Gedanken, Gedichte im ersten Corona-Halbjahr

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Vorwort

Eintagswesen!
Was ist unser Sein? Was unser Nichtsein?
Ein Traumschatten ist der Mensch.
Doch fällt ein Strahl von gottgesandtem Glanz auf unseren Weg,
dann wandern wir im erklärten Licht
und entzückend wird das Leben.

So schrieb der antike Dichter Pindar (ca. 518 - 438 v. Chr.) in der 8. pythischen Ode, und diese wenigen Zeilen vermitteln einen gediegenen Inhalt.

In der Zeit von Anfang des Jahres bis August 2020, da ich (Bengt Berg) diese Zeilen schrieb, wurden das Leben, das Dasein und die Gedanken stark geprägt von Covid-19, das das Leben und die Wirtschaft auf der ganzen Erde lähmte - und weiter lähmt.
Das Buch Tag für Tag handelt nicht in erster Linie um dieses Virus, sondern ist eine rhapsodische Sammlung Texte, entstanden in der Zeit, da ein anderes Wort, Quarantäne, ein Begriff wurde, an den sich viele anpassen mussten.

Was ist unser Sein? Was ist unser Nichtsein?, fragt sich der griechische Dichter rund 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Diese fundamental einfachen und gleichzeitig schwindelerregenden Fragen haben sich sicher viele von uns gestellt in der Prüfungszeit, die die Pandemie mit sich brachte. Die Tatsache, dass wir alle einmal dahingehen, hat plötzlich eine neue, kollektive Deadline erhalten, aber ohne Adressat. Für jeden kann es jederzeit vorbei sein: Ein Traumschatten ist der Mensch. Das hört sich an wie eine bequeme Zielsetzung, wunderbar anspruchslos .

Ich glaube, dass der Glanz, der unseren Wanderpfad beleuchtet, nicht unbedingt gottgesandt sein muss. Es kann so sein, ist aber nicht allen bewusst. Was den Sinn des Lebens, unsere kurze Zeit hier auf der Erde betrifft: jeder sollte selbst entscheiden, aus welcher Quelle man seine Lebensenergie schöpft.

Das Buch trägt den Titel Tag für Tag, da die Texte - ohne Verbindung untereinander - Tag für Tag entstanden sind, in einer beschwerlichen Zeit, die die Coronapandemie mit sich brachte.
Es war nicht meine Ambition, ein Buch zu schreiben über die Zustände, die die Pandemie mit sich führte. Ich wollte eher das "Zeitvakuum" benutzen für das, was die Tage ergeben. Für mich war das Schreiben eine Art "Spiel mit der Freiheit" in meiner eigenen Sprache, indem ich versuchte, die Flucht meiner Gedanken über große und kleine Themen zu folgen.

Tag für Tag - Texte aus einer besonderen Zeit. Einer unterscheidenden Zeit, in der wir lernten, dass Respekt Abstand und Distanz bedeutet. Während wir die neuen sozialen Codes lernten, verstärkte sich unser Sehnen nach Nähe und Kontakt mehr und mehr. Wir brauchen einander! Einsam sein macht nicht stark, nun gilt es, aushalten zu können. Wir haben unsere persönlichen Quarantänen in verschiedener Weise eingerichtet mit dem Ziel, uns und einander zu schützen. Dabei haben wir uns immer wieder die Frage gestellt: Wann ist es vorbei, wann dürfen wir wieder raus?

Für mich war das weltumspannende Internet eines von mehreren Fenstern. Ein zweites sind die Bücher in den Regalen, geduldig darauf wartend, gelesen zu werden. Und ein drittes Fenster ist das, durch das ich schaue und meinen Blick mit dem Licht des Tages, der Jahreszeiten Veränderlichkeit und die Veränderungen des Wetters zusammentreffen lasse. Ein viertes öffnet sich und lässt mich hinein in die wimmelnde Wirklichkeit und dem tröstlichen Schaffen der Natur. Sie umschließt das grüne Haus, in dem ich wohne und lebe.

Die Natur erbietet einen Trost bringenden Hintergrund, wenn die Nachrichten sich meist um eine Panik dreht, die sich verbreitet, wenn der unsichtbare Feind unser Leben bedroht. Während dieser Wochen, da der Frühling die Macht übernahm, ist das Leben trotz allem weitergegangen - und gestorben. Einige gute Freunde haben uns verlassen. Die Stimmen dieser Poeten sind verstummt, aber ihre Gedichte leben weiter, im Gedächtnis und den Büchern.

