Städte ohne Namen

Bild von Willi Grigor
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Für die meisten wäre dieser Gedanke gar nicht vorstellbar.
Städte ohne Namen sind doch unsichtbar,
ohne Bedeutung, ohne Bestimmung.

Mir haben sich Städte, Dörfer, Orte eingeprägt,
deren Namen ich vergessen könnte,
nicht aber deren Ausstrahlung und Persönlichkeit.

Ich glaube:
Es gibt Städte, Orte, die keinen Namen bräuchten;
die Besucher fänden dennoch zu ihnen hin.
Es sind die Menschen, die dort leben,
die Bauten, die dort stehen,
die Enge, die nicht bedrückt,
die unbebauten Flächen,
das fließende und das stehende Wasser,
die dem Besucher einen unauslöschbaren
Eindruck hinterlassen -
das nicht erklärbare Gefühl
des Willkommenseins.

Einige Beispiele von Städten/Orten, für die ich deren Namen nicht benötige, um sie mir in die Erinnerung zurückzurufen, die ich mit geschlossenen Augen vor mir sehe, durch ihre Straßen gehe und ihre Geräusche höre:

Segringen - Hamburg - Ravensburg

Noch dies, vor allen Dingen:
ein Lied möcht ich ihm singen
dem Bauerndorf Segringen.

Das Dorf, gleich nach dem Kriege,
war meiner Kindheit Wiege.
Es hatte Menschen, die mir gaben,
was Kinder gerne haben.
Sie gaben Freiheit mir auf Wiesen
und Tannenbäumen, Riesen.
Sie gaben Arbeit mir und Essen -
nie werd ich dies vergessen.

Vom Bauerndorf Segringen
- von dir vor allen Dingen -
will träumen ich und singen.

*
Mein Hamburg hat mich in die Welt eingeführt,
dorthin wo das Leben pulsiert.
In Hamburg erst hab ich das Leben gespürt,
vor dem ich mich bisher geziert.

Mein Hamburg hat mir das Rauchen verboten,
ich habe es niemals bereut.
Doch Hamburg hat mir viel andres geboten,
das mich und mein Herz hat erfreut.

Mein Hamburg erst hat mich zum Manne gemacht,
mir gerne gezeigt, was es hat.
Ich lernte es lieben bei Tag und bei Nacht,
hab Dank, meine lehrreiche Stadt.

Mein Hamburg am Ende Gewissheit mir gab:
"Wohin dich das Leben auch schickt,
belohnt wird auch der mit dem Holzwanderstab,
wenn froh er vom Lebensbaum pflückt."

*
Weißt du noch, damals,
in Ravensburg,
als das Schicksal uns führte
auf verschiedenen Wegen
in diese ländliche Stadt,
umgeben von Wiesen
voll blühender Blumen,
uns unmerklich zeigte,
wie man geht Hand in Hand,
uns zu verstehen gab:
"Nur für innig sich Liebende
tragen die duftenden Wiesen
einer ländlichen Stadt
ihre blühende Pracht."

Seitdem trägt unser Leben
eine Maiblumen-Tracht,
will das Auge, das weint,
dass das andere lacht,
wurden wir beide älter,
doch die Gefühle von damals
sind wie die Blumen der Wiesen
jener ländlichen Stadt.
Jeden Mai kommen sie wieder.

***

Åmål - Bengtsheden - Östhammar (Schweden)

Åmål i mitt hjärta,
staden med charm, det är du.
Född där en å möter Vänern,
du blomstrar sen dess - tills nu.

Jag såg dig, och visste: Här vill jag
leva och åldras en gång.
När tillfället kom jag "Ja" sa
till staden med glädje och sång.

Men vandrade runt först på jorden,
dock aldrig jag glömde dig bort.
Snart styrde jag kosan till norden
och gjorde processen rätt kort.

I Åmål där finns nu min stuga,
och frugan min håller jag kär.
Vi tackar och bockar och buga',
att ödet vill ha oss just här.

Åmål du är framför andra
den småstad som nästan har allt.
Nu går jag hos dig runt och vandra'
vid solsken och när det är kallt.

Jag vandrar på välkända gator
och hamnar i Näsvikens hamn,
men slipper de näsvisa skator
först inne i Nässkogens famn.

Och när sista dagen ska komma,
då vill jag gå upp på en scen,
- tillsammans med andra, mer fromma -
väl gömd i en lund vid en sten.

*
Så kom jag till sist till Bengtsheden,
långbyn intill Liljans strand.
Där kom den, trots allt, till mig: freden,
i Dalarnas sjörika land.

Där tar jag tillvara på stunden,
den korta som ännu finns kvar.
Jag känner mig lycklig i grunden,
men har mina osunda dar.

Bengtsheden, jag har dig att tacka,
jag tror att jag hittade rätt.
Och kommer nog inte att backa,
det finns inget skäl till reträtt.

Din blyghet, din lugnande stillhet
ser till att mitt sinne får ro.
Mitt i denna okända skönhet
vill hela mig leva och bo.

***

Canberra - Sugarloaf Mountain - Melbourne (Australien)

Es war eine Reise, ein weilendes Schauen,
die Busfahrt durch Buschland und Trockengras ging.
Wir schwebten, begleitet vom Himmel, dem blauen,
am wartenden Ziel uns die Hauptstadt empfing.

Canberra, dich bauten schwer schuftende Kerle,
da Kriege der Welt brachten Feindschaft und Zwist.
Dir geht es so wie in der Auster der Perle:
Es gibt dich, doch kaum jemand sieht, wie du bist.

