Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 172

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geworfen.

Die Dubois erzählte dem Bischof alles, was geschehen war. Dieser schickte sofort den Abbé nach Lyon mit neuen Anklagen gegen das junge Mädchen. Man beschuldigte sie, den Geistlichen bestohlen zu haben, und dieses neue Vergehen trug wesentlich dazu bei, ihren Prozeß zu beschleunigen.

Unsere interessante Abenteuerin war zu sehr an das Unglück gewöhnt, und so gab sie sich einem stummen, tränenlosen Schmerz hin. Jedoch, da es natürlich ist, daß jedes leidende Geschöpf alles mögliche versucht, um dem Abgrund zu entgehen, kam Justine plötzlich Pater Antonine ins Gedächtnis. Wie klein auch die Hilfe sein mochte, die Justine von ihm erwartete, sie konnte sich doch nicht des Wunsches erwehren, ihn zu sehen. Er erschien und tat so, als ob er Justine nicht erkenne.

Als sie mit dem Mönche allein war, warf sie sich ihm zu Füßen und rief aus: »Oh, mein Vater, ich beschwöre Sie, retten Sie mich aus der grausamen Lage, in der ich mich befinde!« Und nun erzählte sie ihm ihre unglücklichen Erlebnisse. Der Mönch hörte aufmerksam zu. »Justine,« sprach er dann, »siehst du nun endlich ein, daß es tausendmal besser ist, eine Schurkin und glücklich, statt tugendhaft und unglücklich zu sein? Die Dinge stehen so schlimm als möglich, ich will es dir nicht verheimlichen; der Schein ist gegen dich und heutzutage bedarf man blos des Scheines, um zum Tode verurteilt zu werden. Ueberdies habe ich erfahren, daß der Bischof von Grénoble heimlich gegen dich arbeite. Du bist also verloren, ein einziges Mittel kann dich retten. Ich stehe mit dem obersten Richter sehr gut. Ich werde ihm sagen, daß du meine Nichte bist, und er wird den Prozeß einstellen unter dem Vorwand, dich meiner Familie zu übergeben: ich werde dich entführen und dich in unser Kloster stecken, aus dem du aber, wie ich dir nicht verbergen will, in deinem Leben nicht wieder herauskommen wirst. Mit einem Wort, du sollst dort[412] meine Sklavin und die meiner Mitbrüder werden. Verstehst du mich? Entschließe dich also und lasse mich nicht zu lange auf die Antwort warten.« – »Sie sind ein Ungeheuer, ehrwürdiger Vater,« antwortete Justine, »da Sie die unglückliche Lage einer armen Waise so mißbrauchen. Ich werde also umkommen müssen, da ich mich derartigen Greueltaten niemals hingeben werde.« – »Wie du willst, mein Kind,« sprach der Mönch und schickte sich an, wegzugehen. »Die Tugend hat Sie ja bisher so reich belohnt, daß Sie Recht haben, sich ihr weiter zu ergeben. Adieu!« Und er öffnete die Tür. Mit einer ungestümen Bewegung warf sich Justine zu seinen Füßen. »Tiger,« rief sie unter Tränen aus, »öffne dein Herz meinem Flehen und stelle nicht Bedingungen, die schlimmer sind als der Tod!« Bei diesen Worten hatten sich die Schleier gelöst, die ihren Busen bedeckten und ihre Alabasterbrüste erweckten in dem Verbrecher unwiderstehliche Begierde. Der Schuft stürzte sich auf Justine, schürzte sie auf und da sie schreien wollte, stopfte er ihr ein Taschentuch in den Mund. »Oh, Teufel,« rief er aus, »wie gut haben sich deine Reize erhalten!« Er spreizte ihre Schenkel auseinander und fuhr hinein. Nachdem er sie eine zeitlang gequält hatte, setzte er sich der Unglücklichen auf die Brust, ohrfeigte sie mit seinem Glied und steckte es ihr schließlich in den Mund. »Ich erwürge dich, wenn du mich störst,« sprach er, »laß mich deinen Gaumen mit Samen übergießen, nur unter dieser Bedingung will ich etwas für dich tun!« Bald aber richtete sich die Begierde des Wüstlings nach einem anderen Orte. Der schöne Popo Justinens kam ihm ins Gedächtnis zurück. Schließlich flutete ein Strom von Samen. Diese Entladung war von schauderhaften Einzelheiten begleitet.

»Hören Sie,« sprach er, indem er sich loslöste »Sie wollen also nicht, daß ich Ihnen nützlich sei. Nun denn, dann verspreche ich Ihnen, Ihnen weder zu schaden noch nützlich zu sein. Denken Sie wohl nach, bevor Sie sprechen. Ich darf als Beichtvater sprechen, sobald es sich um ein Verbrechen handelt. Merken Sie also wohl auf, was ich jetzt dem Wärter sagen werde, sonst könnte ich Sie sofort verderben.« Er klopfte und der Wärter erschien. »Mein Herr,« sprach der Verräter, »das gute Mädchen täuscht sich, sie wollte jenen Pater Antonin sprechen, der in Bordeaux ist. Ich kenne sie nicht. Sie hat mich gebeten, ihr die Beichte abzunehmen, ich habe es getan und werde immer bereit sein, wenn man mein wichtiges Amt brauchen sollte.«

Justine blieb in Verzweiflung zurück und als sie nachdachte, kam ihr der Gedanke, Saint-Florent rufen zu lassen. »Es ist unmöglich,« sprach sie zu sich, »daß dieser Mensch nicht die Gelegenheit mit Freuden ergreifen würde, sein Unrecht gegen mich gut zu machen. Wird er mir seine Vorschläge wiederholen? Wird er die Hilfe, die ich von ihm verlange, mir um den Preis eines abscheulichen Dienstes gewähren? Nun denn, diesmal werde ich ja sagen; wenn ich einmal frei bin, will ich schon die Mittel[413] finden, einem so niedrigen Leben zu entgehen, wie er es von mir verlangt.«

Saint-Florent kam tatsächlich auf die Bitten Justinens. Unsere Heldin hätte an den Ehrfurchtsbezeugungen wohl sehen können, welche Rolle ihr Onkel in Lyon spielte. »Wie, Sie sind es,« sprach er, indem er einen Blick voll Verachtung auf sie warf, »ich dachte, es wäre eine anständige Frau, der ich von Herzen gern geholfen hätte; aber was soll ich mit einer dummen Gans, wie Sie es sind, machen? Wie, Sie sind beschuldigt, hunderte von scheußlichen Verbrechen begangen zu haben, und wenn man Ihnen vorschlägt. Ihr Leben auf anständige Weise zu verbringen, widersetzen Sie sich hartnäckig?« – »Oh, mein Herr,« rief Justine aus, »ich bin unschuldig!« – »Dann weiß ich wahrhaftig nicht, wer schuldig ist,« entgegnete der harte Mann; »als ich Sie das erstemal in meinem Leben sah, war es inmitten einer Diebsbande, die mich ermorden wollte. Jetzt finde ich Sie im Gefängnis wieder, beladen mit zwei oder drei neuen Verbrechen und auf Ihren Schultern ist noch das Andenken eines älteren.« – »Oh, gerechter Himmel, mein Herr,« erwiderte Justine, »haben Sie ein Recht darauf, mir jene Umstände ins Gedächtnis zu rufen, da ich Sie kennen lernte, und müssen nicht eher Sie dabei erröten! Ah, können Sie leugnen, daß Sie mir einige Dankbarkeit schulden? Oh, verschließen Sie mir nicht

Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906

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