Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 24

Seiten

an denen unsere Seladone opfern. Es gibt keinen von euren Genüssen, den wir nicht auch kennen würden, aber dazu kommen noch die, die bloß wir haben. Diese wundervolle Viereinigung macht uns zu den Menschen auf der Erde, die für die Wollust am empfänglichsten sind und am ehesten dazu geschaffen sind, sie zu genießen.«

So drückte sich Herr von Bressac über seine Freuden aus. Hätte Justine versuchen sollen, ihm von der hochachtbaren Frau zu sprechen, der er das Licht der Welt verdanke und welchen Kummer ihr solche Verirrungen bereiten mußten? Sie bemerkte an dem jungen Manne nur Verachtung, üble Laune und Ungeduld, so lange in diesen Händen Reichtümer zu sehen, die, wenn es nach ihm gegangen wäre, schon in seinem Besitz hätten sein müssen. Sie sah an ihm nur mehr grenzenlosen Haß gegen diese so tugendhafte und anständige Frau.

Manchmal versuchte es Justine mit religiöser Hilfe. Sie trachtete, ihre Illusionen in die Seele dieses perversen jungen Mannes einzupflanzen. Aber Bressac, der ein erklärter Feind der religiösen Mysterien war, bemühte sich bald, statt sich dem Glauben Justines zu unterwerfen, sie dem seinigen zu gewinnen. Er schätzte den Geist dieses jungen Mädchens so weit, daß er danach trachtete, sie durch die Philosophie zu erleuchten. Vorerst mußte er aber in ihr alle Vorurteile ertöten und er begann mit folgenden Worten:

»Alle Religionen, Justine, gehen von einem falschen Grundsatz aus: Alle nehmen einen Schöpfer als notwendig an, dessen Existenz unmöglich ist. Erinnere dich doch an die vernünftigen Erklärungen dieses gewissen Eisenherz, der, wie du erzähltest, gleich mir deinen Geist bearbeitet hat. Das war ein sehr geistvoller Mann und die Erniedrigung, in der zu leben ihn die menschliche Dummheit zwingt, enthebt ihn nicht der Fähigkeit, richtig zu denken.

Wenn alle Erzeugnisse der Natur nur Folgen der in ihr[55] liegenden Gesetzen sind, wenn die Bewegung in ihr selbst liegt, was wird dann aus dem hoheitsvollen Herrscher, an den die Dummköpfe glauben? So ungefähr sprach dein kluger Lehrer zu dir. Was aber sind die Religionen anderes als Fesseln, mit denen der Stärkere den Schwächeren binden will? In dieser Absicht nur wagte der Stärkere zu behaupten, daß ein Gott die Ketten geschmiedet habe, die seine Grausamkeit selbst erfand. Und der Unglückliche glaubte ohne nachzudenken alles, was der andere wollte. Können aber Religionen, die aus solchen Betrügereien hervorgegangen sind, Achtung verdienen? Was sehe ich in allem? Mysterien, die den gesunden Verstand schaudern machen, Dogmen, die die Natur beleidigen, groteske Zeremonien, die nur Abscheu erregen können. Aber wenn zwei Religionen unsere besondere Verachtung verdienen, so sind es die beiden, die sich auf den stumpfsinnigen Romanen, Altes und Neues Testament genannt, aufbauen. Sehen wir uns aber einmal diese lächerliche Anhäufung von Lügen und Frechheiten näher an. Ich werde dir Fragen stellen und du sollst sie beantworten, wenn du kannst.

Vorerst: Wie soll ich mich dazu stellen, daß die Juden, die während der Inquisition zu Tausenden verbrannt wurden, durch vier Jahrtausende hindurch die Lieblinge Gottes waren? Wie konnte ihr grausamer und lächerlicher Gott so ungerecht sein und der ganzen Welt eine kleine Horde von Juden vorziehen, um bald darauf wieder dieses Lieblingsvolk im Stiche zu lassen, um sich einer noch viel kleineren und elenderen Kaste anzunehmen?

