DER KETZER VON SOANA - Page 8

Bild von Gerhart Hauptmann
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Gebirgsreliefs wie eine längliche Glasplatte
sorgfältig eingefaßt, der Capolago genannte Arm des Luganer Sees mit
dem segelnden Boot eines Fischers darauf, das einer winzigen Motte auf
einem Handspiegel glich. Hinter alledem waren in der Ferne die weißen
Gipfel der Hochalpen, gleichsam mit Francesco, höher und höher
gestiegen. Daraus hob sich der Monte Rosa weiß, mit sieben weißen
Spitzen hervor, zugleich diademhaft und schemenhaft aus dem seidigen
Blau des Azurs herüberstrahlend.

Wenn man mit Fug von einer Bergkrankheit reden kann, so mit nicht
minderem Recht darf man von einem Zustand reden, der Menschen auf
Berghöhen überkommt, und den man am besten als Gesundheit ohnegleichen
bezeichnet. Diese Gesundheit spürte nun auch der junge Priester im
Blut, wie eine Erneuerung. Neben ihm, zwischen Steinen unter noch
dürrem Heidekraut, stand eine kleine Blume, dergleichen Francesco noch
niemals im Leben erblickt hatte. Es war eine überaus liebliche Spezies
blauen Enzians, dessen Blütenblättchen mit einem flammenden Blau
überraschend köstlich bemalt waren. Der junge Mann in der schwarzen
Soutane ließ das Blümchen, das er in seiner ersten Entdeckerfreude
hatte abpflücken wollen, unbehelligt an seinem bescheidenen Platze
stehen und bog nur das Heidekraut beiseite, um das Wunder lange
entzückt zu betrachten. Überall aus den Steinen drang junges,
hellgrünes Zwergbuchenlaub, und aus einer gewissen Ferne, über den
Lehnen von hartem, grauen Schutt und zartem Grün, meldete sich mit
Glockengeläut die Herde des armen Luchino Scarabota. Diese ganze
Bergwelt besaß eine frühe Eigenart, den Jugendreiz versunkener,
menschlicher Zeitalter, von denen in den Taltiefen keine Spur mehr
vorhanden war.

Francesco hatte seinen Begleiter heimgeschickt, da er den Rückweg
ungestört durch die Gegenwart eines Menschen machen wollte und
überdies bei dem, was er am Herde Luchinos vorhatte, einen Zeugen
nicht wünschen konnte. Er war inzwischen bereits bemerkt worden, und
eine Anzahl schmuddliger und verfilzter Kinderköpfe streckten sich
immer wieder neugierig zu dem schwarzverräucherten Türloch der
Scarabotaschen Gesteinsburg heraus.

Langsam begann sich der Priester ihr anzunähern und betrat jenen
Umkreis des Anwesens, der den großen Viehbestand des Besitzers
anzeigte und von den Rückständen einer großen Herde Rinder und Ziegen
verunreinigt war. In Francescos Nase stieg stärker und stärker mit der
dünnen und kräftigen Bergluft Rinder- und Ziegenduft, dessen steigende
Penetranz am Eingang der Wohnung durch zugleich mit ihm
herausdringenden Holzkohlenrauch erträglich gemacht wurde. Als
Francesco im Rahmen der Tür erschien und mit seiner schwarzen Soutane
das Licht verstellte, waren die Kinder ins Dunkel zurückgewichen, von
wo sie dem Gruße des Priesters, der sie nicht sah, und allen seinen
Anreden Schweigen entgegensetzten. Nur eine alte Mutterziege kam,
meckerte leise und beschnüffelte ihn.

