeerbaum“, Gedichte)

Knut (Teil 20)

Endlich Mittwoch! – Heute Abend kommt Hannes zurück, dachte ich gleich nach dem Aufwachen und war bereits mächtig gespannt darauf, was er in Lübeck herausgefunden und erlebt hatte. Nur einen kurzen Moment lang währte dieses Glücksgefühl, dann lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, der mich schwach und elend zurückließ – nachdem mir nämlich bewusst wurde, dass Helge offensichtlich zur gleichen Zeit wie Hannes nach Lübeck aufgebrochen war, wenngleich nicht per Rad, so doch hoch zu Ross ... dass die gute Tante Selma im Krankenhaus lag, woran Hannes und ich vermutlich nicht unschuldig waren und dass „Macheath“, mein Hannes, deswegen auf den Gedanken kommen könnte, dem Täter, also Helge, denn wer sonst käme für diese abscheuliche Tat in Frage, den Hals umzudrehen. Und das musste ich unter allen Umständen verhindern.
Als ich eine halbe Stunde später auf dem Korridor stand und meine Zimmertür abschließen wollte, drang aus der Gutsküche eine unbekannte Männerstimme zu mir empor. Herr Fuchs? – Nein! Der Kriminalhauptkommissar aus Lübeck sprach bedeutend leiser und akzentuierter. – Irgendein anderer Kriminaler? War Herrn Fuchs etwas zugestoßen? Hatte Helge ihn kurzerhand aus dem Weg geräumt, oder hatte der Kriminale den Fall an einen Kollegen abgegeben? War er gar dazu gezwungen worden?
Klopfenden Herzens begab ich mich ins Herrenzimmer, ohne auch nur einen winzigen Blick in die Küche geworfen zu haben.
„Katja!?“ – Die Gnädigste kam aus der Küche hinter mir hergelaufen und mir stockte aus unerfindlichen Gründen der Atem. Ich blieb wie angewurzelt neben dem Kamin stehen und drehte langsam meinen Kopf zur Seite.
„Komm doch bitte mal kurz zu uns herein. Ich möchte dich mit Herrn Ecker bekannt machen.“ – Während ich nach Frau Brandner die Küche betreten hatte, erhob sich ein hünenhafter, breitschultriger Mann im graukarierten Sommerhemd vom Küchentisch. Seine Wangen waren stark gerötet und sein dicker Schmerbauch hing weit über den ins Fleisch kneifenden Hosenbund herab und schaffte eine wohltuende Distanz zu mir. Leni klapperte wie absichtlich laut mit dem guten Essgeschirr und drehte uns demonstrativ ihren Rücken zu. Ich gab der Gnädigsten erst mal in aller Seelenruhe die Hand und wünschte ihr einen guten Morgen, drückte der guten Leni einen Kuss auf die faltige linke Wange und wandte mich absichtlich langsam diesem dicken Herrn Ecker zu. Meine Hand zitterte ein wenig, da sie zu Recht befürchten musste, von seiner riesigen Pranke zerquetscht zu werden.
„Ich heiße Katja Kleve und bin die Enkelin von Edmund und Anita Franzen“, kam ich der Gnädigsten in die Quere, die mich diesem Herrn Ecker, wer dieser saudicke Kerl auch immer sein mochte, gerade vorstellen wollte. Mein Blick schweifte kurz zu Leni hinüber, auf deren Gesicht sich ein zufriedenes Grinsen gemütlich machte.
„Ja“, fiel Frau Brandner schnell ein, „und das, Katja, ist unser guter Herr Ecker aus Sickum, der ab heute einspringen wird, sobald auf Hof Lachau Not am Mann ist. Kein Wunder, bei diesem üppigen Frühstück, dachte ich und betrachtete den reichlich gedeckten Tisch, der schier überquoll von leckeren Speisen.
„Helge ist nämlich schon unterwegs nach Kiel. Er hat wichtige Vorlesungen, die er unter gar keinen Umständen versäumen darf“, fuhr Frau Brandner fort. Ich schloss einen Moment lang die Augen und atmete tief durch.
Es gibt also doch einen Gott, fiel mir bei der Erklärung der Gnädigsten wieder mal ein, und hielt es für so gut wie ausgeschlossen, dass sich Hannes nach Kiel begeben würde, um Helge aufzufordern, sich mit ihm zu duellieren oder ihm kurzerhand den Hals umzudrehen. Und fast gleichzeitig schoss mir in den Sinn, dass die Luft auf Hof Lachau dem guten Helge vermutlich zu heiß geworden war. Hannes und ich hatten ihm mit dem Erpresserbrief anscheinend mächtig Feuer unter dem Hintern gemacht, und der clevere Herr Fuchs gab ihm mit seinen messerscharfen Fragen wahrscheinlich den Rest. – Aber wohin, um alles in der Welt, schicken wir jetzt einen zweiten Erpresserbrief, sofern ein solcher noch nötig wäre?, kam mir gleichzeitig in den Sinn, allerliebste Christine.
Ich strahlte Herrn Ecker sekundenlang an, der sich vermutlich fragte, womit er diese Güte verdient hatte, denn er kratzte sich verlegen hinter dem rechten Ohr und ließ sich wieder auf den Küchenstuhl sinken, der unter seinem Gewicht ächzend protestierte, um sich dem hervorragenden Räucherschinken zu widmen, den Leni zur Feier des Tages (welche Feier denn eigentlich?) aufgetischt hatte. Ich wünschte den Herrschaften einen herrlichen Tag, bevor ich die Küche eilig verließ, um der gestrengen Oma ausnahmsweise pünktlich unter die Argusaugen zu treten.
Frau Brandner ließ es sich nicht nehmen, mir mit auf den Weg zu geben, dass ja heute „unser aller“ Hannes zurückkäme, womit die Lachauer Clique wieder vollzählig sei. – Clique, dachte ich mit urplötzlich auftretender wüstenklimatischer Trockenheit im Mund und spürte, dass sich ein Gemisch aus Bitterkeit und Sarkasmus auf meiner Zunge zusammenbraute und wie Pfeffer zu brennen begann.
Zwischenzeitlich hatten sich Hannes und ich zu einem professionellen Ermittlerteam zusammengerauft, ja, wir hatten uns sozusagen zu einem routinierten Polizei-Sonderkommando in der Mordsache „Knut Knudsen“ entwickelt und uns durch akribische Kleinstarbeit und äußerst gefahrvolle Einsätze emporgearbeitet, während Kora und Konny, sofern man Koras Worten Glauben schenken durfte, „über Nacht gereift und den Kinderschuhen endgültig entwachsen waren“. – Pathetischer ging es nicht!