Warum hat dieser Gott früher so viele Wunder getan und warum will er keine mehr für uns tun, obwohl wir doch jetzt jenes Volk ersetzen, für das« er ehemals so entzückt getan hat?

Ist Gott nicht ein frecher Ignorant, wenn er sagt, Moses habe seine Schriften in der Wüste jenseits des Jordans niedergeschrieben; denn Moses hat niemals den Jordan überschritten.

Wie kommt es, daß sich in einem vom Ihrem Gott diktierten Buch Namen von Städten finden, die niemals existierten, Vorschriften, für Könige, die den Juden ein Greuel waren und die noch gar nicht über sie herrschten ... Kurz, ein Ameisenhaufen von Widersprüchen? Ihr Gott ist also gleichzeitig ein Dummkopf und ein launischer Geist. Ich würde statt einer solchen traurigen Gestalt lieber vorziehen, gar keinen zu haben.

Wie fassen Sie die burleske Geschichte von der Rippe Adams auf? Ist sie direkt oder symbolisch zu nehmen? Wie schuf Gott das Licht vor der Sonne? Wie schied er das Licht von der Finsternis, da doch Finsternis nichts anderes als Entziehung des Lichtes ist? Wie wurde das Firmament inmitten der Waser geschaffen, da es doch gar kein Firmament gibt?8

Ist es nicht klar, daß Ihr alberner Gott ein ebenso schlechter Physiker, wie schlechter Geograph und lächerlicher Geschichtsschreiber ist?[56]

Wollen Sie einen weiteren Beweis seiner Dummheit? Was ist das für ein lächerliches Verbot, eine Frucht nicht essen zu dürfen, die in einem Garten wächst, der einem ganz zur Verfügung gestellt ist? Es liegt viel Bösartigkeit in solchem Verbot, denn Gott wußte wohl, daß der Mensch unterliegen würde: Das Ganze war also bloß eine Falle, die er ihm stellte. Welch scheußlicher Schuft ist doch Ihr Gott! Ich sah in immer bloß als Dummkopf an, aber bei näherer Betrachtung wird er zu einem großen Verbrecher.

Warum will dieses Original plötzlich nicht mehr, daß man die Luft in seinem Garten atme und warum setzt er vor das Tor einen Ochsen9 mit dem Flammenschwert in der Hand?

Gibt es etwas Alberneres und Lächerliches als diese Anekdotensammlung?

Wie wollen Sie mir die Geschichte mit den Engeln erklären, die die Töchter der Menschen küssen und Riesen erzeugen? Was sagen Sie zu der Sintflut, die, wenn sie wie Gott sagt, nur 40 Tage dauerte, höchstens 18 Zoll Wasser über der Erde hätte ansammeln können? Wie wollen Sie mir die Wasserstürze des Himmels, wie erklären, daß Tiere aus allen vier Himmelsrichtungen kamen, um dann in einen Koffer eingesperrt zu werden, wo nach den Beschreibungen der Bibel alles Platz fände, nur nicht die ganze Menagerie des Herrn? Und wie konnte die Familie Noahs, die nur aus acht Personen bestand, alle diese Geschöpfe nähren und pflegen? O, mächtiger Gott der Juden! Ich bin überzeugt, daß unter all diesen Tieren keines dümmer war wie du.

Und der Turm von Babel wie wollen Sie den rechtfertigen? Er war zweifellos höher wie die Pyramiden Egyptens, da doch Gott diese Pyramiden fortbestehen ließ.

Und der gute Abraham, der im Alter von 135 Jahren Sarah für seine Schwester ausgibt, aus Angst, man könnte

Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906

Seiten

Kommentare

01. Jan 2018

ICH darf das leider ja nicht lesen -
Sonst ha(u)t mich Krause! Mit dem Besen ...

LG Axel

02. Jan 2018

Das las ich bereits mit knapp dreizehn Jahren ganz "allein zu Hause".
Zum Glück gab 's bei uns keinen Besen wie die Bertha Krause.

LG Annelie

Seiten