Während der Rotklee ausblühte, schlugen die Glockenblumen längs dem Wegrand aus. Bei einem meiner vielen Spaziergängen höre ich im Kopfhörer aus einer der Grabkammern im Nidarosdom in Trondheim Stefan Sundström singen: "Alle werden wir zu Erde ..."
Aber bis dahin gehen wir weiter eine Weile, durch die Tage, die uns noch gegeben sind auf dieser Erde.

(Der Nidarosdom in Trondheim gehört zu den bedeutendsten Kirchen in Norwegen.
Stefan Sundström ist ein schwedischer Musiker, Liedermacher und Schauspieler.)

***
Corona 2020 - Gedanken, Gedichte

Eine Armlänge Abstand

Die Tage vergehen und wir gehen mit. In dieser schicksalsschweren Zeit mit dem Coronavirus und einer weltumspannenden Pandemie hat in gewisser Weise das normale Zeitmaß aufgehört. Wir werden ermahnt, mindestens eine Armlänge Abstand zu halten, und am besten Zuhause zu bleiben, wir, die zur Gruppe 70+ gehören. Aber ausnahmsweise ist es ein Privilegium, in einem dünn besiedelten Gebiet zu wohnen. Jemanden beim Morgenspaziergang zu treffen ist kein großes Risiko, und da der Wangenkuss in unserer Gegend nie epidemisch wurde, ist es kein Problem, sollte man tatsächlich einen Zweibeiner treffen. Da sind es eher die Vierbeinigen, die die Lebensstatistik aufrechterhalten - hier bellt es in verschiedenen Tonarten, und oft im Leerlauf.
Es ist schon lange her, dass die Namen der Tage für mich eine Bedeutung hatten. Zu der Zeit ging ich in die Schule, studierte in Uppsala oder arbeitete als Lehrer und ersehnte das Wochenende. Wohnt man auf dem Land und ist ein freier Mann, bedeutet ein neuer Tag, dass man aufsteht, sich die Zähne putzt, Kaffee trinkt, die Zeitung liest, im Sessel sitzt, Radio hört. Unabhängig vom Wochentag. Mit den Jahreszeiten ist es anders - und das Licht kommt von draußen.
Hunde und Isolierung. Dabei denke ich an die Hündin Laika, die als erstes lebendes Wesen 1957 mit Sputnik 2 um die Erde kreiste. Sie muss sich einsam gefühlt haben, die kleine Laika. Von dieser Zeit habe ich im Gedächtnis, wie die praktisch veranlagte Alltagsphilosophen das Wetter analysierten (das früher immer besser war) und trocken konstatierten: Das liegt an den Sputniks. Es fliegt zuviel Schrott durch den Raum.

Als der Flugplatz in Torsby fertig war, wurde er am 7. März 1964 vom russischen Kosmonaut Valerij Bykovskij zusammen mit dem schwedischen Flugpionär Albin Ahrenberg eingeweiht. Ein großer Teil der Grundfläche, auf der die Landebahn gebaut wurde, hat meinem Onkel Axel gehört. Er hatte seinen Bauernhof auf der anderen Seite des Dorfweges.
Als ich 1986 das sowjetische Kosmonautenmuseum in Moskau besuchte, erkannte ich direkt Valerijs schmale Gesicht. Er hing im strahlenden Licht unter dem Dachfirst, zusammen mit Jurij Gagarin und den anderen russischen Helden der damaligen Zeit.

Der Stern

Dieser einsam leuchtende

Übersetzung aus dem Schwedischen: © Willi Grigor, 2021
© Bengt Berg, 2020

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Interne Verweise

Kommentare

21. Jun 2021

Deine Gedichte und alles, was Du schreibst - werde ich mit am meisten vermissen. Wo stellst Du zukünfig ein, damit ich Deine Texte weiterhin lesen kann?
Herzliche und betrübte Grüße -
Marie

22. Jun 2021

Hallo, liebe Marie!

Leider erhält man nun auch keine Kommentar-Benachrichtigungen mehr - und die Privatnachrichten sind ja ohnehin schon längere Zeit weg ...
Das ist natürlich sehr schade - und macht es nicht leicht, die Kontakte irgendwie zu erhalten.

FB bietet da lediglich einen äußerst dünnen Ersatz - diese permanente, laute Massen-Flutung erweist sich als reichlich anstrengend und dafür wenig kunstfreundlich ...

LG Axel

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