„Heute Abend kommt unser Hannes wieder“, nuschelte Opa, der anscheinend wieder mal sein Gebiss verlegt hatte, als wir endlich alle am Frühstückstisch saßen. Nun war es allmählich gut. Nun war ich über Hannes bevorstehende Ankunft wirklich bestens informiert.
„Katja ...“, begann Oma mit einem Mal feierlich und mit sanfter Stimme, nachdem ich das Rotwein-Zuckerei in vollen Zügen genossen und sich in meinem Magen ein wohliges Gefühl ausgebreitet hatte, und mir schwante sogleich Fürchterliches.
„Ich möchte dir ein schönes Kleid nähen. Leni und ich haben bei unserem letzten Einkaufsbummel in Lübeck herrliche Stoffe aufgegabelt. Du darfst dir einen aussuchen.“ Oma blickte mit glänzenden Augen in die Runde und Muttis Gesichtsausdruck empfahl mir dringend, dass ich mich zu freuen hätte.
„Ach, Omi“, sagte ich

Seiten

Interne Verweise

Kommentare

16. Okt 2017

Sogar beim Ausmisten - im Hühnerstall:
Humor und Spannung birgt DER Fall!

LG Axel

16. Okt 2017

Dank, Axel, dir, für deinen Kommentar:
So mancher "Mist" vergnüglich ist,
wenn man nicht allzu prüde ist.

LG Annelie

17. Okt 2017

Auch Teil 20 deines zukünftigen Thrillers habe ich gespannt gelesen - und bin wiederum entzückt von der Collage, zweimal Annelie, und der Kater sieht genau aus wie mein verstorbener.

Liebe Grüße - Marie

17. Okt 2017

Liebe Marie, tausend Dank für deinen lieben Kommentar - und es freut mich sehr, dass ich bei pixabay ganz offensichtlich dem "richtigen" Kater den Vorzug gegeben habe. Ich schaue ihn mir gleich noch einmal ganz genau an.

Liebe Grüße,
Annelie

17. Okt 2017

Mein Gang durch die Zeilen trifft auf eine lebendige, phantasievolle und detaillierte Schreibart. Ein Lob der Schriftstellerin, die uns hier mit ihrer 'vermeintlich' leichten Feder ein Universum präsentiert. Auch die Collagen fügen sich harmonisch ein. Glückwunsch an Dich, liebe Annelie!

LG Monika

17. Okt 2017

Danke, liebe Monika, für dein tolles Lob, das mich ganz enorm anspornt. Ich werde mir Mühe geben, diese "leichte" Feder bis zum teils bitteren, teils wehmütig heiteren Schluss aufrecht zu erhalten.

Liebe Grüße zu dir und Khalessi in den Ruhrpott,
Annelie

Seiten