Du lebst nicht am Strand deiner glitzernden Meere,
du glänzt nicht wie Melbourne und Sydney bei Nacht.
Du hast nicht das Leichte, die freundliche Leere,
du trägst stolz dein Bündel: Die Bürde der Macht.

Ich glaubte es nicht, dass wir jemals uns sehen,
für Kleine ist vieles ein bisschen zu groß.
Dass Kleines wird Großes, ist oft schon geschehen,
das Große war klein im gebärenden Schoß.
*
Sugarloaf Mountain,

Ein seit Millionen Jahren erloschener Vulkan,
ein Haus, eine Rinderherde und wir.

Dies war nicht im Outback,
in dem ich mal war,
doch war's weit vom Meer weg,
wo Wege sind rar,
wo hörbare Stille
sanft schmeichelt das Ohr,
australische Grillen
nachts singen im Chor.

Wo Gräser schnell grün sind,
wenn Regen mal fällt,
ein halbwildes Jungrind
sich zu dir gesellt,
wo Zuckerhutberge
im Hochflachland stehn
und andere Zwerge,
die nie du gesehn.

Wo Menschen du findest
nur wenn du sie suchst,
wo Spinnen zumindest
im Geist du verfluchst,
wo draußen, im Dunkeln,
du siehst Helles nicht,
nur himmlisches Funkeln:
das ewige Licht.
*
Huldigung an eine seriöse Stadt

Melbourne ist die Nummer zwei
von den Städten in Australien.
Doch wird sie leicht die Nummer eins
für den, der länger bei ihr weilt.

Melbourne hat nicht dieses Leichte,
nicht die Strände, die man braucht,
nicht das Tun gewisser Reichen,
das in die Schnelllebigkeit taucht.

Melbourne steht für das Seriöse,
hat das "Vornehme" im Griff.
Melbourne mag nicht das Getöse,
will nicht Jacht sein, sondern Schiff.

Melbourne ist - wer will, der staune -
die Stadt für jeden Alterskreis,
liebt Sport, Kultur und: gute Laune.
Wer bei ihr war, dies alles weiß.

***

Singapur - Auckland - Wellington (Singapur, Neuseeland)

Sie hat viel die feine Stadt,
Singapur,
von allem nur das Beste.
Es ist eine reine Stadt,
das lieben ihre Gäste.
Ein Inselstaat, ein reiches Land,
einst britischer Besitz.
Sein demokratisches Gewand:
Für viele nur ein Witz.
Dies kleine Land, ich mag es:
Die milde Freude ihrer Nacht,
in der warmen Luft des Tages
das Bestaunen ihrer Pracht.
Meist junge Leute sieht man hier,
gut gekleidet und gelaunt.
Selbst ist man alt und trinkt sein Bier,
beobachtet und staunt.
Schattenseiten, ganz offenbar,
hat sie wie wir, nicht nur Licht.
Doch diese sind fast unsichtbar,
wir Kurzzeitgäste sehn sie nicht.
Ich fühl mich wohl, wie in der Kur,
bei dir und der Äquatorwärme.
Du, Löwenstadt = Singapur,
von dir ich freudig schwärme.
*
Ich glaubte nie, dass wir uns fänden,
Neuseeland,
der Gedanke kam mir abhanden.
Es lag an kleinen Glücksumständen,
dass wir uns schließlich dennoch fanden.

Du bist ein Land und zweigeteilt,
es gibt ein Hüben und ein Drüben.
Im Norden ist dein Oberteil,
der Rest doch mehr im Süden.

Ganz im Norden liegt deine Großstadt,
in ihr der Himmelsturm "Sky Tower".
Von diesem stürzt man - wenn man Mut hat -
sich mit Schreck- und Freudenschauer.

Die Fahrt nach Süden lässt erahnen
deine frische, grüne Mildheit.
Den nicht erloschenen Vulkanen
verdankst du deine Wildheit.

"Windy Welly", die kleine Hauptstadt,
liegt an der Sraße des Herrn Cook.
Wenn man drei Tage für sie Zeit hat,
lernt man sie lieben, sie ist schmuck.

Das Kreuz des Südens ständig funkelt,
am Tag auf deiner Landesfahne,
nachts am Himmel, wenn es dunkelt.
Ein Lichtsymbol, ich es erahne.

Dein so famoses Unterteil,
auf der andren Straßenseite,
wird jenen Wanderern zuteil,
die lieben straßenlose Weite.

Du schönes, stilles Musterland,
du bist umschwärmt und wohlbekannt.
Und deine isolierte Lage
beschützt dich vor der Schönen Plage:
Massentourismus-Invasion.
Die willst du nicht, gar keine Frage.
Für dich allein das Wort ist Hohn.

Großstadt - Auckland, größte Stadt in Neuseeland
Windy Welly - Wellington, Hauptstadt

© Willi Grigor, 2019

"Meine" Städte, Orte in denen ich mich zu Hause fühle, sobald ich an sie denke:
literatpro.de/gedicht/021017/spur-in-einem-wanderherz

Kommentare

22. Jan 2020

Dank für die kleine, feine Reise:
Wer lernen will, wird leicht - gar weise!
(Wohin ICH geh, scheint einerlei:
Frau Krause ist immer dabei ...)

LG Axel

22. Jan 2020

Bei mir ist es umgekehrt:
Ich bin nie weit von meiner Frau entfernt.

LG
Willi