Allmählich war es im Innern des Raumes für das Auge des Boten Gottes
heller geworden. Er sah einen Stall, mit einer hohen Dungschicht
gefüllt und nach hinten in eine natürliche Höhle vertieft, die
ursprünglich im Nagelfluh, oder was für Gestein es sein mochte,
vorhanden war. In einer groben Steinwand rechts war ein Durchgang
geöffnet, durch den der Priester einen Blick auf den jetzt verlassenen
Herd der Familie tat: einen Aschenberg, innen noch voll Glut und zwar
auf dem natürlich zutage liegenden Felsen des Fußbodens
aufgeschichtet. An einer von dickem Ruß überdeckten Kette hing ein
verbeulter, ebenfalls verrußter, kupferner Topf darüber herab. An
dieser Feuerstätte des Steinzeitmenschen stand eine lehnenlose Bank,
deren faustdickes, breites Sitzbrett auf zwei ebenso breiten, im
Felsen befestigten Pfeilern ruhte und das seit einem Jahrhundert und
länger von Generationen ermüdeter Hirten, Hirtenweiber und Kinder
abgewetzt und poliert worden war. Das Holz schien nicht mehr Holz,
sondern ein gelber, polierter Marmor oder Speckstein zu sein, aber mit
zahllosen Narben und Schnitten. Der quadratische Raum, der im übrigen
mit seinen natürlich ungeputzten, aus rohen Blöcken und
Schieferplatten geschichteten Mauern mehr einer Höhle glich und aus
dem der Qualm durch die Tür in den Stall und wiederum von dort durch
die Tür vollends ins Freie drang, weil er außer etwa durch
Undichtigkeiten der Wände sonst keinen Abzug hatte, der Raum also war
vom Qualm und Ruß der Jahrzehnte geschwärzt, so daß man beinahe den
Eindruck gewinnen konnte, im Innern eines dickverrußten Kamines zu
sein.

Eben bemerkte Francesco den eigentümlichen Glanz von Augen, die aus
einem Winkel hervorleuchteten, als draußen ein Rollen und Rutschen von
Gesteinschutt hörbar ward und gleich darauf die Gestalt Luchino
Scarabotas in die Tür und wie ein lautloser Schatten vor die Sonne
trat, wodurch sich der Raum noch tiefer verdunkelte. Der verwilderte
Berghirt atmete schwer, nicht allein deshalb, weil er in kurzer Zeit
den Weg von einer entfernten, höher gelegenen Alm gemacht, nachdem er
von dort aus die Ankunft des Priesters beobachtet hatte, sondern weil
dieser Besuch ein Ereignis für den Verfemten war.

Die Begrüßung war kurz. Francesco wurde von seinem Wirt zum Sitzen
genötigt, nachdem er die Specksteinbank mit seinen rauhen Händen
von Steinen und abgerissenen Kuhblumen gesäubert hatte, die der
verfluchten Brut seiner Kinder als Spielzeug gedient hatten.

Der Berghirte schürte und blies aus vollen Backen das Feuer an, wobei
seine fieberhaften Augen im Widerschein noch wilder erglänzten. Er
nährte die Flamme mit Scheiten und trockenem Reisig auf, so daß der
beizende Qualm den Priester beinahe vertrieben hätte. Das Betragen des
Hirten war von kriechender Unterwürfigkeit und von einem ängstlichen
Eifer getragen, dermaßen, als ob nun alles darauf ankäme, sich die
Gnade des höheren Wesens nicht zu verscherzen, das seine schlechte
Wohnung betreten hatte. Er brachte eine große schmutzige Gelte voll
Milch herbei, deren Oberfläche dicken Rahm abgesetzt hatte, aber
leider auf eine unglaubliche Weise verunreinigt war, so daß Francesco
sie schon deshalb nicht anrühren konnte. Er wies aber auch den Genuß
von frischem Käse und reinlichem Brote zurück, trotzdem er hungrig
geworden war, weil er sich in abergläubischer Scheu damit zu
versündigen fürchtete. Schließlich, als der Berghirt sich ein wenig
beruhigt hatte und mit furchtsam wartenden Blicken und hängenden Armen
ihm gegenüber stand, begann der Priester also zu reden:

* * * * *

»Luchino Scarabota, Ihr sollt des Trostes unserer heiligen Kirche
nicht verlustig gehen, und Eure Kinder sollen aus der Gemeinschaft
katholischer Christen nicht ferner verstoßen sein, wenn es sich
entweder herausstellt, daß die üblen Gerüchte über Euch unwahr sind,
oder wenn Ihr redlich beichtet, Reue und Zerknirschung zeigt und Euch
bereit findet, mit Gottes Hilfe den Stein des Anstoßes aus dem Wege zu
räumen. Also öffnet mir zuerst Euer Herz, Scarabota, bekennet mit
Freimut, worin Ihr verleumdet seid und mit wahrhaftiger Wahrheit die
Sündenschuld, die Euch etwa belastet.«

Nach dieser Anrede schwieg der Hirt. Es rang sich nur plötzlich ein
kurzer, wilder Ton aus seiner Kehle hervor, der aber keinerlei Gefühl
verriet, vielmehr etwas Glucksendes, Vogelartiges an sich hatte. Wie
es Francesco geläufig war, schritt

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